Der Wiener Kinderarzt und Autismusforscher Hans Asperger (1906–1980) gilt vielen als Galionsfigur der Entstigmatisierung von Entwicklungsstörungen. 1943 beschrieb er das später nach ihm benannte Asperger-Syndrom und betonte dabei nicht die Beeinträchtigungen, sondern die Fähigkeiten, die mit Autismus einhergehen können. Seine Rolle im Dritten Reich blieb indes lange unterbelichtet. Doch nun gibt es immer mehr Beweise, dass Asperger in einigen Fällen der nationalsozialistischen Eugenik- und Euthanasiepolitik aktiv zur Seite stand.

Asperger war kein überzeugter Nationalsozialist, aber die Logik seiner Kategorisierung von Menschen ließ sich durchaus mit den Ansichten der neuen Machthaber vereinbaren: Die Einteilung von Kindern nach ihrer "Bildungsfähigkeit" und damit gleichermaßen ihrer "Wertigkeit" oder die Ansicht, sexuell missbrauchte Mädchen hätten Übergriffe als "geborene Prostituierte" selbst provoziert, sind nur zwei Beispiele dafür. Mit dieser Logik war Asperger nicht allein, und sie verschwand 1945 nicht: Sie prägte jahrzehntelang die Heilpädagogik in Österreich.

Die reichlich spät thematisierten Kinderheimskandale der Nachkriegsjahrzehnte müssen auch in diesem Kontext gesehen werden – als Produkte beinahe ungebrochener Kontinuität in der Pädiatrie und Heilpädagogik, personell wie methodisch. Vielleicht bräuchte es dafür einen neuen Begriff, zum Beispiel: Asperger-System. (David Rennert, 19.4.2018)