Es ist immer sehr erfreulich, wenn die Claudia Ringl anruft. Und ganz besonders erfreulich ist es, wenn sie anruft, weil sie mal wieder etwas Neues ausprobiert hat. Claudia Ringl ist eine von Wiens motiviertesten, innovativsten Fleischerinnen – von fettgereiften Steaks bis hin zu fünf Monate abgehangenen Kühen verdanke ich ihr einige meiner interessantesten Fleischerlebnisse. "Herr Müller, ich habe Fleisch in Asche reifen lassen", hat sie diesmal am Telefon gesagt, "wollen Sie es kosten?" So ein Angebot kann man nicht ablehnen – ich bin also kurz darauf in ihr Fleisch-Wunderland gefahren.

(Wer es nicht kennt: Das Geschäft der Ringls auf der Wiener Gumpendorfer Straße ist so etwas wie Willy Wonkas Schokoladenfabrik für Fleischesser. Die Ringls haben so lange erfolgreich nicht renoviert oder umgebaut, bis ihr Laden wieder schick geworden ist und jetzt aussieht wie eine verklärte Kindheitserinnerung. Jedes Mal, wenn ich das Geschäft betrete, fühle ich mich nachher ungleich besser als zuvor. Das liegt nicht nur, aber auch an der Leberkässemmel beim Warten.)

Foto: Tobias Müller

Frau Ringl hat mir dort strahlend eine Gastropfanne voll schwarzer Asche entgegengestreckt, in der sie ein ganzes Flanksteak vergraben hatte. Die Asche war verbranntes Buchenholz und stammte aus dem Ringl'schen Räucherofen. Das Steak durfte erst zwei Wochen trocken reifen und dann weitere zwei Wochen in der Asche ruhen, bevor Frau Ringl zum heroischen Selbstversuch schritt, um sicherzustellen, dass es keine unangenehmen Nebenwirkungen hat. Als ich es dann bekam, war es etwas über vier Wochen alt.

Aschereifung ist eine eher ungewöhnliche Art der Fleischveredelung. Frau Ringl hatte die Idee aus einem Reife-Buch, das sie sich gekauft hatte, in dem sie aber nur mit einem Nebensatz erwähnt wird. Auch meine sonst sehr verlässlichen Theoriebücher schweigen sich darüber ziemlich aus. Bei einer schnellen Google-Suche habe ich gelernt, dass es gelegentlich für rohschinkenartige Produkte verwendet wird, für Steaks konnte ich nichts finden. Und meine Anfrage an die stets freundlichen und kompetenten Menschen von der Lebensmitteltechnik an der Uni für Bodenkultur (Boku) blieb bis zu Redaktionsschluss unbeantwortet.

Ich kann nach der Verkostung definitiv bestätigen, dass es einen Effekt auf das Fleisch hat (weiter unten mehr dazu), über die Ursachen kann ich aber vorerst nur spekulieren. Das der Aschereifung am nächsten kommende Verfahren, das mir einfällt, ist die Herstellung von chinesischen Pidan, Tausendjährigen Eiern, wie sie etwas irreführend auf Deutsch heißen. Traditionell werden dafür Enteneier in Asche eingegraben, die dort mehrere Wochen bis Monate reifen – in der Zeit dringen Stoffe aus der Asche durch die poröse Schale und verändern das Ei.

Asche ist stark alkalisch (also das Gegenteil von sauer), das führt bei den Eiern dazu, dass sich die Proteine verändern, zerlegt werden und stark aromatische und geschmacklich interessante Verbindungen entstehen. Der Prozess ist jenem der Trockenreifung bei Fleisch sehr ähnlich, bloß dass bei der Trockenreifung fleischeigene Enzyme für die Verwandlung sorgen. Die Asche, nehme ich an, greift ihnen einfach basisch unter die Arme. Und weil ein Steak anders als ein Ei keine Schale hat, laufen diese Prozesse deutlich schneller ab als bei den Pidan.

Foto: Tobias Müller

Ich habe das Steak gemeinsam mit meinem liebsten Reifepartner und Koch Christoph Fink verkostet. Wir haben es erst gründlich gewaschen und geschrubbt, um möglichst viel von der Asche zu entfernen. Das Fleisch war außen stark gebräunt (Basen können ähnliche Effekte wie der Maillard-Effekt erzeugen, weswegen auch die Pidan bernsteinfarbene Eiweiße haben) und innen leuchtend rot.

Foto: Tobias Müller

Zunächst haben wir es dünn aufgeschnitten und roh verkostet. Der Geschmack war ganz erstaunlich mild, fleischig, aber unauffällig. Auffallend war hingegen, wie extrem mürb das Steak war: Es ist wortwörtlich auf der Zunge zerfallen. Zusammen mit einigen frischen Frühlingsblättern (Spinat, Bärlauch, Basilikum) und gutem Öl und Salz ergab es ein formidables Carpaccio – ein bisschen wie Rohschinken, bloß ungleich cremiger und saftiger.

Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias Müller

Dann haben wir das Flanksteak ganz simpel medium-rare in Butter gebraten – und damit sein aromatisches Potenzial ausgeschöpft. Aus dem roh-milden Fleisch wurde durch die kurze Hitze eine ziemliche Aromabombe, mit starken Noten von lang trockengereiftem Steak und ein wenig Blauschimmel – spannend und gut, aber sehr intensiv, und, kam mir vor, weniger komplex als nach klassischer Trockenreifung. Warum erst die Hitze das Steak so hat schmecken lassen? Ich weiß es nicht, ich bin für Hinweise dankbar.

Foto: Tobias Müller

Jetzt kann man natürlich fragen: Wenn Trockenreifung besser ist, warum dann das Ganze? Ganz einfach: weil nicht jedes Fleisch zum klassischen Trockenreifen taugt. Die Stücke müssen idealerweise recht groß und von Fett umschlossen sein – Cuts wie das Flank oder das Hanger fallen da normalerweise raus. Das Fleisch anderer Tiere verträgt ohnehin nur viel kürzere Reifezeiten, weil deren Fett und Muskeln anders zusammengesetzt sind. Für all diese Fälle ist Aschereifung also höchst interessant, um das Reifegeschmackspotenzial ausschöpfen zu können. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass neben Flank und Hanger etwa Schweinskotelettes davon profitieren könnten oder Hühnerschenkel oder, vielleicht am besten, frische Würste. Die Asche konserviert die Stücke und verhindert, dass sie zu schnell verrotten, während sie gleichzeitig für Reifearomen sorgt.

Weil wir schon dabei waren, haben der Christoph Fink und ich noch eine andere Form der Reifehilfen ausprobiert, mit der wir schon bei einem Steak einmal Erfolg hatten: Koji. Wir haben mehrere Hühnerbrüste 48 Stunden in Kojipulver im Kühlschrank mariniert – das Ergebnis war ziemlich spektakulär. Aber das ist eine andere Geschichte.

Foto: Tobias Müller

Ach ja, bevor jemand fragt: Keiner der vier Mitesser hat die Aschefleischverkostung bereut, es war absolut unbedenklich.

Aschereifung – eine Bitte statt eines Rezepts

Nachdem ich wenig mehr über Aschereifung weiß als andere Leute, folgt hier diesmal kein Rezept oder eine Anleitung. Stattdessen ein Aufruf zum Experimentieren. Besorgen Sie sich reine Holzasche, etwa aus einem Räucherofen. Bereiten Sie drei Pfannen vor und füllen Sie diese mit Asche. (Unser Fleisch reifte in Buchenasche – ob die Holzart einen Unterschied macht, kann ich Ihnen leider noch nicht sagen. Versuchen Sie am besten einmal Apfel oder ein anderes Obstholz.)

Legen Sie in jede der drei Pfannen folgende Fleischteile: eine Hühnerkeule ohne Haut; zwei frische Bratwürste; und ein Steak ihrer Wahl. Bedecken Sie das Fleisch gut mit Asche und stellen Sie sicher, dass kein Fleischteil herausschaut. Stellen Sie es in einen sehr kalten Kühlschrank – so zwischen 0 und 3 Grad – und öffnen Sie die Tür möglichst nicht. Lassen Sie ihr Fleisch eine Woche reifen, dann verkosten Sie es und posten hier Ihre Resultate.

Wenn Sie das lesen, macht die Frau Ringl übrigens genau das. Wer nicht selbst experimentieren will, kann sie auch einfach besuchen und danach fragen. (Tobias Müller, 15.4.2018)

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