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Foto: Reuters / Ammar Awad

Wien – Zu den dramatischen Szenen, die sich am 29. September 2012 auf den Golanhöhen abgespielt haben, startet das Verteidigungsministerium noch diese Woche seine Befragungen: "Die Kommission besteht aus vier Juristen", so Oberst Michael Bauer.

Weil nahe der UN-Position Hermon Süd österreichische Blauhelme neun Syrer in einem weißen Pick-up in einen Hinterhalt fahren haben lassen und gleich darauf alle Insassen im Kugelhagel starben, gilt es den Vorwurf zu klären, ob die Soldaten durch etwaigen Verzicht auf explizite Warnungen die Sicherheitskräfte womöglich in den sicheren Tod geschickt haben.

Parallel dazu ermittelt seit Wochenbeginn die Staatsanwaltschaft Wien. Konkret prüft die Behörde, unter welchen Tatbestand das Verhalten der UN-Militärs fallen könnte, wie man auf Anfrage bestätigte. Dem Vernehmen nach geht es vor allem um den Verdacht auf Mord durch Unterlassung.

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Österreichische UN-Soldaten 2013 beim Abzug von den Golanhöhen: Rund um das Massaker 2012 gerieten auch die Blauhelme selbst oft unter Beschuss.
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Seit Publikwerden von Videoaufzeichnungen via "Falter" gilt als gesichert, dass es sich bei den Ermordeten um Mitglieder der syrischen Geheimpolizei handelte, nicht jedoch, wer auf sie konkret das Feuer aus einem Versteck eröffnet hat. Österreichs Blauhelme vor Ort, die das Geschehen filmten und zum Teil deftig kommentierten ("Winkt's nur, solang ihr noch könnt!"), sollen von Schmugglern ausgegangen sein, die eine Racheaktion planten.

Im UN-Vermerk zu dem Vorfall ist im Konnex mit den dreizehn Bewaffneten von Oppositionellen zu lesen – was auf ein Komplott gegen das Regime von Bashar al-Assad hindeuten könnte. Offiziell spricht man bei den Vereinten Nationen von einem "verstörenden Video".

Aufzeichnungen des Verteidigungsministeriums aus diesen Tagen, die dem STANDARD vorliegen, zeigen jetzt jedoch auf, dass in der "entmilitarisierten Zone", in der seit 1974 syrische und israelische Streitkräfte auf Distanz gehalten werden sollen, offenbar schon Wochen und Monate davor geschossen wurde – im Zuge des syrischen Bürgerkriegs.

Bei Beschuss ab in den Bunker

Von besonderer Brisanz: Auch diese Vorfälle spielten sich vor den Augen der UN-Soldaten ab, die per Mandat zum bloßen "Beobachten und Melden" angehalten worden sein sollen – wenn sie selbst nicht gerade in die Bunker flüchten mussten. Denn die Soldaten waren "oft unter Beschuss", sagt Bauer.

Vier Tage vor dem Tod der neun Syrer, am 25. September 2012 etwa, lieferten sich ab 6 Uhr Rebellen mit der syrischen Armee Kampfhandlungen. Laut Verteidigungsressort kamen dabei "Handfeuerwaffen, Panzerabwehrrohre und Granatwerfer" zum Einsatz. Gemäß Protokoll verzeichneten die Blauhelme um 9.45 Uhr fünf verletzte Rebellen, die "bei Position 37 um Erste Hilfe" ersuchten. Allein an diesem Tag mussten schließlich "21 Verwundete", davon "17 Rebellen, 4 SAAF" (also syrische Soldaten, Anm.), versorgt werden.

In der Nacht, so die Aufzeichnungen, feuerten dann syrische "Kampfpanzer und Fliegerabwehr" in die angeblich entmilitarisierte Zone, die Aufständischen hielten still, dafür übernachteten gut zwei Dutzend "Zivilisten in der Nähe der Position 37".

Zwischen Granatwerfern und Streumunition

Am 1. Oktober 2012, zwei Tage nach dem Massaker rund um den Pick-up, registrierten Österreichs Soldaten "in den Morgenstunden den Einsatz von Streumunition". Alle Protestnoten der Uno zeigten bekanntlich keine Wirkung.

Ebenso wenig das monatelange Drängen von Österreichs Regierung auf Empfehlung des heimischen Generalstabs, doch das zahnlose UN-Mandat zu adaptieren und die Blauhelme, nur mit Splitterschutzwesten und Gewehren mit einer Einsatzschussweite von 300 Metern ausgestattet, besser auszurüsten, wie ein damaliger Spitzenpolitiker, nun Privatmann, dem STANDARD bestätigt.

Im Juni 2013 verkündete die Republik nach knapp vierzig Jahren als Truppensteller den Abzug des österreichischen Kontingents. Der Ex-Politiker dazu heute: "Wenn man jeden Tag eine DIN-A4-Seite voll mit solchen Vorfällen am Schreibtisch hat, konnte man nicht anders, als die Reißlinie zu ziehen." Von den Details bei Position Hermon Süd am 29. September 2012 hat er bis vor wenigen Tagen übrigens "keine Kenntnis" gehabt. (Nina Weißensteiner, 1.5.2018)