Neonicotinoide werden in erster Linie zur Behandlung von Saatgut verwendet und gelten als bienenschädlich.

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Brüssel – Die EU verbietet die Anwendung von drei Arten von Neonicotinoiden im Freien. Die Chemikalie, die in der Landwirtschaft breite Anwendung findet, ist für Insekten lebensgefährlich, insbesondere für Bienen. 60 Prozent der Bienenbestände sind nach Ansicht von Experten gefährdet. Vor allem das EU-Parlament hat sich deshalb für das Verbot eingesetzt. Der Beschluss der EU-Staaten erfolgte am Freitag im Verwaltungsausschuss der Kommission mit der erforderlichen Mehrheit von zwei Dritteln.

Die Stoffe, die in erster Linie zur Behandlung von Saatgut verwendet werden, sind seit Jahren umstritten. Die Entscheidung ist für alle Mitgliedstaaten verbindlich. Sie betrifft jedoch nur den Einsatz von Neonicotinoiden im Freien, bei Intensivkulturen in Glashäusern können sie also weiterhin verwendet werden.

Österreich stimmte für Verbot

Österreich hat wie angekündigt für das Verbot gestimmt. "Uns war stets eine gemeinsame europäische Lösung wichtig, die für alle Mitgliedstaaten verbindlich ist", sagte Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP).

Die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) hatte die Schädlichkeit der Neonicotinoide für Honigbienenbestände in einer ersten Studie aus dem Jahr 2013 bestätigt. Im Februar 2018 folgte eine Neubewertung, die auch die Gefahr für Wildbienenbestände hervorhebt.

Das Verbot wird mit Jahresende in Kraft treten. Laut einer EU-Kommissionssprecherin müsse die EU-Kommission zunächst den Rechtsakt formal annehmen und im EU-Amtsblatt veröffentlichen. Danach könne das Verbot nach sechs Monaten in Kraft treten.

Köstinger sagte am Freitag zu Journalisten, dass Landwirte noch drei Monate Zeit haben, um ihre Restbestände aufzubrauchen.

Köstinger um Rübenbauern besorgt

Während die Bienenschützer sich zufrieden zeigten über die Entscheidung, die vor allem von Deutschland und Frankreich gepusht wurde, gaben sich Bauernverbände skeptisch. Die Chemikalie wird in der Landwirtschaft von Zuckerbauern breit angewendet. Laut Köstinger bringt das Verbot vor allem die Rübenbauern in "eine schwierige Situation". Für fast alle anderen Sparten gebe es Alternativen, nicht aber für den Zuckerrübenanbau. Man müsse jetzt für die heimische Zuckerindustrie kämpfen, sagte die Ministerin. Köstinger begrüßte jedoch, dass es zum Schutz der Bienen eine europäische Lösung gebe.

Von den rund 5.000 heimischen Rübenbauern seien vor allem jene im Weinviertel, wo der Rüsselkäfer wütet, besonders stark betroffen. In Oberösterreich dürfte die Situation nicht so dramatisch sein.

Seitens der Vereinigung "die Rübenbauern" gab es am Freitag viel Kritik: Der Anbau von Zuckerrüben sei durch den Beschluss "massiv gefährdet". Für die Landwirte würde durch das Verbot ein Mehraufwand von durchschnittlich 400 Euro pro Hektar entstehen.

Meinungen gehen auseinander

Die Industriegruppe Pflanzenschutz (IGP) äußerte bereits scharfe Kritik an dem Verbot. Die EU würde mit der Entscheidung "das Aus für die Zuckerrübe besiegeln". Der Entschluss sei voreilig und unerwartet, erklärte IGP-Obmann Christian Stockmar. Die Mitgliedstaaten würden "dem Populismus der NGOs" folgen.

Genau diese zeigen sich über den Beschluss erfreut. So etwa die Umweltorganisation Greenpeace, die sich seit Jahren für das Verbot eingesetzt hat. "Es ist seit vielen Jahren wissenschaftlich ganz klar, dass Neonicotinoide für den Tod von Bienen, Wildbienen und vielen weiteren wichtigen Insekten mitverantwortlich sind", erklärte Sebastian Theissing-Matei, Landwirtschaftssprecher der NGO.

Jubel gab es auch bei Global 2000: "Heute hat Europa für den Schutz von Biene, Hummel und Schmetterling gestimmt und damit das Kapitel der drei Neonicotinoide endgültig geschlossen", sagte Umwelttechniker Helmut Burtscher-Schaden.

Zufrieden zeigte sich auch der grüne Europaabgeordnete und Imker Thomas Waitz: "Das Verbot ist ein wichtiger Schritt zur Rettung der Bienen und damit zur Erhaltung unserer Landwirtschaft." Köstinger habe dem Druck der Zuckerrübenwirtschaft standgehalten.

Kritik gab es – wie zu erwarten – auch von dem Pharmariesen Bayer. Dieser nennt das Verbot einen "schlechten Deal für Europa" und den Freitag "einen traurigen Tag in der Landwirtschaft". Die Entscheidung würde die Möglichkeiten gegen Schädlingsbefall einschränken, für viele Schädlinge gebe es keine alternativen Bekämpfungsmethoden.

Insektizid greift Nervenzellen an

Neonicotinoide, eine Stoffklasse von Insektiziden, die allesamt synthetisch hergestellt werden, greifen die Nervenzellen von Insekten an und blockieren damit die lebenswichtige Reizleitung. Sie können Wild- wie Honigbienen, aber auch Schmetterlinge lähmen und sogar töten. Am besten untersucht und am schädlichsten sind die Stoffe Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid. Die Auswirkungen sind längst belegt: Laborexperimente deutscher Forscher rund um den Neurobiologen Randolf Menzel haben etwa gezeigt, dass selbst eine nichttödliche Dosis bei Bienen dazu führt, dass sie sich kaum mehr an vorher erlernte Düfte erinnern können – sie werden sozusagen zu Alzheimerbienen und können nur mehr eingeschränkt navigieren und mit anderen Bienen interagieren.

Auch die Fortpflanzungsfähigkeit wird durch die Neonicotioide massiv eingeschränkt. Schweizer Forscher konnten nachweisen, dass männliche Bienen, die Drohnen, eine kürzere Lebensdauer aufwiesen und weniger lebende Spermien produzierten. Wird die Königin mit schlechter Spermienqualität begattet, beeinträchtigt das ihre Legetätigkeit. Die Folge: Populationen werden deutlich dezimiert.

Auch Hummeln leiden unter den Giftstoffen, wie mehrere Studien zeigten: Die Neonicotinoide verringern das typische Brummen, indem sie die Vibration der Flügel hemmen, was wiederum dazu führt, dass weniger Pollen aus den Blüten geschüttelt werden. Die Hummeln können so weniger Nahrung sammeln und Blumen bestäuben. Zudem ließ der Wirkstoff die Zahl der eierlegenden Königinnen um ein gutes Viertel schrumpfen, wie eine britische Untersuchung zeigte.

Auswirkungen auf die Landwirtschaft

Wissenschafter reagierten durchwegs positiv: "Die Entscheidung ist folgerichtig und berücksichtigt die Ergebnisse der vergangenen vier Jahre", sagt Randolf Menzel, Arbeitsgruppenleiter am Institut für Biologie der Freien Universität Berlin. Nicht klar ist, welche Auswirkungen das Verbot auf die Landwirtschaft haben wird und welche Alternativen nun zum Einsatz kommen könnten. "Alles wird sich bei den Neonicotinoiden auf eine Substanz – das Thiacloprid – konzentrieren, die von Bayer hergestellt wird", sagt Menzel. "Diese wird als nicht bienengefährlich bezeichnet. Diese Einstufung beruht darauf, dass Bienen eher selten eine tödliche Dosis aufnehmen. Die Wirkung von Thiacloprid im Gehirn der Insekten ist aber auch bei niedrigen Dosen massiv."

Die weggefallenen Neonicotinoide hätten bereits zu Resistenzen bei den Bienen geführt, deshalb sei allein der Umstieg auf andere Spritzmittel keine langfristig Lösung, sagt Horst-Henning Steinmann von der Georg-August-Universität Göttingen. "Wenn die Landwirte nicht mit leeren Händen dastehen wollen, müssen sie sich schnellstens wieder mit Ackerbauverfahren befassen, die den Insektenbefall mindern. Das sind Fruchtfolgen, angepasste Saattermine, Randstreifen und mechanische Verfahren. Das alles wirkt deutlich schlechter als hochwirksame Insektizide. Aber gegen resistente Insekten bleiben kaum andere Möglichkeiten übrig." (Karin Krichmayr, Nora Laufer, Thomas Mayer, Günther Strobl, 27.4.2018)