Schwere Vorwürfe gegen österreichische Blauhelme – doch die Angelegenheit ist komplexer als es auf den ersten Blick scheint.

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Das dem "Falter" zugespielte Golan-Video bezieht seine verstörende Kraft nicht nur aus den Bildern allein. Es ist die Tonspur, Sätze in einem breiten österreichischen Dialekt, die es zum Dokument einer Überforderung oder, schlimmer, des Zynismus machen, je nach Interpretation. Es ist auf alle Fälle ein Schlaglicht auf den Alltag als Uno-Soldat in einer brandgefährlichen Zone. Österreichische UNO-Soldaten in der Pufferzone auf dem Golan, in der Nähe der UNO-Position Hermon Süd, winken Ende September 2012 eine syrische Polizeistreife durch, die daraufhin in einen Hinterhalt von Schmugglern – von dem die Österreicher wissen – gerät: Die österreichischen Uno-Soldaten verhalten sich "neutral", sie beobachten die Kriminellen beim Aufbau ihrer Falle, sie sehen, filmen und kommentieren eine Stunde später, wie die neun Syrer erschossen werden.

Die Österreicher haben den Vorfall nicht verheimlicht. Er wurde am 29. September 2012 in die tägliche Lageberichterstattung der UNDOF (United Nations Disengagement Observer Force) aufgenommen. Ob die Soldaten ihren Vorgesetzten über die Details, die Vorgeschichte informierten, ob es dessen Entscheidung war oder die einer höheren Instanz, es dabei zu belassen und die Sache nicht weiter zu verfolgen, weiß man noch nicht.

Sich an der Sprache der österreichischen Soldaten zu stören, liegt nahe, ist jedoch eine leichte Übung. Emotionen und Angst finden nicht immer die nobelsten Ausdrucksformen. Die Österreicher empfanden Gefahr von beiden Seiten, von den Kriminellen und von den Sicherheitskräften. Wobei das jener Teil der Geschichte ist, der die Österreicher im schlechtesten Licht dastehen lässt: Wenn alle Syrer tot sind, können sie sich nicht an uns rächen, dass wir sie nicht gewarnt haben.

"Entflechtungsbeobachtung"

Das Verteidigungsministerium und auch die UNO werden den Vorfall untersuchen, dabei geht es um die Handlungen und Verantwortungen von Individuen. Aber es sind prinzipielle Fragen, mit denen sich die Ermittler befassen müssen.

Die UNDOF hat, wie der Name schon sagt – eine Truppe zur "Entflechtungsbeobachtung" – das Mandat, den Waffenstillstand zwischen Israelis und Syrern zu überwachen. Diese Beobachtung geschieht in einem neutralen Rahmen, unter großer Zurückhaltung, Einmischung ist nicht vorgesehen. Im Mandat ist auch nicht enthalten, dass die UNO-Soldaten in Auseinandersetzungen zwischen syrischen Sicherheitskräften und Kriminellen eingreifen – oder auch zwischen Sicherheitskräften und Rebellen, denn auch das ist ein mögliches Szenario. 2012 war das Jahr, in dem der Aufstand in Syrien an Fahrt aufnahm. Die UNO war darauf nicht vorbereitet. Es gibt unterschiedliche Rechtsmeinungen dazu, ob die Österreicher dazu verpflichtet gewesen wären, die syrischen Polizisten vor dem Hinterhalt zu warnen.

Die Gefährdung war Realität

Der Abzug des österreichischen Uno-Kontingents nach fast 40 Jahren war 2013 hoch umstritten. Noch immer – vor allem angesichts der internationalen Vermittlungsambitionen, in denen sich diese Bundesregierung wieder ergeht – kann man den schlechten Eindruck beklagen, den Österreich damals hinterließ, als es seine Präsenz am Golan ziemlich plötzlich einstellte. Unverlässlich. Aber wenn Vorfälle wie dieser 2012 wirklich beinahe zum Alltag gehörten, wie es nun von mehreren Seiten heißt, dann ist zumindest klargestellt, dass die Gefährdung Realität war.

Das UNO-Mandat wurde 1974 formuliert, 2012 deckte es plötzlich nicht mehr die Situationen ab, denen Soldaten ausgesetzt waren – wobei in den Jahren darauf die Gemengelage noch viel komplizierter wurde, mit der Präsenz von Regime-Sicherheitskräften, für das Regime kämpfende Milizen, Rebellengruppen aller Couleurs und, damit vermischt, die üblichen Schmuggler. Dennoch ist die UNDOF noch immer dort, und das aufgetauchte Video kann auch ein Anlass sein, sich mit der Leistung dieser Mission und ähnlicher zu beschäftigen. (Gudrun Harrer, 28.4.2018)