Die schlechte Nachricht muss sachlich, wahrhaftig und empathisch ausgesprochen werden. Der Arzt sollte sich immer wieder die Perspektiven des Patienten in Erinnerung rufen, sagt Sehouli.

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Jalid Sehouli: "Von der Kunst, schlechte Nachrichten gut zu überbringen"
€ 20,60 / 192 Seiten,
Kösel, 2018

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"Haben Sie einen Bausparvertrag?", fragt der Arzt.
"Ja", antwortet die Patientin.
"Dann kündigen Sie den bitte, und zwar bald."

Schlechte Nachrichten zu überbringen liegt nicht jedem, weiß der Mediziner Jalid Sehouli. Den oben geschilderten Dialog, den ihm eine Patientin einmal erzählt hat, gibt er in seinem Buch "Von der Kunst, schlechte Nachrichten gut zu überbringen" wieder. Sein Rat: zu weniger brutalen Worten greifen, auch wenn die besagte Patientin im Nachhinein dankbar war, wie Sehouli schreibt. "Das war starker Tobak, doch dieser Arzt war der Erste, der ehrlich zu mir war", erzählte sie ihm später.

Ehrlichkeit hält auch Sehouli für das oberste Gut, wenn es um das Überbringen von schlechten Nachrichten geht. Er ist sich sicher: Negatives einfühlsam mitzuteilen kann man lernen. Und: Selbst das Überbringen einer schlechten Nachricht kann Teil eines guten Gesprächs sein, wenn sich der Patient danach adäquat informiert fühlt und nicht ohne Orientierung und Hoffnung zurückbleibt. Sehouli ist Gynäkologe und Onkologe an der Charité in Berlin.

Darüber hinaus ist Sehouli Schriftsteller. Dass er schreiberisches Talent besitzt, zeigen im vorliegenden Buch berührende Geschichten von Begegnungen mit Patienten und deren Schicksalen, die der Autor romanhaft zwischen die Kapitel seines Sachbuches streut. "Geschichten vermitteln am besten einen Eindruck von der Herausforderung, schlechte Nachrichten zu überbringen", so der Mediziner.

Ratgeber für Todesnachrichten

Sein Buch richtet sich an Ärzte, die in ihrer Ausbildung meist nicht auf diese Aufgabe vorbereitet werden und sich ihre Methoden dafür oft bei älteren Kollegen abschauen – allerdings ohne zu reflektieren oder auf die Bedürfnisse der Patienten einzugehen. Gleichzeitig können sich auch Empfänger schlechter Nachrichten und Angehörige mithilfe des Buches darauf vorbereiten, was in einem solchen Gespräch auf sie zukommt. Und: Viele Menschen müssen in ihrem Leben schlechte Nachrichten überbringen, etwa an Freunde oder Verwandte – seien es Diagnosen von schweren Erkrankungen oder Todesnachrichten. Auch für sie ist dieses Buch ein Ratgeber.

Viele Mediziner, so Sehouli, wählen einen scheinbar einfachen, emotionsarmen Zugang nach dem Motto: "Hier sind ihre Diagnose, Prognose und der Behandlungsplan – einverstanden?" Er weiß: Patienten wollen Wertschätzung, Hilfe, Tipps zur Krankheitsbewältigung – und nicht nur eine Diagnose und eine OP. In seinem Buch stellt der Autor Kommunikationsmodelle aus der internationalen Literatur vor, die er für sich selbst individuell variiert und abgewandelt hat.

Konkret muss das Gespräch zuerst beim Patienten angekündigt werden. Im Idealfall werden zwei Termine vereinbart – einer für die Nachricht selbst, einer für die Besprechung weiterer Schritte. Der Überbringer muss gut vorbereitet sein, alle Befunde kennen, Infos über den Patienten einholen und sich einen Gesprächsfaden überlegen, empfiehlt Sehouli.

Angehörige als Verbündete

Patient und Mediziner sitzen im Idealfall auf Augenhöhe, nicht direkt gegenüber, an einem ruhigen Ort und sprechen unter vier Augen oder in Anwesenheit einer Begleitperson. Es könne hilfreich sein, so der Autor, Angehörige als Verbündete zu gewinnen. Zu Beginn muss der Patient "abgeholt werden", wie der Mediziner schreibt. Wie geht es ihm? Wie nimmt er seine Krankheit wahr? Und vor allem auch: Wie offen will der Patient überhaupt informiert werden?

Vor der eigentlichen Nachricht empfiehlt Sehouli, eine Art Warnung zu vermitteln. Das kann ein trauriger Blick sein oder Worte, die das eigene Bedauern ausdrücken, etwa: "Es tut mir leid, ich muss Ihnen jetzt eine schwierige Nachricht überbringen."

Die schlechte Nachricht muss anschließend sachlich, wahrhaftig und empathisch ausgesprochen werden. Der Arzt sollte auf Fremdwörter oder Formulierungen wie "positiver Befund", die für den Patienten eventuell verwirrend sein könnten, verzichten. Neben all dem muss der Überbringer die Emotionen des Gegenübers erfassen und respektieren und sich immer wieder die Perspektiven des Patienten in Erinnerung rufen.

Nicht nach dem Guten suchen

Auch darf das Gespräch nicht künstlich verlängert werden. Sehouli weiß, dass viele Ärzte in diesen Unterhaltungen unentwegt versuchen, Pausen zu füllen und nach dem Guten zu suchen. Er hingegen rät: "Nach der Nachricht können Pause zugelassen werden, das müssen wir aushalten. Für die Betroffenen wirken sie oft heilend und stärkend." Am Ende des Gesprächs steht eine Zusammenfassung, hier sollten einige kurze Sätze formuliert werden, die der Patient sich merken kann.

Seine Handlungsempfehlungen veranschaulicht Sehouli mit Erzählungen aus seinem Alltag als Arzt. Zuweilen wirkt das etwas unstrukturiert, an manchen Stellen wiederholen sich seine Ratschläge. Ganz am Ende findet der Leser jedoch hilfreiche Checklisten, die kurz zusammenfassen, wie Mediziner und andere Überbringer von Krankheits- und Todesnachrichten sowie Empfänger der Nachrichten und Angehörige sich darauf vorbereiten können.

Für sich selbst als Arzt hat Sehouli einen ganz eigenen Weg gefunden, mit dem regelmäßigen Überbringen schlechter Nachrichten umzugehen. Neben schlechten gibt es nämlich auch zahlreiche gute Nachrichten im Alltag von Ärzten und Patienten. Diese zelebriert er und kostet sie gemeinsam mit seinen Patienten aus. Am Ende jedes Arbeitstages versucht er einen Patienten zu besuchen und ihm eine gute Nachricht zu überbringen. Sehouli: "So lassen sich auch die schlechten Nachrichten besser ertragen. Es ist mein ganz persönlicher Versuch, nicht vor den Bad News zu kapitulieren." (Bernadette Redl, 6.4.2018)