Ärztin Kristina Hänel wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie auf ihrer Webseite darüber informierte, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Ihr Fall schlug große Wellen.

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Berlin – Dürfen Ärzte Schwangerschaftsabbrüche öffentlich anbieten? Darüber ist in Deutschland eine Kontroverse entbrannt, die die neue Regierung spaltet. Die Sozialdemokraten drohen mit einem Alleingang.

In Deutschland werden Erinnerungen an lange vergangene Zeiten wach. "Wir haben abgetrieben!", bekannten 1971 mehrere hundert prominente und weniger prominente Frauen in einer Titelgeschichte der Illustrierten "Stern", als Schwangerschaftsabbrüche im Westen der geteilten Nation noch streng verboten waren. Nach heftigen Debatten wurden in den folgenden Jahren der alte Paragraf 218 des deutschen Strafgesetzbuches reformiert und das Abtreibungsrecht liberalisiert.

Gemeinsam mit der Opposition

Jetzt wird in Deutschland wieder über den Schwangerschaftsabbruch gestritten. Die Konfliktlinie verläuft dabei mitten durch die erst im März neu besiegelte Große Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten. Es geht dabei um den Paragrafen 219a, der es verbietet, für Abtreibung zu werben und den die SPD ändern will. Sie hat damit gedroht, im Bundestag gemeinsam mit der Opposition darüber abzustimmen, falls die CDU/CSU nicht mitmacht.

Ende vorigen Jahres hatte der Fall der Ärztin Kristina Hänel deutschlandweit Schlagzeilen gemacht. Sie war zu 6.000 Euro Geldstrafe verurteilt worden, weil sie auf ihrer Internetseite darüber informierte, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehme. Ein Gericht wertete dies als verbotene Werbung. Der Fall schlug riesige Wellen, eine von der Ärztin aus Gießen (Hessen) gestartete Online-Petition bekam mehr als 150.000 Unterschriften.

Im europäischen Mittelfeld

Hänel klagt, dass deutsche Abtreibungsgegner den Paragrafen 219a regelmäßig benutzten, um Ärzte anzuzeigen, zu belästigen oder einzuschüchtern. Nach geltender Rechtslage ist in Deutschland eine Abtreibung straffrei, wenn sie in den ersten drei Monaten nach der Empfängnis nach einer obligatorischen Konfliktberatung vorgenommen wird. Ohne rechtliche Folgen bleibt sie auch, wenn es medizinische Gründe für den Abbruch gibt oder wenn die Frau vergewaltigt wurde. Im vorigen Jahr gab es landesweit laut Statistischem Bundesamt rund 101.200 Abtreibungen. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl liegt Deutschland damit im unteren europäischen Mittelfeld.

Nach Ansicht der verurteilten Medizinerin hindert der umstrittene Paragraf Frauen daran, sich sachlich darüber zu informieren, wo sie einen erlaubten Schwangerschaftsabbruch vornehmen können. So sehen es auch die Sozialdemokraten. Nach dem Parteitag in Wiesbaden im April setzte der Vorstand dem Regierungspartner CDU/CSU eine Frist bis zum Herbst, einen Kompromiss über eine Reform des Strafgesetzbuches zu finden. Sonst würden sie mit "reformwilligen" Fraktionen oder Abgeordneten gemeinsame Sache machen.

Debatte über Grad der Abschaffung

Die Sozialdemokraten hätten dabei die meisten Oppositionsfraktionen auf ihrer Seite. Grüne und Linke wollen den Paragrafen ganz abschaffen, die FDP (Liberale) will ihn so ändern, dass ausschließlich "aggressive Werbung", nicht aber neutrale Information bestraft wird. Gemeinsam kämen SPD, FDP, Linke und Grüne auf eine Mehrheit der Stimmen im Bundestag. Es wäre aber in Deutschland ein unerhörtes Novum, gegen den eigenen Koalitionspartner zu stimmen.

Entsprechend empört reagierten Christdemokraten und Christsoziale. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach von einer "Drohung, die man zwingend unterlassen sollte". "In einer Koalition muss das gelten, was man miteinander verabredet hat", schimpfte CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder. "Wir wollen keine Plakate am Straßenrand, auf denen für Abtreibungskliniken geworben wird", sagte Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU).

"Es geht um Information"

Dagegen beharrte Justizministerin Katarina Barley (SPD) auf einer Änderung des Paragrafen. "Es geht nicht um Werbung, es geht um Information", sagte sie. Auch die neue SPD-Vorsitzende Andrea Nahles zeigte sich von der Kritik aus dem christdemokratischen Lager unbeirrt. "Selbstverständlich halte ich daran fest", sagte sie zum Beschluss des Parteivorstandes. Braun, der als Kanzleramtschef die Regierungsarbeit koordiniert, sagte, er gehe davon aus, dass es im Koalitionsstreit am Ende eine Einigung geben werde.

Dafür spräche die Erfahrung seit Beginn der Ära von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): Zwar kam die neue "Groko" (Große Koalition) nur unter großen Mühen und erst ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl zustande. Aber schon 2005 bis 2009 und 2013 bis 2017 regierten die politischen Rivalen zusammen, ohne dass die Bündnisse an den ideologischen Gegensätzen vorzeitig zerbrachen. (APA, 4.5.2018)