In Wien steigt die Zahl an Käsegeschäften.

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Ob Käse tatsächlich den Magen schließt, darüber lässt sich seit jeher vortrefflich diskutieren. Dass Käse mehr kann, als mit obskuren Chutney-Kreationen nach dem Dessert für postprandiale Müdigkeit zu sorgen, ist unumstritten. Wer sich abseits der bemüht inszenierten, aber schon besser sortierten Supermarktkäsetheken bewegt, wird überrascht sein, wie speziell handwerklich erzeugter Käse schmecken kann. Möglichkeiten bieten unzählige Käsestände – zum Beispiel auf Wiener Märkten. Ergänzend steigt auch die Zahl an Läden, die ihr Geschäft ausschließlich auf Käse ausgerichtet haben – ein mutiges Unterfangen in Österreich.

Rund 80 verschiedene Sorten gibt es im "Edelschimmel", einer Käsebar in Wien-Alsergrund, zu verkosten. Vor rund einem halben Jahr hat Sterne-Gastronom Wolfgang Zankl-Sertl (Pramerl and the Wolf) den unscheinbar wirkenden Laden in der Servitengasse eröffnet. Mit einem klassischen Käsegeschäft hat diese Bar allerdings nicht viel zu tun.

Entspannte Musik, strahlend weiße Wände und Hochtische mit Marmorplatten sollen Käseliebhaber zum Dableiben animieren. In einer riesigen Glasvitrine lagern Blauschimmel-, Rotschmier- und Weißschimmelkäse. Der Hartkäse liegt im Glaskühlschrank nebenan. Und da gibt es noch die "Arbeitsvitrine", in der Käse auf die perfekte Verzehrtemperatur gebracht wird, um sich von seiner besten Seite zu zeigen.

Wein, Käs und Gesang

Klaus Gassner, der den Laden gemeinsam mit Käsesommelière Sarah Vobr schupft, stellt für Sitzenbleiber unterschiedliche Käseselektionen zusammen und kombiniert sie mit passendem Wein: "Wein und Käse haben viel gemeinsam. Man hat ein Rohprodukt, das unterschiedlich verarbeitet wird. Käse aus Kuh-, Schaf- oder Ziegenmilch könnte man mit Rebsorten wie grüner Veltliner, Welschriesling und Blaufränkisch vergleichen.

Die Handschrift des Produzenten ist stark spürbar. Was ich am spannendsten finde, ist der regionale Geschmacksunterschied. Man schmeckt, ob der Käse aus Savoyen, Vorarlberg oder der Steiermark kommt, vergleichbar mit dem Terroir beim Wein". Am liebsten verkauft der Käse-Experte Produkte von kleinen Produzenten.

"Die Industrialisierung hat viel Schaden angerichtet. Irgendwann gab es hierzulande nur noch Frischkäse und Bergkäse. Wir junge Freaks tragen dazu bei, dass man wieder Zugang zu spezielleren Käsesorten bekommt", sagt Gassner.

Dabei hat Käse auch hierzulande eine lange Tradition. Die ersten Aufzeichnungen über die Käseherstellung im Kärntner Gail- und Lesachtal gehen bis ins Jahr 1375 zurück. Und die Vielfalt an speziell in Österreich erzeugtem Käse ist hoch. Zu den Klassikern gehören neben dem Tiroler Bergkäse beispielsweise der Glundner Käse aus Kärnten, der Vorarlberger Räßkäse oder der Pinzgauer Bierkäse. Aber auch weniger traditionelle Käse werden mittlerweile erzeugt.

Wie breit das Spektrum ist, zeigt Käsesommelière Daniela Thaier-Pavel in ihrer "Käseschatztruhe" in Wien Wieden. 90 Prozent ihrer Käse stammen von Betrieben aus Österreich. Beim Verkauf sei viel Überzeugungsarbeit notwendig, wie sie sagt.

"Unsere Käsekultur ist nicht mit jener aus Frankreich vergleichbar. Die Franzosen lieben Käse und sind stolz auf ihre vielen Käsemacher. Sie wissen das Produkt viel mehr zu schätzen. Hier gibt es oft noch Berührungsängste mit Käse. Es wird noch etwas dauern, bis wir es den Franzosen gleichtun", sagt die gebürtige Rumänin, die eher durch Zufall zum Käse gekommen ist. "In meinem Land gibt es überhaupt keine Käsekultur. Außer Topfen, Frischkäse oder Brimsen haben wir nichts. Ich war fasziniert, als ich das erste Mal auf einem Bauernhof gesehen habe, wie durch Handarbeit aus Milch so viele unterschiedliche Dinge entstehen können."

Hippe Käsekenner

Ein totaler Quereinsteiger ist auch Clemens Castan. Der Deutsche mit französischen Wurzeln hatte schon immer eine Schwäche für guten Käse. Nach drei Tagen in einer Käserei in Bern wusste er, das Käsemachen ist nicht das Seine – das Käseverkaufen hingegen schon. Also ging er nach London, um Schweizer Käse an den Mann zu bringen und das Geschäft von "Jumi"-Käse mitaufzubauen.

Mittlerweile gibt es einen fixen Stand am bekannten Londoner Borough Market und das Geschäft mit dem Schweizer Käse funktioniert auch in Wien. Vor ein paar Monaten ist Castan mit seinem Geschäftspartner Veith Watzal in ein größeres Geschäft in Wien-Josefstadt, nur ein paar Häuser weiter, umgezogen. Im hippen Laden mit lauter Musik, Diskokugel an der Decke und überdimensionaler Milchkanne, steht ein riesiger, zur Kühltheke umfunktionierter Emmentaler-Käsekessel. Darin lagern bekannte Jumi-Klassiker wie die Belper-Knolle, eine Art gereifter Hartfrischkäse mit Knoblauch und Pfeffer.

"Wir haben damals mit acht eigenen Käsesorten angefangen. Ich bin vor vier Jahren noch am Brunnenmarkt gestanden und habe Käse verkauft. Heute funktioniert das Geschäft gut und Kunden wissen, was sie bei uns bekommen. Unsere Mitarbeiter sind keine gelernten Käsesommeliers, sondern meistens Quereinsteiger wie ich. Käse essen sie aber alle gern", sagt Castan, während er gerade eine Palette mit riesigen Käselaiben entgegennimmt, die direkt aus der Schweiz geliefert werden. (Alex Stranig, RONDO, 25.5.2018)

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