5-Jahres-Überleben bei ausgewählten Krebserkrankungen in Prozent.

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Onkologen und forschende Pharmaindustrie sehen die Versorgung in Gefahr. Am Bild v.l.n.r.: Leopold Öhler (OeGHO), Andreas Petzer (OeGHO), Christoph Zielinski (Vienna Cancer Center), Ingo Raimon ( FOPI) und Wolfgang Hilbe (OeGHO)

Foto: FOPI/APA/Tanzer

Wien – In der Krebsforschung und somit in der modernen Patientenversorgung drohen Österreich Stagnation oder gar ein Zurückfallen im internationalen Vergleich. Gezielte Investitionen wären dringend erforderlich, betonten am Montag führende Krebsspezialisten und Vertreter des Forums der Forschenden Pharmaindustrie (FOPI) bei einer Pressekonferenz in Wien.

"Die Gefahr, an Krebs zu sterben, ist in den vergangenen 25 Jahren um 25 Prozent zurückgegangen. Die Zahl der Neuerkrankungen ging seit 1995 um zwölf Prozent zurück. Beim Krebsüberleben liegen wir in Österreich deutlich über dem europäischen Durchschnitt an vierter Position", sagte Leopold Öhler, Onkologe am St. Josef Krankenhaus in Wien.

Die steigende Bevölkerungszahl mit wahrscheinlich plus einer Million Einwohner im Jahr 2040, der Anstieg des Anteils der über 65-Jährigen zwischen 2016 und 2080 von prognostizierten 18,5 Prozent auf 29 Prozent sowie die bereits erfolgte Zunahme der in Österreich mit Krebs Lebenden von rund 203.000 Personen im Jahr 2001 auf bereits 341.000 Menschen im Jahr 2015 bedeute eine enorme Herausforderung.

Österreich fällt zurück

Die zitierten Erfolgsraten der österreichischen Krebsmedizin beziehen sich auf die sogenannte Eurocare-Studie (Europa) aus dem Jahr 2015. Vor einem Monat erschien jedoch in der Fachzeitschrift "The Lancet" die internationale Concorde-3-Studie, die einen Vergleich der Fünf-Jahres-Überlebensraten bei einzelnen Krebserkrankungen für 71 Staaten (2000 bis 2014) angestellt hat. Da ist Österreich nur im guten Mittelfeld angesiedelt. Öhler dazu: "Es ist wahr, diese Daten haben uns nachdenklich gestimmt."

Wolfgang Hilbe, Chef der onkologischen Abteilung am Wiener Wilhelminenspital, wies auf in der jüngeren Zeit bereits bemerkte Probleme hin: "Wir erleben in den letzten zwei bis drei Jahren Stagnation bis Rückschritt. Das System ist aktuell bereits etwas in Gefahr. Die Verknappung der Ressourcen im Gesundheitswesen sehen wir schon. Auch eine Verknappung bei Strahlentherapie und in der medizinischen Bildgebung existiert bereit. Beim Zugang zu modernen onkologischen Medikamenten gibt es noch keine Einschränkungen." Laut Öhler aber "glänzt es sicherlich nicht überall in Österreich wie Gold".

6.000 Krebsmedikamente in Entwicklung

Modernste medizinische Therapie hängt vor allem von der Beteiligung der Ärzte an wissenschaftlichen Studien ab. Hier ist der Trend für Österreich negativ. "Die Zahl der in Österreich durchgeführten klinischen Studien ist seit 2008 (360; Anm.) um 24 Prozent zurückgegangen (2016: 259; Anm.)." Das zeige sich mit einem Minus von zehn Prozent zwischen 2013 und 2016 auch bei den von der Industrie gesponserten klinischen Prüfungen. In der Onkologie hat es zwischen 2013 und 2016 allerdings einen Zuwachs um 16 Prozent gegeben.

Das ist aber zu relativieren. Christoph Zielinski, Koordinator des Vienna Cancer Center (VCC), in dem alle onkologischen Abteilungen an Krankenhäusern in Wien (MedUni/AKH, KAV, gemeinnützige Spitalsträger etc.) nach standardisierten Kriterien in Diagnose und Therapie arbeiten sowie bei Studien kooperieren wollen, sagte: "Es sind derzeit 6.000 Medikamente (für die Onkologie; Anm.) in Entwicklung, 800 bis 900 befinden sich bereits in verschiedenen Vergleichsstudien zu etablierten Therapien."

Rücktritt von Hartinger-Klein gefordert

Österreichische Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (ÖGHO) und FOPI wollen mit einer "Agenda Krebs 2030" einen Schulterschluss erreichen, der auch die Politik zu entschiedenem Handeln bringt. Zielinski sieht hier in Österreich die Zeit nutzlos verstreichen: "Da 'draußen' entwickelt sich die Welt stürmisch. In Peking stehen 400 Gen-Sequenzierer, die 24 Stunden arbeiten. Wir sind zu wenig eingebunden, weil es in Österreich weiterhin keine ordentliche Wissenschaftspolitik gibt. (...) Ich sehe überhaupt keine Veränderung, die da begonnen hat. (...) Da geht es nicht um die Frage, ob fünf, sechs, sieben oder acht Mädchen mit Kopftuch in der Schule sitzen."

Onkologen und FOPI fordern eine massive Unterstützung von klinischen Forschungsprojekten. Organisatorisch sollte eine bundesweite Koordinationsstelle für solche Projekte etabliert werden. Erforschung und Zugang zu innovativen Therapien seien nämlich direkt miteinander verbunden. Die besten Forschungsprojekte aber können wirksame Krebsprävention nicht ersetzen, betonte Zielinski. "Wenn eine Gesundheitsministerin zulässt, dass von ihrer Bundesregierung das Nichtraucher-Schutzgesetz aufgehoben wird, sollte sie zurücktreten." (APA, 16.4.2018)