Sie ist seit 25 Jahren Lehrerin, seit zehn Jahren an einer NMS im 20. Wiener Gemeindebezirk. Was Maria Lodjn momentan am meisten auffällt, ist, dass der Ton in der Schule – auch im Lehrerzimmer – rau geworden ist. "Ich habe das Gefühl, dass der Alltagsrassismus wieder stärker Einzug gehalten hat", sagt die 55-Jährige.

Viele würden sich "kein Blatt mehr vor den Mund nehmen", wenn sich ein Gespräch um Kinder mit Migrationshintergrund dreht. Derer gibt es in der Brennpunktschule viele, aber: "Ich habe einmal nachgezählt. Es gibt rund zehn Mädchen mit Kopftuch", sagt sie. Das Kopftuchtragen zu bestrafen ist für sie kein Thema. Natürlich gebe es Schüler und Schülerinnen, die den Islam in den Vordergrund stellen würden – nur: "Der Islam ist sicher nicht das Hauptproblem." Aber, klagt die Lehrerin, die in einer Integrationsklasse unterrichtet, "wer das sagt, gilt als Realitätsverweigerer, der auf 'Kuschelpädagogik' setzt".

Dass sich Eltern mit Migrationshintergrund weniger für die Schule interessieren, kann Lodjin nicht bestätigen: In all den Jahren habe sie höchstens dreimal Eltern getroffen, denen der schulische Erfolg des Kindes egal war.

Lodjn macht ganz woanders die Probleme aus. Da seien etwa die vielen Kinder, die "keine Interessen haben". Das Wort "letschert" passe am besten. Es werde auch immer schwieriger, eine Lehrstelle zu finden, und der Umstieg in eine weiterführende Schule sei illusorisch. Das Image der NMS sei schlecht. Lodjn: "Wir bilden Kinder für den Niedriglohnsektor aus."

Schuld daran sei die Politik: Die Regierung "hungert die NMS aus", um dann sagen zu können, "die Kinder und Eltern integrieren sich nicht". Mehr Personal und eine geringere Schülerzahl pro Klasse würden rasch helfen: "Da wären 1.000 Chancen – aber es passiert das Gegenteil." Das Teamteaching wird beendet, Stellen für Psychologen und Co werden gestrichen. Ihr Resümee: "Das ist die Gesellschaft zweiter Klasse."

Auch eine Frage der (fehlenden) Perspektiven: Viele Kinder "haben keine Interessen", wird geklagt.
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Tomislav Markovic ist neu im Job. Seit September unterrichtet der Pädagoge, der an der Uni Wien das Lehramtsstudium für Englisch absolviert und damit eigentlich an einer AHS unterkommen wollte, an einer Neuen Mittelschule (NMS) im 21. Wiener Gemeindebezirk. Mindestens jedes zweite Kind hat hier familiäre Wurzeln im Ausland.

Auf das, was er dort täglich erlebt, hat ihn das Studium jedoch nicht vorbereitet. Wenn er seine Schüler etwa auffordert, im Interesse ihrer eigenen Zukunftschancen besser mitzuarbeiten, bekommt er zu hören: "Ich mache zehn Kinder und lebe vom Kindergeld." Wenn er sich erkundigt, warum ein Jugendlicher seine Schulsachen nicht mithabe, lautet die Antwort mitunter "Ich mach' später sowieso AMS". Herr Markovic, der mit seinen 24 Jahren an der NMS ins Berufsleben gestartet ist, zeigt sich irritiert: "Ich weiß dann nicht, wie ich reagieren soll. Soll ich das ernst nehmen? Ein Körnchen Wahrheit wird bei manchen schon dabei sein. Das kommt ja immer wieder." Klar, da seien auch Schüler dabei, die einfach einen provokanten Spruch loslassen wollen – "da lacht dann die ganze Klasse". Aber es gebe eben auch jene, die für die Schule einfach null Interesse aufbringen.
Etwa der Schüler aus der zweiten Klasse: "Der macht seit Jänner nichts mehr." Zwar sei die Mutter kooperativ, könne aber gegen den Willen des Zwölfjährigen wenig ausrichten.

In einer Problemklasse hat man beim eilig einberufenen Elternabend ein Handy- und TV-Verbot angeregt – mit eher kurzfristigen Erfolgen. Jetzt muss Herr Markovic strenger sein, als er eigentlich sein wollte. "Ich habe gedacht, dass ich mit meinem jugoslawischen Hintergrund einen Startvorteil bei den Schülern habe." Aber der war nach ein paar Wochen anfänglichen Interesses wieder passé. Die von der Regierung losgetretene Kopftuchdebatte kann er nur aus der Theorie kommentieren: "Wir haben kein einziges Mädchen hier mit Kopftuch."

Und es ist ihm ein Anliegen, auf Schulen hinzuweisen, an denen es trotz vieler Kinder mit Migrationshintergrund anders – sprich: besser – zugehe. Bei ihm am Schulhof hingegen: wechselseitige Beschimpfungen von Kindern unterschiedlicher Nationalitäten. "Du scheiß Pole!", "Du scheiß Serbe!", sei da zu hören, und der junge Lehrer stellt nach sieben Monaten Lehrerdasein fest, dass die Vermittlung von Englischkenntnissen nur ein kleiner Teil seiner Jobdescription ist. Wenn jetzt auch noch das Teamteaching falle, "dann ist es noch viel schwieriger zu unterrichten".

Viele Pädagogen fürchten das Aus des Teamteachings: "Dann ist es noch viel schwieriger zu unterrichten."
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Wenn Walter Simmer von seinen 44 Jahren im Schuldienst erzählt, ist sie noch immer deutlich hörbar – die Begeisterung und Leidenschaft für den Beruf. Lange Zeit unterrichtete der Sonder- und Sozialpädagoge an einer polytechnischen Schule in Salzburg, und im Umgang mit den 14- bis 17-Jährigen mit familiären Wurzeln in unterschiedlichsten Ländern folgte er einem einfachen Credo. "Ich habe mir gesagt: Pass auf, Walter, wenn du junge Menschen führen willst, hast du dir schnellstens zu Eigen zu machen, aus welchem Kulturkreis sie kommen."

Also ist Herr Simmer, der im September die Pension angetreten hat, hinausgegangen zu den Familien, in die Moschee. "Ich muss nicht immer die Eltern in die Schule bestellen. Viele haben im Gastro-Bereich gearbeitet oder waren Lkw-Fahrer", da brauchte es Flexibilität. Belohnt wurde der Einsatz mit Einladungen zu Festen und mit wachsendem gegenseitigem Vertrauen. "Meine Jungs und Mädls wussten, es gibt nichts zu verbergen. Herr Simmer wird es in die Moschee oder zu den Eltern tragen."

Als engagierter Pädagoge legte er seine Hausbesuche nicht nur in Zeiten heikler Anlassfälle. Herr Simmer klapperte die Familien im Wochenrhythmus ab. Das half auch dann, wenn es dringend wurde. Bei "Religionsunverträglichkeiten" zwischen einzelnen Schülern etwa oder wenn einer in ungewöhnlicher Häufigkeit zu spät in der Schule aufkreuzte. Die Jugendlichen seien dann oft schon vor einem herandräuenden Problem zu ihm gekommen, etwa um ihn zu informieren, dass es "heute Nachmittag um 14 Uhr eine große Schlägerei" gibt. Ein Vertrauensbruch, den der Lehrer natürlich mit den Jugendlichen thematisiert hat.

Viele seiner ehemaligen Schüler seien heute in der Gastronomie untergekommen, sagt er. Doch nicht jedem sei der Start in ein eigenständiges Leben geglückt. Ein Schüler habe ein schweres Verbrechen begangen. Herr Simmer hat lange mit sich gehadert, ob er etwas übersehen hat.

Was Lehrer und Lehrerinnen auch stört? Kein eigener Arbeitsplatz, zu wenige Computer.
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Im Gymnasium Feldgasse in der Wiener Josefstadt ärgern nicht die Schüler, hier ist es die Ausstattung, die dem Lehrpersonal die Nerven raubt. "Was stört, ist eindeutig das Strukturelle", sagt Deutschpädagoge Florian Moser und nennt ein Beispiel: "Ich teile mir meinen Schreibtisch im Lehrerzimmer mit drei Kollegen. Mein Teil ist daher einen halben Meter lang." Moser wohnt im Bezirk, "daher kann ich die Hefte und Unterlagen hin und her tragen. Da habe ich noch Glück". 70 Lehrer und Lehrerinnen gibt es an der Schule, alle teilen sich lediglich acht Computer im Lehrerzimmer. "Wer keinen privaten benutzt, muss sich anstellen", erzählt Moser. Dass sich alle Lehrer gleichzeitig hinsetzen können, geht auch nicht, es fehle an Sesseln.

Was im Lehrerzimmer für Ärger sorgt, setzt sich im Klassenzimmer fort: "Es wird von uns Schule 4.0 erwartet, und dann funktioniert manchmal das WLAN nicht." Und die Schüler? "Dass es ab und zu Schwierigkeiten gibt, stimmt. Aber das sind Jugendliche, Pubertierende", sagt der 35-Jährige. Der Umgang damit sei "Teil des Jobs". Kopftuch rauf oder runter? Diese Frage stelle sich nicht. "Diese Religionsdebatten sind nicht vorhanden." Dabei gebe es – im Vergleich zu den zwei anderen Gymnasien im Bezirk – durchaus eine soziale Durchmischung. "Wir liegen im Einzugsbereich der Außenbezirke."

Schlecht sei auch, dass durch Stundenkürzungen weniger Zeit fürs Unterrichten bleibe. Der Lehrplan sei ja nicht kleiner geworden: "Gehe ich auf einen Lehrausgang, fällt ein ganzer Unterrichtstag aus."

Seit zehn Jahren ist Moser an der Schule. Geändert habe sich das Verhalten der Eltern. "Es ist grundsätzlich nicht schlecht, dass sie sich stark einbringen." Aber früher sei der Schule mehr Grundvertrauen entgegengebracht worden, "das ist gestört". Woran er das auch festmacht: "Es gibt mehr Anfragen von Eltern, die während der Schulzeit auf Urlaub fahren wollen." Das sage auch etwas über den Stellenwert der Bildungseinrichtung aus, findet Moser. (Peter Mayr, Karin Riss, 16.4.2018)