Die Regierungsspitze hat "null Toleranz" für die Vorkommnisse in einer Wiener Moschee.

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Wien – Die Aufregung um die Geschehnisse in einer Wiener Moschee ist weiterhin groß. Wie berichtet wurden Kinder dort angehalten, in Tarnanzügen eine Schlacht aus dem Ersten Weltkrieg nachzuspielen. Am Mittwoch tauchten weitere Bilder auf. Demnach sollen entsprechende Inszenierungen auch schon von 2014 bis 2016 stattgefunden haben. Wie der "Falter" schreibt, sind auf den Fotos Kinder zu sehen, die tote Soldaten spielen, die mit türkischen Fahnen zugedeckt werden.

ORF

Nachdem sich am Dienstag Bund und Stadt Wien gegenseitig die Schuld an den Vorkommnissen in der Moschee des Vereins Atib in Wien-Brigittenau zugeschoben hatten, äußerte sich am Mittwoch auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP): "Das hat in Österreich keinen Platz. Hier wird es null Toleranz geben", sagte er nach dem Ministerrat. Das Kultusamt prüfe bereits, Kurz stellt eine Schließung der Moschee oder die Auflösung von Atib in den Raum.

Neuerlich nahm er die Stadt Wien in die Pflicht, die Verantwortung zu tragen. Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) reagierte wieder mit der Aufforderung an das im Kanzleramt angesiedelte Kultusamt, tätig zu werden. Kurz pochte auch auf das von der türkis-blauen Bundesregierung schon länger geforderte Kopftuchverbot an Kindergärten und Volksschulen und bat Wien und die SPÖ um Unterstützung.

"Fanatismus und Aufhetzung"

Kerem Öktem, Universitätsprofessor am Zentrum für Südosteuropastudien der Uni Graz, findet die dadurch suggerierte "Totalverurteilung" des Islam sehr problematisch. Die Diskussion über den Islam in Österreich sei "vergiftet", sagt er zum STANDARD. Eine objektive Debatte sei nicht mehr möglich.

Die Vorkommnisse an sich haben den Experten in Anbetracht der politischen Entwicklungen in der Türkei nicht überrascht. Öktem spricht von einer "Mischung aus Fanatismus und nationalistischer Aufhetzung", angefacht durch die Regierung in Ankara.

Auf keinen Fall sei die Inszenierung eine islamische Tradition. Vielmehr sieht Öktem eine Indoktrinierung durch die AKP-Regierung, die in Zusammenhang mit der Militarisierung stehe: "Schon die junge Generation wird auf Kriege und die Rolle als Soldaten vorbereitet." Der Experte glaubt nicht, dass es sich um einen Einzelfall handelt.

Ähnlicher Fall in Deutschland

Ob es einen klaren Auftrag aus Ankara gab, wagt Öktem nicht einzuschätzen. In deutschen Medien gibt es jedenfalls Berichte über ähnliche Inszenierungen. Das "Westfalen-Blatt" berichtet von marschierende Kindern in Militäruniform in einer Moschee des Vereins Ditib, eines Pendants der Atib, in Herford nahe Bielefeld.

Die Atib zählt in Österreich 100.000 Mitglieder. Auch der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ), Ibrahim Olgun, ist Mitglied. In einer Aussendung distanzierte sich die IGGÖ wie berichtet von der Weltkriegsinszenierung in der Wiener Moschee, unterzeichnet wurde die Aussendung aber nicht von Olgun, sondern von seinem Vize Esad Memic.

Die Atib gilt als verlängerter Arm der türkischen AKP-Partei. "Andere Vereine lassen sich vielleicht nicht so instrumentalisieren", sagt Experte Öktem. Bei Atib gebe es eine Interpretation des Islam, die aus Ankara kommt. Er warnt jedoch davor, den Islam allgemein zu verurteilen. Die fehlende Akzeptanz führe dazu, dass sich manche Muslime noch mehr zurückziehen. (Rosa Winkler-Hermaden, 18.4.2018)