Der brasilianische Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva kann demnächst in Haft kommen.

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Diesen Tag haben die Gegner von Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva schon lange herbeigesehnt. Als das Urteil der elf Richter des Obersten Bundesgerichts STF ergangen ist, brechen sie in Jubel aus und singen die brasilianische Nationalhymne. Einige hundert Meter weiter skandieren die Anhänger von Brasiliens populärstem Linkspolitiker lautstark "Verrat" und "Staatsstreich".

Mit sechs zu fünf Stimmen entschied das Oberste Gericht äußerst knapp dafür, dass eine Haftstrafe für Lula bereits jetzt – nach der zweiten Instanz – vollstreckt werden kann. Was für viele seiner Anhänger kaum möglich schien, wird nun wohl bittere Realität: Der wegen Korruption und Geldwäsche zu zwölf Jahren und einem Monat Haft verurteilte Ex-Präsident muss ins Gefängnis.

Seine Verteidiger hatten argumentiert, dass bis zur Rechtskräftigkeit des Urteils die Unschuldsvermutung gelte und Lula vorerst auf freiem Fuß bleiben müsse. Rechtskräftig sei das Urteil aber erst nach einer Entscheidung des Obersten Gerichts, also der faktisch vierten Instanz. Doch das sahen die Richter anders. Bis zum 10. April kann Widerspruch gegen das Urteil eingelegt werden.

Kämpferischer Auftritt

Lula selbst gab sich vor der Sitzung des Bundesgerichts gewohnt kampfesbereit. "Ich habe die Militärdiktatur nicht akzeptiert. Und die Diktatur der Staatsanwaltschaft und von Richter Moro werde ich genauso wenig akzeptieren", rief er seinen Anhängern entgegen.

Lula hielt sich bei Ablauf der Frist am Freitag (22.00 Uhr MESZ) weiter im Gewerkschaftshaus seiner Heimatstadt Sao Bernardo do Campo auf. Hunderte Anhänger waren vor dem Gebäude versammelt, um ihn vor einer Festnahme zu schützen.

Brasiliens oberster Korruptionsjäger, Sérgio Moro, sieht es als erwiesen an, dass Lula dem Baukonzern OAS Aufträge beim halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras verschafft hat. Als Gegenleistung soll er eine dreistöckige Luxuswohnung im Küstenort Guarujá bekommen haben. Lula bestreitet die Vorwürfe. Und tatsächlich konnte Moro den Besitz der Immobilie nicht nachweisen. Er gründet sein Urteil lediglich auf abgehörte Telefonate und SMS-Verkehr.

Das Urteil der Bundesrichter ist eine Zäsur in Brasilen, denn es macht den Weg dafür frei, dass erstmals ein ehemaliger Staatschef ins Gefängnis muss. Zugleich wird mit Lula der derzeit aussichtsreichste Kandidat für die Präsidentenwahl im Oktober aus dem Rennen genommen. Der ehemalige Gewerkschaftsführer liegt in allen Umfragen mit rund 36 Prozent weit vor seinen Kontrahenten. Für seine Anhänger wird Brasiliens ehemaliger Arbeiterpräsident damit endgültig zum Märtyrer. Sie rufen zu einem "roten April" mit Massendemonstrationen gegen das Urteil auf. Zuletzt sind vor zwei Jahren mehr als hunderttausend Brasilianer wegen des Amtsenthebungsverfahrens gegen Präsidentin Dilma Rousseff auf die Straße gegangen. Jetzt drohen dem Land wieder unruhige Zeiten.

Bis zur letzten Konsequenz für Lula

Für die Führungsspitze der linksgerichteten Arbeiterpartei verbietet sich eine öffentliche Diskussion über einen Plan B. Die Absprache lautet, mit Lula "bis zur letzten Konsequenz" gegen die Haft zu kämpfen und ihn öffentlich geschlossen als Präsidentschaftskandidaten zu präsentieren. Doch aus dem Gefängnis heraus lässt sich kein Wahlkampf führen. Deshalb deutet alles darauf hin, dass der beliebte, aber politisch wenig durchsetzungsstarke Ex-Bildungsminister und ehemalige Bürgermeister von São Paulo, Fernando Haddad, als Kandidat einspringen wird. Hinter den Kulissen basteln die Linksparteien zudem an einer Allianz, um geschlossen und mit einem Kandidaten antreten zu können.

Konservative noch ohne gemeinsamen Kandidaten

Damit sind sie dem liberal-konservativen Lager weit voraus. Denn die Regierungsparteien haben es sechs Monate vor der Wahl noch nicht geschafft, sich auf einen Kandidaten zu einigen. Die meisten Spitzenleute sind in Korruptionsskandale verwickelt und dürfen deshalb nicht antreten.

Ohne Lula ist der Wettlauf um die Präsidentschaft wieder völlig offen. Als Profiteur des politischen Vakuums gilt der rechte Scharfmacher Jair Bolsonaro. Mit seinen rassistischen, homophoben und frauenfeindlichen Einlassungen hat er sich zum umstrittensten brasilianischen Politiker katapultiert. Seine einzigen Wahlkampfschlagworte lauten "mehr Sicherheit" und "Kampf gegen Korruption". Damit konnte der Ex-Fallschirmspringer jedoch eine große Wählerschaft aus der weißen Mittel- und Oberschicht an sich binden. Er stützt sich mit seinen Parolen auf die mit den etablierten Parteien unzufriedenen und von ihnen enttäuschten Wähler. Seine Strategie zahlt sich aus: In den Umfragen liegt er mit bis zu 20 Prozent auf Platz zwei unter den Präsidentschaftskandidaten. (Susann Kreutzmann, 5.4.2018)