"Ich weiß nie, was an einem Arbeitstag passieren wird, das ist das Schöne an meinem Job. Es kann sein, dass der Kreißsaal leer bleibt oder sechs Kinder auf die Welt kommen. Unsere Dienste dauern jeweils zwölf Stunden. Von sieben Uhr abends bis sieben Uhr in der Früh oder von sieben Uhr in der Früh bis sieben Uhr abends. Es gibt Tage, an denen es mir schwerfällt, um fünf Uhr aufzustehen, um 6.45 Uhr im Kreißsaal zu sein, aber grundsätzlich gehe ich wirklich gerne in die Arbeit.

Ich mag auch die Atmosphäre im Nachtdienst: wenn alle schlafen und wir still und heimlich ein Baby auf die Welt bringen.

Es gibt keine Geburt, die mir egal ist. Kein Kind, das auf die Welt kommt, das mich nicht berührt. Die Arbeit rundherum wird Routine, aber die Geburten selbst sind nie Routine. Jede hat etwas Spannendes, Euphorisierendes, und ich kann ein Teil davon sein.

Keine 1:1-Betreuung mehr

Unsere Klientel ist bunt gemischt, es kommen von der Frau Doktor bis zur syrischen Flüchtlingsfrau alle. Ein Abbild der Gesellschaft. Neben meiner Anstellung im Krankenhaus arbeite ich freiberuflich als Wahlhebamme, mache Nachbetreuungen. Da ist die Klientel anders. Die Familien sind finanziell bessergestellt. Für einen Hausbesuch verlange ich 80 bis 90 Euro, das können sich nicht alle leisten. In dieser Stunde bin ich dann aber nur für diese eine Frau, dieses Kind, diese Familie da, und wir sind bei ihnen zu Hause und nicht in dem für sie fremden Spital. Das macht viel aus.

Im Kreißsaal kommt es schon manchmal vor, dass ich mich mit der einzelnen Frau nicht mehr beschäftigen kann. Mit dem Verlust der 1:1-Betreuung geht auch das Besondere ein wenig verloren. Was ich versuche, wenn ich das Kreißzimmer betrete: bewusst den Trubel draußen zu lassen und einen ruhigen Raum zu schaffen.

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Eine Herausforderung: zu versuchen, die Hektik, die im Spital herrscht, nicht mit in das Kreißzimmer zu nehmen.
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Eine weitere Herausforderung: zwölf Stunden am Stück konzentriert zu bleiben. Als Hebamme kann man nicht wie im Büro einfach Pause machen, sondern nur dann, wenn nichts los ist. Manchmal gibt es Dienste, in denen ich nur ein Mal auf die Toilette gehen kann. Wir müssen immer alles gleichzeitig im Blick haben: die Frau, das Kind und seinen Herzton. Hebammen treffen viele medizinische Entscheidungen selbstständig. Gibt es keine Pathologie, so sieht die Frau in vielen Kreißsälen nur die Hebamme. Ich arbeite gerne so, aber es bringt natürlich auch Druck mit sich.

Was im Kreißsaal falsch läuft? Dass zu wenig auf die Wünsche und Bedürfnisse der Frauen geachtet wird. Zum Beispiel wird in manchen Krankenhäusern das Neugeborene schon nach wenigen Minuten von der Mutter weggenommen, um es zu wiegen, abzumessen und erste Untersuchungen durchzuführen. Ich finde, jede Frau soll so lange mit ihrem Kind zusammenbleiben können, wie sie will, vorausgesetzt natürlich, ihm geht es gut. Nur durch Nähe und Hautkontakt entsteht Bindung, sogenanntes "Bonding". Das fördert das Stillen, wie man aus Studien weiß. Frauen sollten ihre Bedürfnisse artikulieren und dafür einstehen. Und wir als Hebammen sollten sie dabei unterstützen.

Thema 'Vereinbarkeit'

Seit ich selbst Mutter geworden bin, verstehe ich vermutlich besser, was es bedeutet, ein Kind auf die Welt zu bringen. Gerade bei den Nachbetreuungen hilft mir das. Ich weiß jetzt, wie es ist, wenn man ein Jahr nicht durchschlafen kann. Was ich auch viel eher nachvollziehen kann, ist die politische Diskussion um ‚Vereinbarkeit‘, also was es bedeutet, als Frau Job und Familie zu haben.

Meine Tochter weiß aus Kinderbüchern, wie eine Hebamme arbeitet. Sie geht ganz interessiert auf Schwangere und Babys zu. Ich hoffe, das hilft ihr irgendwann, ganz entspannt mit dem Thema umzugehen." (Jobgespräch: Lisa Breit, 3.5.2018)