Der Frühling ist "ein Potpourri aus psychologischen Faktoren, optischen Reizen, Gerüchen, dem Licht und auch der Wärme", sagt Internist Helmut Schatz.

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Helmut Schatz ist österreichischer Internist, seit 1969 in Deutschland arbeitend, emeritierter Klinikdirektor der Ruhr-Universität Bochum und seit 2009 Mitglied des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie.

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STANDARD: Im Frühling haben viele Menschen Schmetterlinge im Bauch. Hat das Frühlingserwachen einen Einfluss auf die Sexualhormone?

Schatz: Nein, der Frühling hat keinen Einfluss auf die Geschlechtshormone. Die sexuelle Aktivität ist das ganze Jahr über keinen besonderen Schwankungen unterworfen. Einen Höhepunkt gibt es nach dem "stressigen" Sommer, vor dem Arbeits- bzw. Ausbildungsbeginn und um die "kuschelige" Weihnachtszeit. Frauen, die Kontrazeptiva einnehmen, haben während des ganzen Jahres den der Pille entsprechenden Hormonspiegel. Sollte im Frühjahr tatsächlich mehr geflirtet werden, dann hat das andere Ursachen.

STANDARD: An welche denken Sie da?

Schatz: Das ist ein Potpourri aus psychologischen Faktoren, optischen Reizen, Gerüchen, dem Licht und auch der Wärme. Hormonell sind es das "Glücks- oder Gute-Laune-Hormon" Serotonin und das Antriebshormon Dopamin, die nun in erhöhten Mengen ausgeschüttet werden. Und wenn die Tage länger sind, wird weniger, "Schlafhormon" Melatonin freigesetzt.

STANDARD: Dadurch verbessert sich die Laune?

Schatz: Ja, denn Stimmung und Antrieb steigen. Man ist wacher, fühlt sich besser. Die farbenfrohe Kleidung des Frühlings löst die triste, dunkle Kleidung des Winters ab. Das Auge freut sich darüber. Die Wärme sorgt dafür, dass die Menschen ihre Winterverpackung ablegen und leichter und luftiger bekleidet herumlaufen. Es wird viel mehr Haut gezeigt. Die nunmehr gut gelaunten Männer und Frauen schauen mehr, bewundern – und flirten. Die psychologische Seite ist der Neubeginn, das Erwachen der Natur im Frühjahr. Schon Hermann Hesse sagte "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne".

STANDARD: Und welche Rolle spielen die Gerüche?

Schatz: Eine ganz wesentliche Rolle. Der Mensch ist stärker geruchsgesteuert, als man vielfach glaubt. Gerüche sind in der Lage, emotionsgeladene Erinnerungen in uns wachzurufen. Wenn Anfang März der Schnee schmilzt und die ersten schneefreien Flecken Erde zu sehen sind, riecht es erst einmal nicht gut, sondern nach verfaultem Gras, Moos und Erde. Aber dieser Geruch löst eine Vorfreude aus, denn tief in unserem limbischen System im Gehirn sind positive Erinnerungen, die in die frühe Kindheit zurückgehen, zum Beispiel an das baldige Erwachen der Natur und das Spielen im warmen Freien, abgespeichert. (Gerlinde Felix, 28.4.2018)