Wien – Die Vernehmung ist schon einige Zeit im Gang, als der Geschäftsführer der Baufirma Setro, Herr S., von den Polizeibeamten nach seinen Mitarbeitern befragt wird. Seine Firma habe zuletzt 21 Arbeiter beschäftigt, sagt S. laut Protokoll. Er selbst kennt, Überraschung, namentlich nur zwei von ihnen. Genaue Angaben darüber, wo die Baustellen seiner Firma waren, kann er auch nicht machen.

Die Setro und ihr Geschäftsführer S. sind zwei Puzzleteile in den aktuellen Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen ein ganzes Geflecht an Scheinunternehmen. Ermittelt wird wegen schweren Betrugs, Sozialbetrugs und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Neben 60 Scheinfirmen sind drei etablierte österreichische Bauunternehmern ins Fadenkreuz der Behörden geraten. Die Namen sind der Redaktion bekannt. Von einem Schaden von bis zu 20 Millionen Euro ist die Rede.

Abhörprotokolle

Während die Polizei sich durch Akten und Telefonabhörprotokolle durcharbeitet, tauchen laufend neue Fälle mit dubiosen Unternehmen auf. Vergangene Woche berichtete der STANDARD von einer schwindligen Firma namens Cherominski. Sie hat in einem Wiener Gemeindebau Trockenbauarbeiten durchgeführt und soll Mitarbeiter nicht korrekt entlohnt haben. Am Dienstag wurde Cherominski von der Finanzpolizei offiziell zur Scheinfirma erklärt.

Offensichtlich ist, dass die rege Bautätigkeit in Wien viele problematische Unternehmen anzieht. Gäbe es Wege, das Problem besser in den Griff zu bekommen?

Die Forderung nach der Generalunternehmerhaftung wird in Österreich wieder laut.
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Eine Idee lautet, eine Generalunternehmerhaftung einzuführen. Auf größeren Baustellen ist es üblich, dass Aufträge in langen Ketten von einem Unternehmen an das nächste weitergegeben werden. Ein Bauherr beauftragt einen Generalunternehmer, für ihn ein Wohnhaus zu errichten. Dieser Unternehmer lagert einzelne Arbeiten – vom Bau des Dachstuhls bis hin zu Malerarbeiten – an Subunternehmen aus. Die Subunternehmer bedienen sich ihrerseits gern weiterer Subunternehmer.

Die lange Kette am Bau

Ein Trick dabei ist, gegen Ende der langen Kette Scheinfirmen einzusetzen. Diese zahlen keine Sozialversicherungsbeiträge und Steuern. Die Scheinfirmen werden nach einiger Zeit in die Insolvenz geschickt. Für die Lohnansprüche der Arbeiter soll der Insolvenz-Entgeltsicherungsfonds aufkommen. Den Schaden tragen die Allgemeinheit, geprellte Bauarbeiter und ehrliche Bauunternehmen.

In Österreich gibt es seit 2016 eine Auftraggeberhaftung, um das Problem zu begrenzen: Wer eine Scheinfirma beauftragt, haftet dafür, dass Mitarbeiter dort korrekt entlohnt werden. Auch eine Haftung für Versicherungsbeiträge ist fixiert.

In der Praxis deutet sich an, dass das junge Gesetz leicht auszuhebeln ist. In dem aktuellen Fall, in dem die Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt, gibt es Scheinunternehmerketten: Die von einem österreichischen Unternehmen beauftrage Setro hat sich selbst einer Scheinfirma namens PDL bedient, um Fassadenarbeiten zu erledigen. Mehrere Arbeiter sagen, die inzwischen insolvente PDL habe sie nicht richtig entlohnt. Für den Lohn müsste laut Gesetz aktuell nur die Setro haften. Aber dort gibt es auch nichts zu holen, die Firma ist selbst insolvent.

Die Baubranche in Wien boomt. Das viele Geld zieht auch problematische Unternehmen an.
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Die Generalunternehmerhaftung würde dagegen weit oben ansetzen: bei jener Baufirma, die als Erste in der Kette den Auftrag bekommt. Meist sind das bekannte österreichische Bauunternehmen. Aber ist eine solche Haftung einer Strabag oder Porr zumutbar?

Nein, sagt Christoph Wiesinger, Fachreferent in der Wirtschaftskammer. Den Generalunternehmer in die Pflicht zu nehmen hieße, "ihn zum Sheriff" zu erklären. Er müsste alle Subfirmen durchleuchten, was in der Praxis unmöglich ist. "Wie will man ausschließen, dass eine Firma, die einen seriösen Eindruck macht, sich nicht nach ein paar Monaten als problematisch erweist?" Wenn schon staatliche Behörden die Sache nicht in den Griff bekommen, wie sollen das private Baufirmen?

Opfer der Mafia

Die Gefahr ist laut Wiesinger, dass ehrliche Auftraggeber auf Mafiafirmen reinfallen und für viel Geld geradestehen müssen.

Das Gegenargument lautet, dass die Haftungserweiterung keine Probleme schafft, weil Unternehmer keine windigen Subfirmen mehr beauftragen würden. In dem aktuellen Fall, in dem die Staatsanwaltschaft ermittelt, waren Scheinfirmen in Wohnungen oder als Fake-Tarnung in einer Brotfabrik angemeldet. Hätte wer hingesehen, wäre erkennbar gewesen, dass etwas nicht stimmt.

Walter Gagawczuk von der Arbeiterkammer meint, ehrliche Unternehmer könnten sich durch Vorkehrungen schützen. Seine Idee: Der Generalunternehmer könnte einen Teil des Auftragswerts, den er einem Subunternehmer schuldet, zurückbehalten. Dieses Geld würde erst freigegeben werden, wenn klar sei, dass alle Subfirmen Löhne und Abgaben korrekt bezahlt hätten. Falls nicht, könnte der Generalunternehmer mit dem Geld um ihren Lohn geprellte Arbeiter auszahlen.

Gegenargument aus der Wirtschaftskammer: Kleine Malerbetriebe oder Elektriker, die auch betroffen wären, könnten es sich nicht leisten, jahrelang auf Geld zu warten. Die Generalunternehmerhaftung würde Bauwerke wie Wohnungen zudem teurer machen. Wollen wir das?

Strikteres Deutschland

Erfahrungen mit dem Thema gibt es in Deutschland. Dort wurde 2001 die Generalunternehmerhaftung eingeführt: Neben Mindestlöhnen haften Baufirmen auch für Versicherungsbeiträge und Beiträge zugunsten der Arbeitnehmer für die Urlaubskasse.

Bei der zuständigen Gewerkschaft, der IG Bau, lobt man das System. "Ein Arbeiter, der in einer Kette bei der siebten Subfirma beschäftigt ist und seinen Lohn nicht bekommt, kann direkt vom Unternehmer ganz oben sein Geld einfordern", sagt Gewerkschafter Frank Schmidt-Hullmann.

In der Baubranche werden vergleichsweise gute Löhne bezahlt. Dafür sorgen immer wieder spektakuläre Betrugsfälle für Schlagzeilen.
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Interessanterweise sind auch die deutschen Arbeitgeber im Grunde zufrieden. Einzelnen Unternehmen habe die Haftung zwar mehr Arbeit und etwas höhere Kosten beschert, sagt Philipp Mesenburg vom Zentralverband des Deutsches Baugewerbes. Aber: Die Vergabeketten bei Subunternehmen seien "bereinigt" worden.

Der Wettbewerb laufe sauberer ab. Unternehmen, die alles korrekt machen, seien nicht mehr die Verlierer, weil sie gegen Scheinfirmen ankämpfen.

Ähnlich sieht es der zweite große Arbeitgeberverband, der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie: Die Baufirmen in Deutschland prüfen aufgrund der Haftung genauer nach, wen sie beauftragen, verlangen von ihren Subunternehmen etwa Lohnunterlagen für Beschäftigte, um dubiose Akteure gleich ausschließen zu können. Die Kehrseite sei ein höherer Kontrollaufwand. Aber: "Dass sich die Baukosten durch die Haftungsregelungen erhöht haben, ist nicht festzustellen."

Als positiv sieht der Arbeitgebervertreter Mesenburg noch eine weitere Regelung an: Generalunternehmen in Deutschland können die Haftungen, außer sie betreffen Mindestlöhne, ausschließen, indem sie sich von einem externen Unternehmen zertifizieren lassen, dass bei ihnen alles in Ordnung ist. Die Zertifizierungsstellen sind private Unternehmen, die staatlich überwacht werden. Sie durchleuchten die Bauunternehmen, schauen nach, ob Löhne und Abgaben korrekt bezahlt wurden und es sich um echte Firmen handelt. Auch das erhöhe die Sicherheit, so Mesenburg.

Sauberer Wettbewerb

In Österreich ist der Einsatz dubioser Unternehmen unterdessen aus Sicht des Wettbewerbsrechts eine enorme Herausforderung. Die Staatsanwaltschaft beschäftigt sich bei den laufenden Ermittlungen in dem erwähnten Fall des mutmaßlichen Großbetrugs intensiv damit, inwieweit österreichische Unternehmen bewusst mit Scheinfirmen zusammengearbeitet haben, um billig Aufträge annehmen zu können.

Eingeschaltet hat sich in der Causa laut STANDARD-Informationen auch die Bundeswettbewerbsbehörde. Der Verdacht: Scheingesellschaften wurden für Preisabsprachen bei öffentlichen Aufträgen genutzt. Ein Ende der Ermittlungen ist nicht in Sicht. (András Szigetvari, 20.4.2018)