Diese Geschichte erscheint im Rahmen eines Schwerpunkts im RONDO zum Thema (Un-)ordnung.In den nächsten Tagen folgen weitere Beiträge.

Foto: Lukas Friesenbichler

Marta Kopka ist Aufräumcoach. Sie bringt Ordnung in unordentliche Wohnungen.

Marie Kondo, gefeiert als oberste Ordnungshüterin, sorgt für Unordnung in meinen Kopf. Argwohn macht sich breit, wenn ich in ihrem Bestseller "Magic Cleaning" blättere. Der Aufräumpromi sortiert darin Sortieranleitungen für den Haushalt und hat davon eine Millionenauflage verkauft.

Sogar der Suchmaschinist Google lädt die Autorin zum Ausmisten ein. Danach finden die Mitarbeiter wieder ihr analoges Klumpert in den Büros. Ich finde in Kondos Pamphlet nur eines: meine Methode des Ausmistens. Zuerst den ganzen Krempel auf einen Haufen schmeißen, jedes Ding begutachten und dann wegschmeißen oder einen Platz dafür finden.

Den Untertitel ihres Buches – "Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert" – deute ich als Provokation. Kondo benötigt 224 Seiten, um haarklein zu beschreiben, wie mein Leben schon ist: aufgeräumt. Der Gipfel der Frivolität ist aber, wie die Amerikaner zum radikalen Ausmisten sagen. In den USA hat sich das Verb "to kondo" eingebürgert, obwohl es doch "aumüllern" heißen müsste. Das kann nur ein Problem der Aussprache sein.

Kein Lebensratgeber sein

Kondos Frage zum Aussortieren von Unrat kennt mittlerweile auch jeder Hausmann: "Macht es mich glücklich, wenn ich diesen Gegenstand in die Hand nehme?" Das werde ich nur noch einmal fragen. Wenn ich wieder Kondos Buch in Händen halte.

Wie man sieht, habe ich wirklich kein Problem mit dem Aufräumen, sehr wohl aber eines mit Ratgebern. Weil diese Büchlein wie Kleingartensiedlungen funktionieren. Irgendwer maßt sich immer an, mit erhobenem Zeigefinger aus seinem eigenen kleinen Schrebergarten heraus, gute Ratschläge zu erteilen. Da kann die eigene bescheidene Hütte ein Palast der Aufgeräumtheit sein – irgendjemand weiß es immer besser.

Ich sehe das so als aufgeklärter Aufräumer: Ordnung muss sein. Aber nur bei mir daheim. Nie im Leben würde ich Fremden Ratschläge für das Aufräumen erteilen, wenn ich bei ihnen zu Gast bin. Da breche ich mir lieber einen Fuß, weil ich schon im Vorraum über zehn Paar Schuhe stolpere, und springe noch mit Anlauf auf den zackigen Haarschmuck eines Playmobil-Indianers, ehe ich was sage. Ich will kein lebender Lebensratgeber für andere sein.

"Ordnung muss sein. Aber nur bei mir daheim", ist Sascha Aumüllers Credo.
Foto: Lukas Friesenbichler, Set-Design: Magdalena Rawicka

Duell der Ausmistgiganten

Warum ich das erzähle? Weil ich mir neulich an einem herrlichen Frühjahrsputztag den Spaß erlaubt habe, einen Aufräumcoach in meine Wohnung zu lassen. Einen Ratgeber aus Fleisch und Blut! An dieser Stelle kommt meine eigene Frivolität ins Spiel. Ich dachte mir, was bitte schön hat ein Aufräumcoach bei mir zu suchen? In finde alles in meiner Wohnung. Die ist so klinisch, dass manche Gäste spötteln, sollten sie je einen schweren Autounfall haben, würden sie sich eher bei mir auf dem Esstisch zusammenflicken lassen als in irgendeinem angegrindeten OP-Saal.

Ich gestehe, ich erwartete mir vom Besuch der Aufräumdame, dass daraus eine Art Duell unter Ausmistgiganten entstehen könnte: Hätte sie mir vorgeworfen, der Bonsai-Baum in dem kahlen Badezimmer sei schon zu viel, ich hätte das Problem an der Wurzel gepackt und das Grünzeug vor ihren Augen in die Biotonne getreten. Es kam dann doch anders.

Um Punkt 16 Uhr, keine Minute früher und keine Minute später, klingelte Marta Kopka an meiner Tür. Ich hatte mir ausgemalt, wie sie mit einer Rolle schwarzer 100-Liter-Müllsäcke in der Hand und einem erwartungsvollen Blick ("Na, wo ist der ganze Krempel") die Wohnung betreten würde. Stattdessen trug sie ein freundliches Lächeln im Gesicht und eines dieser übergroßen blauen Ikea-Sackerln über der Schulter.

Darin drei Kisten, die symbolisch die neue Weltordnung in einer Wohnung symbolisieren. Sie stellte die Kisten auf die Küchenarbeitsplatte und begann zu erklären: "In die erste kommt, was Sie behalten wollen. In die zweite, was Sie noch verkaufen können. Und in die dritte, was Sie unbedingt wegschmeißen sollten." Woher haben Sie dieses System, fragte ich? "Marie Kondo", antwortete sie ohne Zögern, "ich liebe ihre Bücher!" Ein schwieriger Start für unsere temporäre Aufräumbeziehung.

Ein Maß an Magie

Marta Kopka hat jahrelang Hauskrankenpflegerinnen an Wiener Haushalte vermittelt. Immer wenn die Pflegerinnen aus den Wohnungen zurückkamen, erzählten sie, wie es dort aussah. Aus nachvollziehbaren Gründen oft nicht sehr aufgeräumt. Irgendwann nach 2013 las sie Marie Kondos erstes Buch "Magic Cleaning".

Ja, ein gewisses Maß an Magie sei schon nötig, um des unfreiwilligen Chaos in den Wohnungen kranker Menschen Herr zu werden, befand sie nach der Lektüre und hängte ihren alten Job an den Nagel. Für ihren aktuellen gibt es in Österreich keine Ausbildung, ein mehrstündiger Wifi-Kurs für Gebäudereinigung und die frühere Berufserfahrung aus einem Logistikunternehmen mussten ihr genügen.

Kopkas Kisten standen noch jungfräulich in der Küche, als ich den Gewürzschrank öffnete. "Vorbildlich", jauchzte der Aufräumcoach. "Ich fürchte, ich bin völlig umsonst gekommen." Ja gibt es denn gar nichts, was man besser organisieren könnte, fragte ich? Vielleicht nach dem Anbaugebiet sortieren oder nach ihrer Wirkung laut traditioneller chinesischer Medizin? "Ach, wissen Sie", meinte Kopka, "wenn Sie unbedingt wollen, können Sie nachschauen, ob eins abgelaufen ist, und es wegschmeißen."

Wie diese Currymischung aus Sansibar? Die ist zehn Jahre alt, aber ich hänge sehr an ihr, forderte ich sie heraus. "Können Sie, müssen Sie aber nicht – wenn Sie so sehr dran hängen", sagte Kopka mit einem tiefen Grundrauschen der Gelassenheit. Danke, sehr empathisch, aber kann man so seinen Job machen als Aufräumcoach? Kann man nicht.

Hoffnungslose Fälle

Kopka erzählte von einer 200-Quadratmeter-Wohnung, die sie vergangene Woche sah. Nur auf Fotos, denn zunächst lässt sie sich immer Bilder schicken, dann überlegt sie, wie man Ordnung in die Unordnung bringen kann, und stellt ein Angebot. Nicht selten tauchen sie oder eine ihrer beiden Mitarbeiterinnen dann gar nicht auf bei den Anfragenden.

"Ich hätte dort entweder sehr streng sein oder vorher einen Entrümpelungsdienst vorbeischicken müssen", beschreibt sie den Zustand der Wohnung. Als man sie bat, sie solle erst in der Wohnung vorbeikommen, wenn ein Großteil des Gerümpels in ein extra dafür angemietetes Lager transferiert worden sei, sagte sie ab. "Ein hoffnungsloser Fall."

Meine letzte Hoffnung, mit Frau Kopka ausgelassen auszumisten, ja schonungslos Dinge in ihre Kisten zu kübeln, starb vor dem geöffneten Kleiderschrank. "Super, alle Hemden nach Farbe sortiert, so soll es sein", sagte sie. Dann nahm sie ein T-Shirt heraus, legte es in eine dieser Falthilfen, mit denen man Oberbekleidung innerhalb von Sekunden in ein rechteckiges Stück Stoffe verwandeln kann, und legte es wieder an seinen Platz zurück.

Ich beschloss, den ganzen Stapel erst später mit Lineal und Wasserwaage in Form zu bringen, dann, wenn Frau Kopka bereits gegangen war, um ihr die Demütigung zu ersparen. Aber vorher gingen wir noch ins Arbeitszimmer.

Mit dem Blick der Kennerin streckte Marta Kopka ihren Zeigefinger aus, deutete auf einen obszön hohen Bücherstapel auf dem Boden, skizzierte einen Umriss von etwa zwei mal zwei Metern und sagte: "Wenn Sie die ins Internet stellen, bekommen Sie 200 Euro dafür!"

Wie bitte, Frau Kopka, Bücher hergeben? Ich berühre fast täglich jedes einzelne davon, und fast jedes einzelne macht mich täglich glücklich. Das glaubte sie mir natürlich nicht. Stimmt ja auch nicht. Ich hätte ihr als Zeichen guten Willens mein Exemplar von Marie Kondos "Magic Cleaning" mitgeben sollen. (Sascha Aumüller, RONDO, 10.5.2018)

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