Schriftsteller Michael Stavarič wohnt mit seiner Frau, gotländischen Schafmitbringseln und allerlei dekorativem Getier in einem Altbau an der Wiener Wienzeile. Seine Romane schreibt er unterwegs.

"Ich wohne in einem Haus, in das im Zweiten Weltkrieg eine Bombe einschlug. Als ich zum ersten Mal hier war, fand ich das kurios, weil man bis heute im Stiegenhaus erahnen kann, wie sich das Geschoß seinen Weg durchs Haus bahnte. Die neuen Teile des Stiegengeländers verraten dieses brachiale Ereignis, es ist definitiv ein Stück Geschichte, das zu dieser Adresse gehört.

An den großen Esstisch würde sich Stavarič niemals mit einem Notebook setzen. Umso lieber steht er mit einem seiner Fische dahinter.
Foto: Nathan Murrell

Ich wohne nunmehr seit mehr als 15 Jahren hier, so genau weiß man das ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr, man wird irgendwann Teil des Hausinventars. Es handelt sich um eine Mietwohnung, sie ist in etwa 110 Quadratmeter groß, und bis vor kurzem lebte der Bruder meiner Frau gemeinsam mit uns hier. Ich habe, wenn ich es mir so recht überlege, überhaupt noch nie alleine gewohnt, lebte immer in Wohngemeinschaften, mit Ausnahme von Aufenthalten im Ausland.

Als wir hier in den Altbau eingezogen sind, gab es keine Heizung, diese und einen Teil der Elektrik haben wir in Auftrag gegeben. Die Substanz des Hauses war gut, schließlich hat es ja sogar diesen Bombeneinschlag überdauert, die Arbeit schien dennoch kein Ende zu nehmen. Wäre die Wohnung unser Eigentum, würden wir wohl noch viel mehr machen, die kleine Vintage-Küche herausreißen und das winzige Bad vergrößern. Schon zweimal hätten wir eine der benachbarten Wohnungen mit unserer zusammenlegen können, haben es aber doch nie getan. Hätte ich das nötige Kleingeld, um uns etwas zu kaufen, dann würden wir wohl woanders leben. Wer weiß, vielleicht doch noch irgendwann in Stockholm, Oslo oder Kopenhagen.

Fische und Vögel finden sich in naturgetreuen Studien in der Wohnung wieder.
Fotos: Nathan Murrell

Ich bin überaus tierlieb, habe schon als Kind gerne in Lexika geblättert und mag naturgetreue Tiernachbildungen. Das spiegelt sich auch überall in der Wohnung wider. Zu Weihnachten stelle ich immer einen meterhohen Baum auf, den ich mit allen Arten von schönen, teils handgeblasenen Tierfiguren, Raumfahrern und vielem mehr schmücke. Unzählige Geschichten werden gleichsam bis zur Decke hinauf erzählt. Auch in meinen Romanen kommen viele Tiere vor, sie bezeugen, wer wir Menschen sind.

Schon am Eingang mustern meine beiden Torwächter, ein Bussard und ein Fasan, die Hereinkommenden. Da sie schon von irgendeinem Jäger erlegt und ausgestopft wurden und folglich so ihr Dasein fristen müssen, dürfen sie bei mir wenigstens die Tür bewachen. Ich habe sie von einem Flohmarkt gerettet und bin überzeugt davon, dass ausgestopfte Tiere eine Aufgabe brauchen.

Eine große Leidenschaft von mir sind Fische, die in allen Räumen präsent sind. Angeln gehört zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen. Daran ist meine Großmutter schuld, die ein Fischgeschäft besaß. Vögel faszinieren mich auch, sie wohnen in Form von Scherenschnitten, Bildern und naturgetreuen Schnitzereien bei mir.

Viele Dinge, die ich von unterwegs mitbringe, sammle ich in der großen Vitrine im Esszimmer. Etwa eine Gottesanbeterin unter einem Glassturz, Federn, mit Muscheln und Fossilien gefüllte Gläser oder Bilder von Zenita Komad und Kinki Texas – bildende Künstler, die ich sehr schätze. Begeistert bin ich auch von Ingmar, dem Schaffell aus Gotland, das es sich auf unserem Bett gemütlich gemacht hat. Gotländische Schafe haben so eine besondere, fast silbrige Fellzeichnung, sie sind definitiv die schönsten Wollknäuel der Welt.

Kniefall vor den Lieblingsplätzen – das rote Sofa und der Reiseschreibtisch. Die grotesken Bilder des Künstlers Kinki Texas zieren Wände und Vitrinen.
Fotos: Nathan Murrell

Meine Lieblingsplätze in der Wohnung sind das rote Sofa und der Reiseschreibtisch im Arbeitszimmer. Er stammt aus den Zwanzigern und hat mit seinen Fächern und Laden etwas von einem Beamtenschreibtisch. Andererseits scheint er wie eine Zauberkiste, weil er zusammenklappbar ist und dann wie eine Kommode wirkt – ich glaube, Kafka hätte den gut gefunden.

Hier verbringe ich Zeit mit "Büroarbeit", dem Abtippen und Überarbeiten von Texten. In der Wohnung arbeite ich sonst nicht so viel. Und falls doch, schauen mir zwei Urwaldkäfer und das Motiv aus dem Metropolis-Film von Fritz Lang, gemalt von Karin Plavcak, dabei zu. Ich benötige beim Schreiben immer Gesellschaft. Im Hintergrund läuft meistens der Plattenspieler, heute hören wir Johnny Cash.

Diesen Raum dominiert der Erker, er gibt den Blick auf den Wienfluss und weiter zum Wienerwald frei. Die unverstellte Aussicht war ein ganz wichtiges Kriterium bei der Wohnungssuche. Ich weiß immer, welches Wetter aus dem Westen kommt, dafür brauche ich keine App.

In der Küche stapeln sich bunte Dosen.
Fotos: Nathan Murrell

Die Hälfte des Jahres verbringe ich im Ausland auf Lesereisen, mit Stipendienaufenthalten und auf Literaturfestivals. Unterwegs im Zug, in Hotels oder im Kaffeehaus entsteht schlussendlich der Großteil meiner Literatur. Reisen ist ein unerlässlicher Teil meiner Identität geworden und bringt natürlich Beschwerliches, zumeist jedoch Inspirierendes mit sich. Während eines Jahres mache ich bestimmt in 50 Hotels oder Apartments Station. Dauert ein Aufenthalt länger, stelle ich manchmal im Zimmer die Möbel um, packe meine Bücher und alle Kleider aus und versuche, eine persönliche Note hineinzubringen.

Von den Hotels bringe ich gern die Türhänger mit – sie sind manchmal überraschend kreativ – und hänge sie in der Wohnung an die Türschnallen. Dazu gesellen sich auch andere Mitbringsel wie das Horn eines Widders aus Gotland.

Obwohl ich den ganzen Trubel und die vielen Menschen um mich herum mag, genieße ich auch die Ruhe der Wohnung. Wenn ich ganz für mich bin, lese ich Bücher, schaue Serien und koche, lade aber nicht mehr wie früher zu Kochgelagen ein. Je älter ich werde, desto weniger Party ist in der Wohnung, die ist dafür im Kopf. Da tanzen all die Tiere mit meinen Protagonisten, das Wohnungsinventar schwirrt umher, es ist wie bei Alice im Wunderland." (Marietta Adenberger, 24.4.2018)