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Bei Foodora erhalten freie Dienstnehmer vier Euro pro Stunde Fixlohn und zwei Euro pro Auslieferung. Man garantiere den Fahrern und Fahrerinnen aber Aufträge, um auf mindestens auf acht Euro pro Stunde zu kommen heißt es von Unternehmensseite.

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Wer gehört in Österreich zur "Crowd", die regelmäßig Aufträge für Unternehmen erledigt, die diese nicht inter vergeben können oder wollen? Eine Umfrage der University of Hertfordshire im Auftrag der Arbeiterkammer ergab, dass von den rund 2.000 befragten fünf Prozent mindestens einmal pro Woche Crowdwork erledigen.

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Er habe ständig gefroren und geschwitzt, manchmal auch beides gleichzeitig, sagt Lukas Hausner (echter Name der Redaktion bekannt), der als Fahrradkurier für den Lieferdienst Foodora gearbeitet hat. Der 28-Jährige hat diese Einkommensquelle dennoch gebraucht, weil sein eigentlicher Job nicht genug Geld brachte. Für die Arbeit als Kurier hat sich der Barbetreiber vor allem deshalb entschieden, weil sie "einfach" sei: Eine spezielle Ausbildung ist nicht notwendig, wer ein Fahrrad und ein Smartphone besitzt, kann anfangen.

Zusammen mit Uber und Co steht Foodora für eine Entwicklung, die unter dem Schlagwort "Gig-Economy" firmiert. Wie Musiker, die nur einzelne Auftritte ("Gigs") haben, werden die neuen Freiberufler nur kurzfristig und kurzzeitig engagiert.

Auch die Plattformen Amazon Mechanical Turk oder Clickworker funktionieren so. Freelancer erledigen einfache Tätigkeiten, sogenannte Mikrotasks: Sie ordnen Videos Schlagworte zu, überprüfen, ob Fotos jugendfrei sind. Sie checken, ob die Öffnungszeiten und Telefonnummern von Restaurants korrekt angegeben sind, ob Informationen doppelt auf einer Internetseite vorkommen, oder beantworten Fragebögen. Weil die Freelancer Teil einer kaum bekannten Masse sind, ist häufig auch von "Crowdworking" die Rede.

Unternehmen experimentieren

Experten sehen diese Arbeitsform immer stärker im Aufwind. Die britische Arbeitssoziologin Ursula Huws prognostiziert etwa, dass das Arbeitskonzept auch in den herkömmlichen Arbeitsmarkt "überschwappt".

So gut wie jedes Unternehmen, das er kennt, habe bereits Jobs an die Crowd vergeben, sagt der deutsche Wirtschaftsinformatikprofessor Jan Marco Leimeister. "Fast alle experimentieren damit", so Leimeister gegenüber der deutschen Zeitung "Die Zeit". Eine aktuelle globale Studie des Beratungsunternehmens Deloitte gibt ihm recht: Darin gibt die Hälfte der 11.000 befragten Führungskräfte an, bereits mit Freelancern und Crowdlösungen zu arbeiten. Der Vorteil: Sie können flexibler auf Aufträge reagieren, müssen nicht immer extra Personal anstellen.

Einzige Chance oder freie Wahl?

Die Crowdworker selbst hingegen profitieren seltener. Sie arbeiten auf eigenes Risiko, haben keine geregelten Arbeitszeiten und sind nicht für den Krankheitsfall oder das Alter abgesichert. Auch der Verdienst ist meist gering. Auf Mechanical Turk gibt es einige Cent pro erledigten Job, für etwas aufwendigere teilweise auch ein paar Euro. Man gehe davon aus, dass Mitglieder 9,50 Euro pro Stunde verdienen, heißt es auf der Website von Clickworker. Blogger, die das Portal getestet haben, geben an, durchschnittlich fünf oder sechs Euro pro Stunde verdient zu haben.

Lukas Hausner erhielt als freier Dienstnehmer bei Foodora vier Euro pro Stunde Fixlohn und zwei Euro pro Auslieferung. Anfangs sei er damit im Schnitt auf acht Euro pro Stunde gekommen, später, als er sich besser in der Stadt auskannte und die kürzesten Wege wusste, auf zehn. Zuschläge für Wochenenden oder Nachtdienste gab es nicht. Trinkgeld sehr selten.

Nach einem Jahr wurde ihm der Job zu anstrengend, sagt Hausner. Zudem habe sich dieser kaum gerechnet, da er einen guten Teil seines Verdienstes in sein Equipment investieren musste.

Fünf Prozent sind Crowdworker

Erste Studien legen dar, wie viele bereits mit Crowdworking Erfahrung gemacht haben. Ein Report der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf zeigt, dass längst mehr als 20 Millionen Menschen auf den elf größten Crowdsourcing-Plattformen registriert sind. In Österreich hat laut einer Umfrage, die die Soziologin Huws gemeinsam mit ihrem Team durchführte, knapp jeder Fünfte kürzlich über eine der Plattformen gearbeitet. Fünf Prozent tun dies mindestens einmal pro Woche.

Für einige von ihnen ist Crowdworking die einzige Chance auf Einkommen, anderen, wie Hausner, erwächst so ein Nebenerwerb. Sie wollen sich zusätzlich zu ihren regulären Jobs absichern.

Wieder andere entscheiden sich aus freien Stücken für diese Arbeitsform. Sie wollen flexibel, orts- und zeitungebunden arbeiten. Sie sind mehrheitlich gut ausgebildet und halten nach attraktiven Aufgaben Ausschau.

Einer von ihnen ist Alexander Suchy. Der Creative Director aus Berlin hat Werbesujets für Audi, Henkel und Nike, für Hornbach und die Telekom entworfen. Er gestaltet Poster, Logos und Websites. Auch Film und Schnitt kann er. Am liebsten arbeitet der 32-Jährige für NGOs und Umweltorganisationen, solche, "die mich inhaltlich interessieren".

Suche nach "coolen" Projekten

Registriert ist Suchy bei Jovoto. Über die Plattform helfen rund 110.000 Kreative aus der ganzen Welt Unternehmen, Werbeagenturen und NGOs bei der Ideenfindung – von Architektur über Produktdesign bis hin zu Kommunikation. Die Vergabe von Aufträgen läuft folgendermaßen ab: Firmen schreiben ihre Projekte aus, Jovoto bietet sie rund 100 Freelancern an, die sich dafür melden können. Eine Auswahl arbeitet dann gemeinsam in Teams daran.

Stressig und unsicher, könnte man meinen – Jovoto-Gründer und CEO Bastian Unterberg sieht das naturgemäß anders: "Die meisten sind hier, weil sie voneinander lernen wollen", oder eben, "weil sie nach 'coolen' Projekten suchen".

So auch Suchy. Für ihn habe Jovoto die ideale Möglichkeit geboten, schon während seines Studiums "Zugang zu großen Marken zu haben und an konkreten Projekten zu üben".
Kurz vor Abschluss des Studiums begann er, bei einer Werbeagentur zu arbeiten, blieb allerdings nur ein Jahr. "Weil ich gemerkt habe, dass die Vollzeitfestanstellung nicht so mein Ding ist", sagt der Berliner. Nun ist er eben wieder Freelancer. Und hat "selbst die Kontrolle über seine Zeit", wie er sagt. Er kann arbeiten, wann er will. "Wenn es gerade nicht so läuft, gehe ich einfach raus, mache Sport und bin dann wieder konzentrierter bei der Arbeit."

Zwei Seiten der Medaille

Im Schnitt arbeite er 30 Stunden pro Woche, seine Wochenarbeitszeit hänge aber stark von der tatsächlichen Auftragslage ab. Ebenso das Gehalt, von dem Suchy mittlerweile jedoch "ganz gut lebt und auch viel reisen kann".

Ob man mit der ständigen Unsicherheit umgehen kann, sei "eine Typfrage". Manche kämen gar nicht damit zurecht, nicht zu wissen, wie viel sie in einem Jahr verdienen werden. "Bei mir ist das eher andersherum. Für mich ist diese Arbeitsweise genau richtig", sagt Suchy.

Die Arbeit in der Gig-Economy ist also nicht nur schlecht. "Es wird zu wenig differenziert, einfach alles in einen Topf geworfen", findet Jovoto-Gründer Unterberg. Er rühmt sich damit, faire Löhne zu zahlen (die Tagessätze liegen zwischen 400 und 1.200 Euro) und mit Gewerkschaften zusammenzuarbeiten. Etwa zehn Prozent der Freelancer werden in einen geschlossenen Bereich der Plattform aufgenommen, wo sie unter anderem zu fixen Tagessätzen arbeiten können.

Digitale Talente gefragt

Auch Unterberg ist der Meinung, dass die Gig-Economy erst am Anfang steht. Im digitalen Zeitalter müssten Firmen mehr denn je innovativ sein, sich und ihre Produkte ständig neu erfinden. Dafür seien sie auf Talente von außerhalb angewiesen, denn die Belegschaft bringt die gefragten Fertigkeiten oft noch nicht mit.

Als wahrscheinliches Zukunftsszenario beschreibt er eine "Open Talent Economy", in der Unternehmen noch stärker auf einen Pool an hochqualifizierten Freelancern aus der ganzen Welt zurückgreifen. Das käme diesen ganz gelegen, sagt Anna Nowshad von Deloitte: "Viele Junge, beispielsweise junge Software-Developer, wollen nicht mehr die traditionelle Karriere machen, sondern selbstbestimmt arbeiten."

In der Open Talent Economy haben Unterberg zufolge auch die oft prekären Dienste des Essensauslieferers oder Clickworkers keinen Platz mehr. Sie werden von selbstfahrenden Autos und künstlicher Intelligenz übernommen. (Lisa Breit, 1.5.2018)