Viel zu viele Medikamente: Vor allem bei Antibiotika ist der zu häufige Einsatz problematisch.

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Gelenkersatzoperationen gehören zu den häufigsten medizinischen Eingriffen. Um das Risiko einer Infektion zu verringern, erhalten viele Patienten vor dem Eingriff Antibiotika. In manchen Fällen überflüssigerweise – beispielsweise, weil im Urin des Patienten Bakterien gefunden werden. Sofern ein Patient keine Symptome einer Harnwegsinfektion aufweist, sind Bakterien im Urin selten behandlungsbedürftig. Dennoch werden bei der sogenannten asymptomatischen Bakteriurie (ASB) oft unnötigerweise Antibiotika verabreicht. Eine aktuelle Meta-Analyse zeigt: Es gibt keine Belege dafür, dass eine Antibiotikabehandlung der ASB vor Gelenkoperationen die Rate von Infektionen senken kann.

Für die aktuelle Metaanalyse werteten Wissenschafter acht internationale Studien zur ASB-Therapie bei endoprothetischen Eingriffen aus. Das Ergebnis: Weder das Screening auf Bakterien im Urin noch die dann oft folgende Antibiotikabehandlung bringt einen Vorteil. Die Rate an Protheseninfektionen wird dadurch nicht beeinflusst. "Wir empfehlen Kliniken deshalb auch, bei Gelenkprothesen-Patienten keine ASB-Screenings durchzuführen", so Gerd Fätkenheuer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI) und Mediziner am Universitätsklinikum Köln. "Statt dem Patienten zu nutzen, hat dieses Vorgehen oft lediglich einen überflüssigen Einsatz von Antibiotika zur Folge." Angesichts der hohen Operationszahlen sei in der Endoprothetik der rationale Einsatz von Antibiotika von besonderer Relevanz.

45 Prozent unnötig behandelt

Nicht nur bei Gelenkoperationen – auch sonst erfolgt bei der asymptomatischen Bakteriurie oft unnötigerweise eine Therapie. Sie gehört zu den häufigsten Fehlindikationen bei der Verwendung von Antibiotika. In einer Metaanalyse, die 2017 im Fachblatt Open Forum Infectious Diseases erschien, wurden internationale Studien zur ASB-Behandlung aus den vergangenen 15 Jahren ausgewertet. In dieser Zeit wurden durchschnittlich 45 Prozent aller Patienten mit ASB unnötigerweise mit Antibiotika behandelt.

Tatsächlich sei es jedoch nicht immer einfach, die nicht-behandlungsbedürftige asymptomatische Bakteriurie von einer behandlungsbedürftigen Harnwegsinfektion zu unterscheiden, räumt der DGI-Präsident ein. Entscheidend seien auch hier eine gründliche Anamnese und die klinische Untersuchung, Anzeichen für eine Harnwegsinfektion seien üblicherweise häufiger Harndrang oder Schmerzen beim Wasserlassen. Speziell ältere und multimorbide Patienten hätten mitunter jedoch unspezifische Beschwerden, die als Symptome einer Harnwegsinfektion fehlgedeutet werden könnten. "Dies ist – neben einem falschen Sicherheitsdenken – ein häufiger Grund für die Übertherapie der ASB."

Schulungen und Feedback

Umso mehr Bedeutung komme deshalb Antibiotic Stewardship zu, also Programmen zur Gewährleistung einer optimalen Antibiotikatherapie in Kliniken. Diese beinhalten etwa Schulungen und Beratungen durch Infektionsspezialisten. Wie erfolgreich schon vergleichsweise einfache Maßnahmen sein können, zeigt auch eine weitere Metaanalyse: Durch Schulungen und Feedback-Gespräche etwa sank die Zahl der unnötigen Antibiotikagaben bei ASB in einigen Studien um bis zu 80 Prozent.

"Wenn der rationale Einsatz von Antibiotika und damit die Eindämmung von Resistenzen gelingen soll, dann ist der Ausbau von Antibiotic Stewardship-Programmen und von infektiologischer Expertise in der Versorgung unabdingbar", so Fätkenheuer. (red, 9.4.2018)