Die ersten Momente nach der Geburt gehören zu den intimsten Erlebnisse im Leben.

Als Ulrike Ploil Ende der 1970er-Jahre als Hebamme begann, lag die Kaiserschnittrate bei zehn Prozent, heute bringt jede dritte Frau ihr Kind per Sectio zur Welt. "Entscheidungen für oder gegen eine natürliche Geburt sollten nicht emotional sein", sagt Gynäkologe Johannes Seidel vom Frauengesundheitszentrum Woman & Health in Wien. Er orientiert sich in den Gesprächen mit Schwangeren an wissenschaftlichen Fakten.

Eines ist für ihn sicher: "Einer jungen, gesunden Frau ohne Risikofaktoren empfehle ich immer eine Spontangeburt." Er begründet diesen Ratschlag mit Daten, die sich in den vergangenen Jahrzehnten durch die erhöhte Kaiserschnittrate ergeben haben. Sie zeigen, dass ein Kaiserschnitt vor allem langfristig Probleme macht, bei Folgeschwangerschaften etwa kann die Narbe ein Risiko für Komplikationen darstellen.

Ebenfalls eindeutig sind medizinische Indikationen für eine Sectio, etwa ein Missverhältnis zwischen der Größe des kindlichen Kopfes und des Beckens der Mutter, eine Fehllage der Plazenta, eine Schwangerschaftsvergiftung oder eine schlechte Plazentaversorgung des Kindes.

Routine und Sonderfall

Ein Sonderfall ist die Beckenendlage. "Da ist das Risiko, dass das Kind Schaden erleidet, erhöht", sagt Seidel, der so wie seine Kollegen vor allem Schadensersatzforderungen fürchtet. Wenn sich das Kind nicht durch sogenannte "äußere Wendungen" im Bauch drehen lässt – diese sehr gute Methode wird in der 37. und 38. Schwangerschaftswoche durchgeführt – rät er zu einem Kaiserschnitt oder überweist zu Kollegen, die auf Beckenendlagen spezialisiert sind, denn "in der Hand eines geübten Geburtshelfers mit viel Erfahrung ist eine Spontangeburt durchaus auch eine Option", räumt Seidel ein. Im Unterschied dazu wissen Frauen bei einer Hausgeburt, "dass sie es selber machen müssen", so Ploil. Eine Hausgeburt könne man sich wünschen, aber wie und wo die Geburt dann verläuft, ist eine andere Sache. "Es muss ein Fenster zur Klinik geben", sagt sie.

Etwa zehn Prozent der geplanten Hausgeburten finden am Ende im Krankenhaus statt. Allerdings sei selten ein Kaiserschnitt nötig, meistens entbinden die Frauen vaginal in der Klinik, so Ploil. Was ihr wichtig ist: "Wenn es keine Hausgeburten mehr gibt, weiß niemand mehr, dass eine Geburt ein physiologischer Ablauf ist, den Frauen aus eigener Kraft schaffen können." Schwangerschaft und Geburt seien per se keine medizinisch zu kontrollierenden Ereignisse. Dass sich so viele Frauen für eine Geburt im Spital entscheiden, habe viel mit Angst zu tun. "Frauen haben Angst vor Schmerzen, vor Tod, dem eigenen und dem des Kindes – und Ärzte haben Angst vor Klagen", sagt die Hebamme. Eine Geburt, das sei weder lustig noch sanft, räumt sie ein, sondern "ein wildes Geschehen".

Immer ältere Mütter

Ein demografisches Faktum gibt es jedoch auch: Frauen werden im Durchschnitt immer älter, wenn sie ihr erstes Kind bekommen. "Das Alter ist ein Risikofaktor", sagt Seidel. Paare werden weniger leicht schwanger, die Zahl der Fehlgeburten steigt, viele sind nur durch künstliche Befruchtung schwanger geworden und wollen bei der Geburt keinerlei Risiko eingehen, da hält Seidel einen Wunschkaiserschnitt für eine vertretbare Variante. Was er Frauen nicht vorenthält: Babys, die per Kaiserschnitt geboren werden, haben öfter Anpassungsstörungen in den ersten Lebenstagen, Grund könnte der Geburtsschock sein.

Zudem treten im Vergleich zu Kindern, die vaginal auf die Welt gekommen sind, eventuell öfter Allergien und Asthma auf. Dazu sind die wissenschaftlichen Daten jedoch noch unklar. Die Hypothese: Bei einer vaginalen Geburt bekommt das Kind automatisch eine Bakteriendusche, die das Immunsystem in Gang setzt. Diese Keime ließen sich aber auch auf anderem Wegen übertragen, etwa durch eine Stuhlinfektion von der Mutter, "klingt nicht appetitlich, ist aber ein Weg", so Seidel.

Angst um den Beckenboden

Frauen, die sich Kaiserschnitte ohne medizinische Indikation wünschen, "haben auch Angst um ihren Beckenboden", weiß Seidel, der einräumt, dass die Datenlage unklar ist, "langfristig birgt eine Spontangeburt sicher kein Risiko für Harn- oder Stuhlinkontinenz", kurzfristig jedoch schon.

Ein Dammriss mit Verletzung des Schließmuskels erhöht hingegen die Wahrscheinlichkeit für Stuhlinkontinenz auch langfristig. Hin und wieder können die Narben, die bei einem Dammriss entstehen, auch Beschwerden beim Sex verursachen.

Hebamme Ploil kritisiert: In Österreich herrsche tendenziell eine ablehnende Haltung gegenüber Hausgeburten. Während diese in Großbritannien gefördert und für Zweitgebärende sogar empfohlen werden, finden hierzulande nur 1,8 Prozent der Geburten in den eigenen vier Wänden statt. Und dass, obwohl zahlreiche Studien belegen, dass Hausgeburten für gesunde Frauen mit unkomplizierten Schwangerschaftsverläufen eine sichere Alternative darstellen. "Wird eine Hausgeburt nicht von der Gesundheitspolitik gefördert, wählt nur ein geringer Teil diese Option." In Neuseeland liege die Hausgeburtsrate bei zehn, in den Niederlanden bei 30 Prozent.

Was bei der Wahl von Gynäkologen und Hebammen gleichermaßen zählt, ist Erfahrung. Die Frage nach der Anzahl der Geburten pro Jahr sollte eine entscheidende Rolle spielen. (Karin Pollack, Christine Tragler, 2.4.2018)