Die Brexit-Verhandlungen werden zeigen, inwiefern das Wiederbeleben der inneririschen Grenze die Lokalbevölkerung beeinflussen wird.

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Aoife O'Donoghue rechnet mit Güter-, vorerst aber keinen Personenkontrollen an der Grenze.

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20 Jahre nachdem das Karfreitagsabkommen den Nordirland-Konflikt befriedet hat, ist die Zukunft der inneririschen Grenze einer der Hauptstreitpunkte in den Brexit-Verhandlungen. Die britische Regierung bleibt weiterhin konkrete Ideen für die Umsetzung schuldig. Viele Briten besinnen sich auch deshalb ihrer irischen Vorfahren, um weiterhin die Vorteile der EU-Bürgerschaft zu genießen.

STANDARD: Was sind derzeit die größten Herausforderungen in den Brexit-Verhandlungen bezüglich der irischen Grenzfrage?

O'Donoghue: Alle wollen die Grenze weiterhin möglichst offen halten – die Iren, die Nordiren und auch London. Die große Herausforderung wird es sein, diese Position mit den Brexit-Hardlinern auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. London will ja auch eigene Regeln bei Zöllen und Zugang zum europäischen Markt. Man wird nicht beides bekommen.

STANDARD: Es wird also irgendeine spürbare physische Grenze geben?

O'Donoghue: Ja. Die wenig konkreten Pläne Londons, die Grenze mit technologischen Mitteln zu managen, sind schlicht nicht realisierbar. Wir sehen bereits einen Wandel in der Sprache der Regierung Theresa Mays weg von einer "reibungslosen Grenze", hin zu "einer möglichst reibungslosen Grenze". Österreich sollte während der EU-Ratspräsidentschaft London dazu drängen, endlich Klarheit zu schaffen, inwiefern es zu Kontrollen kommen wird. Die Menschen müssen planen können. Österreich müsste ob seiner Geschichte, man denke nur an den Eisernen Vorhang im Osten, über die negativen Effekte von harten Grenzen Bescheid wissen.

STANDARD: Wie könnte so eine Grenze aussehen?

O'Donoghue: Es wird natürlich keine Mauer, wahrscheinlich aber – ähnlich wie zwischen Norwegen und Schweden – sogenannte "designierte Transitrouten" geben. Dank des einheitlichen Reisegebiets – der Common Travel Area – zwischen Irland und dem Vereinigten Königreich wird es aber zumindest zu keinen Personenkontrollen kommen, solange Irland nicht plant, dem Schengener Abkommen beizutreten. Aber man wird die Güter in irgendeiner Form kontrollieren müssen.

STANDARD: Was, wenn Irland dem Schengener Abkommen beitreten sollte?

O'Donoghue: Dann müsste es auch zu Personenkontrollen kommen. Nicht zwangsläufig von Irland ins Vereinigte Königreich, aber definitiv in die andere Richtung. Zurzeit ist das jedoch überhaupt kein Thema. Es könnte in Zukunft aber natürlich auch dazu kommen.

STANDARD: Wie werden sich die Güterkontrollen, wie auch immer diese ausschauen, auf die lokale Bevölkerung auswirken?

O'Donoghue: Das wird äußerst schwierig. Die Region ist sehr vom agrikulturellen Sektor abhängig. Zahlreiche Farmen liegen entlang der 500 Kilometer langen Grenze oder ragen teils darüber. Sie werden darauf achten müssen, den jeweiligen Regulierungen entsprechend zu arbeiten. Tausende Arbeiter pendeln tagtäglich in beide Richtungen. Für sie wird aus Steuergründen auch entscheidend, ob sie ihren Status als Grenzregion-Arbeiter behalten können. Auch über Pässe für Weidevieh wird diskutiert. Es geht also um viele alltägliche Abläufe, die zu Problemen werden. Reisende werden die Grenze als deutlich geringeres Problem ansehen als die Arbeiter der Region.

STANDARD: Wie bereiten die Menschen sich darauf vor? Nordiren sind laut dem Karfreitagsabkommen ja zur irischen Staatsbürgerschaft berechtigt.

O'Donoghue: Tatsächlich rufen fast alle Parteien, sogar die protestantische und unionistische DUP, dazu auf, sich aus praktischen Gründen einen irischen Pass zu beschaffen. Die Behörden haben sich bereits darauf eingestellt, des wachsenden Andrangs Herr zu werden. Alle suchen gerade nach ihrer irischen Oma. Im ganzen Königreich gibt es diesen massiven Trend, nicht nur seine irischen Vorfahren auszumachen; auch in Deutschland, Frankreich oder Polen erhalten die Behörden zahlreiche Anfragen für Doppelstaatsbürgerschaften.

STANDARD: Welche Rolle spielt in den Brexit-Verhandlungen die DUP, die Theresa Mays Minderheitsregierung stützt?

O'Donoghue: Das Problem ist, dass Theresa Mays Position insgesamt sehr geschwächt ist. Die DUP ist allerdings nur ein Faktor, der zu Mays Schwäche innerhalb der britischen Regierung beiträgt – auch parteiintern gibt es mächtig Gegenwind. In Bezug auf das Karfreitagsabkommen spielt die DUP insofern eine Rolle, als sie sich natürlich als Verfechterin der im Abkommen garantierten Rechte für die verschiedenen Gemeinschaften innerhalb der nordirischen Gesellschaft sieht. Im November 2017, als die finalen Gespräche der ersten Brexit-Verhandlungsrunden anstanden, legte sie sich ein wenig quer, aber das konnte ausgeräumt werden. Seither setzt sie sich jedoch prominent gegen eine mögliche "Grenze" in der Irischen See ein. Es war immer wieder davon die Rede, dass mangels einer effektiven inneririschen Landgrenze eine De-facto-Grenze auf dem Meer zwischen den Inseln Großbritannien und Irland entstehen könnte. Es käme einer Abkapselung Nordirlands vom Rest des Königreichs gleich. Das wäre politisch nicht tragbar für die DUP, auch wenn es in Fragen der gleichgeschlechtlichen Ehe oder der Abtreibung auch in anderen Bereichen gravierende politische Unterschiede zwischen Nordirland und dem Rest des Königreichs gibt.

STANDARD: Was, wenn es nach der Übergangsphase zu einem Brexit ohne Ausstiegsvertrag, einem sogenannten "harten Brexit", kommt?

O'Donoghue: Dann müsste es an der inneririschen Grenze ebenfalls zu massiven Kontrollen kommen. Ein harter Brexit bedeutet eine harte Grenze. Wenn ich ein von der Welthandelsorganisation anerkannter Markt sein will, muss ich wissen, was über meine Grenzen an Waren hereinkommt. Man muss wissen, woher die Ware kommt, und man muss die richtigen Zölle dafür verlangen. Das würde extrem teuer für die Dubliner und die Londoner Regierung werden, da keinerlei Vorkehrungen in diese Richtung getroffen werden und es dann sehr schnell gehen müsste. (Fabian Sommavilla, 10.4.2018)