Seine Heroes findet der Gestalter-Shootingstar Sebastian Herkner nicht in der Zunft des Designs, sondern unter den Handwerkern.

Foto: Lutz Sternstein

Was die Entwürfe von Sebastian Herkner eint, ist ihre Verbundenheit mit handwerklichen Traditionen und besonderen Materialien, egal ob bei Thonet, Classicon, Dedon, Ames Sala oder der Edition Van Treeck (v. o.).

Fotos: Thonet; Classicon; Dedon; Ames Sala; Edition Van Treeck; Hersteller; Andres Valbuena

Sebastian Herkner gehört zu den Menschen, die vor dem Kaffeehaus warten, wenn eine Verabredung noch nicht da ist. Er ist groß gewachsen, unscheinbar und könnte auch ein Student zwischen zwei Vorlesungen sein. Das Café Eiles mit seinen kleinen Sitznischen gefällt ihm. "So etwas würde man heute gar nicht mehr so bauen", sagt er.

Herkner möchte wissen, was er sich in Wien alles ansehen soll. Das Museumsquartier? Schiele? Das 21er-Haus? Man empfiehlt ihm, mit der 2er-Straßenbahn, die vor dem Café hält, bis zur Endstation und wieder zurückzufahren. Die Idee gefällt ihm. Doch zuvor trinkt er noch einen Pfefferminztee und beantwortet einige Fragen.

STANDARD: Kein Name in der Designszene erzielt derzeit so viel Aufmerksamkeit wie der Ihre. Wieso?

Sebastian Herkner: Keine Ahnung.

STANDARD: Nicht zu bescheiden, bitte!

Herkner: Ich arbeite sieben Tage die Woche.

STANDARD: Das tun andere auch.

Herkner: Vielleicht hat es damit zu tun, dass all meine Projekte aus dem Handwerk kommen. Da gibt's kein Hightech oder Engineering. Gleichzeitig probiere ich Neues aus. Das scheint den Zeitgeist zu treffen. Sehr viel Handwerk ist in den letzten Jahrzehnten verschwunden. Mich hat das schon während des Studiums beschäftigt.

STANDARD: Wo liegt denn die Ursache für diesen Handwerks-Hype?

Herkner: Auf der einen Seite ist es eine Referenz an die "gute alte Zeit". Und das meine ich gar nicht nostalgisch. Es hat etwas mit Wertigkeit zu tun. Heute ist alles so transparent. Nehmen wir die Cloud her, in die wir alles Mögliche hineinladen, ohne wirklich zu wissen, was das Ding eigentlich ist. Außerdem ist das Qualitätsbewusstsein gestiegen, schauen Sie sich doch nur all die Biomärkte an.

STANDARD: Das heißt, vor 20 Jahren hätten Sie mit Ihren Objekten diesen Erfolg nicht gehabt?

Herkner: Wahrscheinlich nicht. Ich war mutig, auch mit der Wiederverwendung von Materialien, die lang als "out" galten. Damals haben mich viele Kollegen belächelt.

STANDARD: Zurück zum Hype um Sebastian Herkner. Was halten Sie von Rankings à la "Bester Designer des Jahres" etc.?

Herkner: Klar findet man sich gebauchpinselt, wenn man in dieser Liga mitspielt. Aber ich halte auch Designpreise für bedenklich. Nur weil man einen Preis für ein Objekt bekommt, heißt das noch lange nicht, dass es erfolgreich ist.

STANDARD: Wer wäre denn Ihre All-time-Nummer-eins?

Herkner: Meine Heroes sind die Handwerker, egal ob das in Kolumbien, in Italien oder hier in Wien ist.

STANDARD: Sie gelten als Sammler von handwerklichen Dingen. Was würden Sie denn hier aus dem alten Café Eiles in Wien gerne mitnehmen?

Herkner: Vielleicht die Messingleuchte dort in der Ecke. Nein, im Ernst, mir geht es um den Spirit eines Ortes. Der ist hier ganz toll. Diese über lange Zeit gewachsene Atmosphäre. Die werde ich mitnehmen.

STANDARD: Sie können Atmosphären mitnehmen?

Herkner: Ja klar.

STANDARD: Sie sammeln auch Besen. Warum gerade Besen?

Herkner: Jedes Land hat seine ganz typischen Besen. Ich habe in Asien damit angefangen. Da gibt es besonders spannende. Die zeige ich auch gern bei Vorträgen. Dabei geht es mir um die Thematisierung von Wertschätzung gegenüber Alltagsgegenständen.

STANDARD: Sie haben eine Zeitlang für die Modedesignerin Stella McCartney in London gearbeitet. Wie hat sich das auf Ihre Arbeit als Produktdesigner ausgewirkt?

Herkner: Die Arbeitsweise in der Mode ist eine andere. Vor allem eine viel schnellere. Die Modeleute denken an bis zu vier oder sechs Kollektionen pro Jahr.

STANDARD: Das wünscht sich auch so manches Möbelunternehmen. Jede Messe muss jedes Mal Neues zeigen.

Herkner: Ja, und da liegt eine Gefahr darin. Ich sehe meine Produkte als Begleiter. Sie sollen mit ihren Besitzern umziehen und alt werden.

STANDARD: In der Realität der Hersteller sieht das aber anders aus. Die Mailänder Möbelmesse ging vor kurzem zu Ende, und alle mussten natürlich Neues zeigen.

Herkner: Das stimmt. Jedes Jahr gibt es 2.000 neue Stühle. Das Marketing und die Presse verlangen danach.

STANDARD: Auch von Ihnen will man Neues sehen.

Herkner: Ich versuche, meine Produkte so zeitlos wie möglich aussehen zu lassen, möchte, dass sie langfristig funktionieren. Und sie nachhaltig zu entwerfen. Also ich würde nie eine Duftkerze in ein Marmorgefäß geben, wie andere das tun. Das ist doch Blödsinn und schade um den Marmor.

STANDARD: Warum?

Herkner: Was mache ich mit dem Ding, wenn die Kerze nach ein paar Stunden heruntergebrannt ist? Gut, ich könnte das Behältnis als Aschenbecher verwenden. Wenn ich rauchen würde.

STANDARD: Zurück zu Stella McCartney: Wie ist die denn so?

Herkner: (Sebastian Herkner lacht laut) Sie wollen die ehrliche Antwort?

STANDARD: Schon.

Herkner: Das ist fies ... Nächste Frage bitte. Nein, okay. Also ich denke, das Tolle an Stella McCartney ist, dass sie eine eigene Haltung entwickelt hat und zum Beispiel schon vor 15 Jahren sagte: "Kein Fell und kein Leder." Das war eine mutige Leistung, auch wenn hinter ihr eine wohlhabende Familie steht.

STANDARD: Könnten Sie sich auch vorstellen, wieder für die Modebranche zu arbeiten?

Herkner: Natürlich, wir starten gerade ein Brillenprojekt.

STANDARD: Und Textilentwürfe?

Herkner: Klar, wieso nicht? Man muss offen und neugierig bleiben. Kreativität geht über Möbel hinaus. Es geht darum, etwas eine persönliche Ausstrahlung zu verleihen.

STANDARD: Und wie stellen Sie das an?

Herkner: Es gibt zwei Ausstrahlungen. Zum einen die, die ich einem Produkt durch Form, Farbe, Funktion und Material gebe. Irgendwann muss ich ein Produkt loslassen können. Die zweite Persönlichkeit verleiht einem Objekt der Nutzer selbst. Wo stellt er ein Möbel hin, in welchem Kontext wirkt es etc. Darauf hab ich keinen Einfluss. Ich empfinde es als sehr spannend zu sehen, was aus meinen Möbeln wird. Über Instagram kann ich das zum Teil ja verfolgen.

STANDARD: Sie sind ein Designer, der sich auch vor Farben nicht fürchtet, ganz im Gegenteil.

Herkner: Meine Nähe zu Farben ist bestimmt durch meine Zeit bei Stella McCartney geprägt. In der Mode hat die Farbe einen ganz anderen Stellenwert. Beim Produktdesign ist es oft so, dass die Farbe erst kommt, wenn der Entwurf fertig ist. Nicht in unserem Büro. Wir zeichnen bereits die ersten Skizzen in Farben. Ich glaube nämlich, dass nicht jedes Material in jeder Farbe funktioniert.

STANDARD: Sie sagten einmal: "Design ist Kommunikation zwischen mir und dem Stift." Was sagen Sie denn dem Stift?

Herkner: Die Idee für ein neues Stück hat man immer dabei, im Auto, im Kino, im Restaurant. Man schaltet ja nie ab. Das nervt manchmal, ist aber auch eine schöne Seite des Jobs. Sichtbar wird die Idee erst, wenn ich sie mit dem Stift auf Papier bringe. Das ist eine Form von Kommunikation. Der Stift ist der erste Geburtshelfer für ein Produkt.

STANDARD: Stimmt es, dass Sie, wenn Sie als Möbelstück wiedergeboren würden, ein Schaukelstuhl sein möchten?

Herkner: Oh ja!

STANDARD: Warum?

Herkner: Weil er in Bewegung ist. Schaukelstühle sind toll.

STANDARD: Aber man sieht sie nur selten. Warum eigentlich?

Herkner: Wahrscheinlich war er den Leuten irgendwann zu spießig. Jetzt kommen alte Möbeltypen zurück, das gilt ja auch für die Daybeds oder Servierwagen. Wir haben einen Outdoor-Schaukelstuhl gemacht. Der läuft recht gut.

STANDARD: Sie leben in Offenbach. Zieht es Sie nicht nach Mailand oder Paris, oder ist es im digitalen Zeitalter egal, wo man als Designer arbeitet?

Herkner: Das ist ein Vorteil der Globalisierung. Ich sage bei Vorträgen zu jungen Leuten, dass sie nicht mehr unbedingt nach Mailand oder London ziehen müssen. Das verringert auch den finanziellen Druck auf angehende Gestalter. Den Rest erledigt man digital. Ich sehe jetzt schon auf Instagram, was auf bevorstehenden Messen zu sehen sein wird. Ich denke übrigens, die Mailänder Messe wird es in 20 Jahren in der Form nicht mehr geben.

STANDARD: Was dann?

Herkner: Marken inszenieren zunehmend anders, laden zu Events in private Locations ein etc. Die Aktivitäten werden mehr und mehr zum Happening. Auf der Messe hat man unzählige Stände mit tausenden sich ähnelnden Möbeln. Das wird so nicht mehr funktionieren. Es muss überschaubarer werden. Entspannter. (Michael Hausenblas, RONDO, 21.7.2018)

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