Was genau es war, werde ich wohl nie rauskriegen. Es ist aber auch nicht so wichtig. Denn schon am Tag danach war da nichts mehr: Das Meer war weder bedrohlich noch furchteinflößend. Respekt? Klar. Aber da waren weder Angst noch Panik. Was mich tags zuvor beim Open-Water-Schwimmen in Cesenatico so kalt erwischt hatte, dürfte ein einmaliges Ereignis gewesen sein. Ich habe davon vergangene Woche hier erzählt – als Puzzlestein einer Geschichte über mein Trainingscamp in Cesenatico.

Foto: Thomas Rottenberg

Das hatte mein Coach und Vereinschef Harald Fritz hier organisiert. Rund 25 Triathletinnen und Triathleten aller Alters- und Leistungsklassen gaben sich in der Region von Rimini eine Woche lang ein mehr als intensives Trainingsprogramm. Sie waren damit nicht allein: Allein in unserem Hotel waren noch drei andere Triathlongruppen. Und die Gegend ist in der Vorsaison als Rad- und Trainingslocation legendär.

Foto: Thomas Rottenberg

Auch weil das hügelige Hinterland ein Radlertraum ist: Der Giro kommt hier vorbei. Die "Nove Colli" sind ebenso Kult, wie mit dem Rad hinauf nach San Marino zu fahren – und dort entweder den Blick auf den historischen Stadtstaat zu genießen oder von oben in die hügeligen Weiten Italiens zu schauen. Und sich dann wieder hinunterzustürzen.

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Wobei da eines oft ausgelassen wird: Der Zustand der Straßen spottet jeder Beschreibung. Schlaglöcher und Fahrbahnschäden erinnern eher an Straßen im Ostblock vor dem Fall des Eisernen Vorhanges als an ein Land, in dem Rennradfahren nationale Identität ist. In Kombination mit den minimalen Seitenabständen, die für die meisten italienischen Auto- und Lastwagenfahrer normal sind, wird das langsam ein echtes Problem.

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Auch für die Hotellerie: Rad- und Trainingsgruppen sind in der Vorsaison ein zentraler touristischer Umsatzbringer der Region um Rimini. Doch auch anderswo umwirbt man längst diese zahlungskräftigen Zielgruppen. Beschwerden führen zu Stornos und Rückgängen – in einem Segment, das überall sonst zulegt. Bei aller Freude am und für das Radfahren in wundervollen Hügellandschaften und das Meer entlang: Das muss man wissen.

Foto: Thomas Rottenberg

Obwohl ich es bedauern würde. Auch weil es wenig Schöneres gibt, als am Meer zu laufen. Klar ist Sand schwerer Boden. Klar ist das hängende Profil auch des flachsten Strandes auf Dauer zach. Und klar ist die Verlockung groß, statt neben eben ins Wasser zu laufen. Insbesondere dann, wenn man ganz bewusst läuft, wenn die Sonne hoch steht – und zeigt, was sie draufhat.

Egal: Strandläufe sind einfach schön.

Foto: Thomas Rottenberg

In Cesenatico waren die Strandläufe das "Entspannungsprogramm" – eben weil Boden und Sonne kein knackiges Laufen zuließen. Gleichzeitig ist Laufen bei Hitze aber ein Stück Tri-Training: Schon bei der Halbdistanz, nach 1,9 Kilometern Schwimmen und 90 am Rad, ist man beim Halbmarathon tendenziell in der Mittagshitze unterwegs. Wer das nie geübt hat, hat eher schlechte Karten.

Foto: Thomas Rottenberg

Die Strandläufe waren aber auch ein guter Ort, um etwas ganz anderes zu "trainieren": den Umgang mit der Wings-for-Life-World-Run-App.

Denn wenn am kommenden Sonntag weltweit wieder zugunsten der Rückenmarksforschung nicht auf eine Ziellinie zu, sondern vor ihr davongerannt wird, hat längst nicht jeder und jede, der oder die dabei sein möchte, eine Startnummer ergattert: Die 13.500 Startplätze für Wien etwa sind seit einem Monat weg. Wer wie ich bis zuletzt nicht wusste, wo er am Sonntag sein würde (oder einfach zu spät kam), steht blöd da.

Gleichzeitig gibt es aber auch Leute, die vorab herausfinden wollen, wie lange sie wohl unterwegs sein werden, bevor das "Catcher Car", das das Feld von hinten aufrollt, sie aus dem Rennen wirft.

Foto: Thomas Rottenberg

Genau das kann man via App simulieren, egal wo – etwa bei einem gemütlichen Strandlauf. Die World-Run-App ist deppensicher, und im Gegensatz zum "echten" World Run hat sie den Vorteil, dass es bei "Los" sofort losgeht: Wie beim "echten" World Run startet auch das virtuelle "Catcher Car" exakt 30 Minuten nach dem Startschuss. Doch im Gegensatz zum echten Lauf "verliert" man nicht jene Zeit, die man braucht, um im Pulk überhaupt ins Rennen zu kommen.

Foto: Thomas Rottenberg

Mit der App zu spielen zahlt sich auch aus einem anderen Grund aus: Man findet darin organisierte World-Run-Treffs in etlichen Ecken Österreichs und dem Rest der Welt. Start ist überall um Punkt 13 Uhr, und gerannt wird, bis einen das virtuelle "Catcher Car" einholt. Was ich noch nicht ganz herausgefunden habe, ist, ob irgendwer vor Ort Routen vorgibt oder jeder einfach loslegt, wie und wohin es gerade lustig ist. Vermutlich werde ich es am Sonntag erleben.

Nebenbei: Die App ist gratis. Dass es eine Frage des Anstands ist, beim virtuellen World Run die Charity-Startgebühr zu bezahlen oder zu spenden, erwähne ich nur der guten Form halber.

Foto: Thomas Rottenberg

Zurück nach Italien. Dort war die App nur ein Gimmick beim Spazierlaufen über den Strand in eines der Cafés. Bei den knackigeren Läufen hatte nämlich niemand Lust, irgendwas mitzuschleppen, was nicht unbedingt dabei sein musste. Die Standardlaufstrecke führt durch einen Pinienwald parallel zum Strand. Vier Kilometer über teils wurzeldurchzogenen Boden. Mal im Schatten, mal in der Sonne, vorbei an Familien, Chillern und Flaneuren. Eigentlich stimmig und schön. Wir hassten die Strecke ab der zweiten Runde. Und liefen selten nur zwei.

Foto: Thomas Rottenberg

Was wir liebten, ist das, was es in Österreich eben nicht gibt: Salzwasser-Open-Water-Schwimmen. Auch wenn das Mittelmeer meist so plan wie ein Tischtennistisch ist, gab es speziell in der Früh doch auch Momente mit echten Wellen.

Und obwohl Schwimmen meine mit Abstand schwächste Disziplin ist und ich aufgrund der Panikattacke beim ersten Mal genau in mich hineinhörte, war das exakt meins. Klar, da ist technisch sehr viel Luft nach oben. Ablandige Strömungen können tückisch sein. Das Orientieren ist bei Wellen gleich noch ein Stück schwieriger. Trotzdem: Ich liebe es, und es fehlt mir jetzt schon.

Foto: Thomas Rottenberg

Doch die italienische Reise war nur ein Teil dieses Trainingstrips. Schließlich liegt auf halbem Weg zwischen Cesenatico und Wien Klagenfurt. Wer in Österreich "Triathlon" sagt, meint irgendwann einmal meist auch den Ironman-Bewerb ebenhier: die Volldistanz.

Nach einer Woche Tri-Training in Italien spricht dann wenig dagegen, hier einen Zwischenstopp einzulegen und sich das Herzstück des Bewerbs anzusehen: die Radstrecke. 90 Kilometer, im Wettkampf zweimal zu fahren. Legendär ist nicht zuletzt der Rupertiberg: Den ohne Wettkampfstress einmal gefahren zu sein kann kein Nachteil sein.

Foto: Thomas Rottenberg

Wir hatten Glück. Vielleicht hatte ja auch irgendwer mitgedacht: Seit 2001 gibt es den "autofreien Wörthersee". An diesem Tag ist die Seeumfahrung für Fahrräder, Skates, Tretroller und andere Formen nichtmotorisierter Fortbewegung reserviert.

Beim ersten Mal waren 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gezählt worden, heuer sprachen die Lokalmedien von 60.000. Dass sich die Politik da in die erste Reihe drängt, ist klar: Beim Start munterte Klagenfurts Bürgermeisterin Maria-Luise Mathiaschitz gemeinsam mit wichtigen Männern die Teilnehmer auf. Und in der Nähe von Velden drückte dann Landeshauptmann Peter Kaiser an einer Labestelle meiner Freundin und meinem Coach eine Flasche Apfelsaft in die Hand – und gratulierte den beiden, dass sie hier als Läufer unterwegs waren.

Foto: Thomas Rottenberg

Läufer? Na klar! Eva und Harald visieren gerade andere als Tri-Ziele an – sie brauchen deshalb hohe Laufumfänge.

Während wir uns auf den Rädern durch den fröhlichen, dichten Sonntagspulk schlängelten, brachen die beiden von Klagenfurt aus zu einem Longjog auf. "Zwei Stunden, stressfrei" lautete der Plan.

Die beiden waren so wie eine Handvoll andere Läufer deutlich vor den Radfahrern gestartet. Aber nach etwa drei Kilometern hatten wir Eva und Harald eingeholt.

Foto: Thomas Rottenberg

Der Anfang unserer Runde war großartig: keine Autos. Gemütlich. Lachende Gesichter. Familien. Kinder mit Luftballons am Rad. Hin und wieder ein paar andere Rennradfahrer. Dass man in so einem Setting supervorsichtig, rücksichtsvoll und defensiv fährt, versteht sich von selbst.

Gas geben und andrücken, wussten wir, würden wir früh genug: Die Ironman-Strecke führt weit über den See hinaus und schwenkt Richtung Rosegg. Von dort geht es nach Faak und dann über den Rupertiberg zurück nach Klagenfurt. Ein Klassiker. Eine Traumstrecke. Hügelig-anspruchsvoll und schnell. Wir freuten uns darauf. Bis es knallte.

Foto: Thomas Rottenberg

Wir hatten nämlich etwas übersehen: das GTI-Treffen. Das findet zwar erst in zwei Wochen statt, aber schon jetzt sind Kärntens Straßen fest in den Händen von GTI-Freaks und Tunern aus ganz Europa. "Vortreffen" nennt sich das.

Die meisten Teilnehmer sind harmlos, lustige Spinner. So wie wir Geld, Energie, Zeit und Liebe in unseren Wahnsinn investieren, tun sie es eben mit ihrem. Und darf jemand, der ganze Abende über Fahrradkomponenten, Laufschuhe und Laufuhren philosophieren kann, sich über die Liebe anderer zu Autoteilen mokieren? Eben.

Wer sein Auto dermaßen liebt, riskiert in der Regel nicht, dass ein von einem Radreifen hochgewirbelter Kiesel den teuren Lack beschädigt. Auch wenn ich ausgeräumte Auspüffe und hochtouriges Fahren reichlich gestört finde und es vermutlich bei jedem Wagen tausend amtliche Beanstandungsgründe gäbe: Die (de facto ausschließlich) Jungs halten halbwegs Abstand – und man hört sie kommen. Meistens.

Foto: Thomas Rottenberg

Denn es gibt auch die anderen. Und den Moment, wenn sich bei einer Bergabfahrt bei fast 60 km/h ein getunter Golf im Leerlauf von hinten anpirscht und dann – im toten Winkel und mit kaum fünf Zentimetern Seitenabstand – eine absichtliche Fehlzündung macht, Vollgas gibt und dabei das Lenkrad kurz nach rechts verreißt, wünsche ich niemandem. Nicht einmal dem Herrn aus Rijeka, dessen Spiegel ich am Oberschenkel spürte, bevor ich kurz aufs Bankett scherte: Das war kein Versehen. Das ist auch nicht lustig. So etwas rangiert zwischen versuchter schwerer Körperverletzung und Mordversuch.

Foto: Kleine Zeitung

Der Golf aus Rijeka war die Spitze des Eisbergs. Aber nach ein paar ähnlichen, nicht ganz so argen, aber ebenso unguten Erlebnissen beschlossen wir, Faak auszulassen und über kleine und kleinste Nebenstraßen weiterzufahren.

Später, im Hotel und in Klagenfurt, erzählten uns Rezeptionisten, Kellner, Kaffeehausgäste und Verkäufer ungefragt von ihren GTI-Erlebnissen und dem, was Anrainer der Region da durchmachen. "Unerträglich" war noch das positivste Vokabel.

Foto: Thomas Rottenberg

Den Rupertiberg ließen wir uns aber nicht nehmen oder miesmachen. Dort war erstaunlicherweise auch kaum Verkehr. Ich war, obwohl ziemlich leer und immer noch leicht unter Schock, fast enttäuscht, als sich der so heftig beschworene Berg als mittelkleiner Hügel entpuppte.

"Wart nur ab, wie sich das bei der zweiten Runde anfühlt. Im Rennen und nachdem du auch schon Faak raufgefahren bist", dämpften Irene und Daniel meine "Eh easy"-Euphorie. Ich weiß, dass sie recht haben – aber es fühlte sich in dem Augenblick anders an.

Foto: Thomas Rottenberg

Nach dem Rupertiberg geht es zügig nach Klagenfurt. Dort, am See, war Autofrei-Volksfest. Wir chillten und warteten: Eva und Harald waren noch nicht da. Wir dachten, dass wie wohl in Velden aufs Boot gegangen waren und jetzt gemütlich über den See zurückschipperten.

Weit gefehlt. Denn plötzlich kamen sie angelaufen – über den Uferweg. Die beiden hatten kurzfristig unterwegs beschlossen, den See zur Gänze zu umrunden. Gemütlich und mit einer (nicht mitgetrackten) Trink- und Gehpause beim Schlosshotel Velden (inklusive Landeshauptmann-Catering) hatten sie je 36,5 Kilometer am Tracker – und wirkten trotz der sommerlichen Hitze frisch wie der junge Frühling. Harald ist Langdistanzler und Ultraläufer – aber Eva hatte bisher "nur" Halbmarathodistanzen in den Beinen.

Foto: Thomas Rottenberg

Dass sie am Montag zum letzten und lockeren Auslaufen nicht mitkam, war daher nachvollziehbar. Wir waren da ohnehin nur mehr eine kleine Gruppe – die meisten waren schon abgereist oder hatten nach zehn Tagen keine Lust mehr, schon wieder zwei Stunden zu laufen. Verständlich.

Wir joggten etwa bis Pörtschach und zurück. Vor dem Seebad war großes Abschiednehmen. So, als würden wir uns nicht ohnehin bald beim regulären Training wiedersehen.

Foto: Thomas Rottenberg

Ich hängte noch ein paar Kilometer an und lief über den Lendkanal zu meinem Hotel im Zentrum. Nicht nur, um die Beine, sondern auch, um den Kopf auszuschütteln. So sehr ich die Gruppe und das gemeinsame Ans-Limit-Gehen genossen hatte: Diese vier Kilometer solo waren genau der richtige Abschluss.

Foto: Thomas Rottenberg

Insgesamt habe ich in diesen neun Tagen über 460 Kilometer und 4.500 Höhenmeter auf dem Rad zurückgelegt. Ich bin etwa 70 Kilometer gelaufen und zwölf Kilometer geschwommen. Zwei Yoga-Einheiten gab es auch – und nicht alles habe ich getrackt. Laut meiner Garmin verbrannte ich alleine beim Sport 22.000 Kalorien.

Aber: Das sind nur Zahlen. Und die sagen nichts über das, was wirklich zählt: Es war schön, und ich war glücklich. Weil ich gemeinsam mit Freunden tat, was mich glücklich macht – egal was der Rest der Welt davon hält.

Mehr Bilder vom Trainingscamp in Cesenatico und dem Abstecher nach Klagenfurt gibt es auf Thomas Rottenbergs Facebook-Seite. (Thomas Rottenberg, 3.5.2018)

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Foto: Thomas Rottenberg