Es sind gefühlt tausende Bienen, die um Adriana Traunmüllers Gesicht am Dach eines Hotels im vierten Wiener Gemeindebezirk kreisen. Das dürfte sie aber ebenso wenig beeindrucken, wie die atemberaubende Aussicht, die man von hier oben hat. Auf Dächer zu kraxeln ist Alltag für sie. Adriana Traunmüller ist Wiens erster Imkerlehrling und absolviert gerade in der Wiener Bezirksimkerei ihre Ausbildung, die es bis vor einem Jahr in der Form noch gar nicht gab. Auf Dächer zu kraxeln gehört mittlerweile zum Alltag der Jungimkerin, schließlich stehen die meisten ihrer Bienenvölker dort, wo sonst nur Techniker oder Rauchfangkehrer hinkommen.

Adriana Traunmüller arbeitet am liebsten alleine, wenn sie am Dach bei ihren Stadtbienen ist.
Foto: Alex Stranig

Routiniert lockert sie den Gurt, mit der die Bienenstöcke hier festgezurrt werden, und entfernt behutsam den Metalldeckel um einen Blick auf das arbeitende Bienenvolk zu werfen. Ärmelfrei und ohne Schutzkleidung inspiziert sie den Stock und bleibt dabei überraschend entspannt. Mit einem kleinen Besen kehrt sie die Arbeitsbienen von den Holzrähmchen, um wieder neue Rahmen einzusetzen. Hier werden die Bienen in den nächsten Wochen Waben bauen und Honig bunkern. Dass Traunmüller im Sommer wiederkommt, um ihnen den Honig wegzunehmen, wissen die Bienen zum Glück nicht.

Eines der Bienenvölker scheint trotzdem weniger Freude mit dem Hausfriedensbruch zu haben und zeigt sich angriffslustig. Die ersten Stiche lassen nicht lange auf sich warten – für die Imkerin noch kein Grund, nervös zu werden. "Bienengift ist gut gegen Rheuma." Erst nach Stich Nummer acht (ins Augenlid) setzt sie doch lieber einen Hut mit Schleier auf. "Als Imker darf man keine niedrige Frustrationsgrenze haben. Egal wie aggressiv die Bienen sind, du musst deine Arbeit machen", sagt Traunmüller. Die Königin wird sie besagtem Volk nach diesem Angriff trotzdem am Ende der Saison wegnehmen. Das vermerkt sie gleich in einer App, in der jeder Arbeitsschritt dokumentiert wird.

Foto: Alex Stranig

Weniger Bienen, mehr Imker

Das ist notwendig, betreut Traunmüller mit ihren Kollegen der Bezirksimkerei doch rund 120 Bienenvölker in Wien. Was sich nach einer enormen Menge Bienen anhört, ist in Wahrheit nur ein Tropfen auf den heißen Stein, denn die Anzahl an Bienenvölkern hierzulande ist laut Imker Dachverband "Biene Österreich" von 1990 bis heute um über 100.000 gesunken. Die Zahl der Erwerbsimker ist gering, erfreulicherweise nimmt die Zahl privater Bienenhalter aber zu – immerhin über 27.000 Imker wurden im vergangenen Jahr in Österreich gezählt.

Die hohe Honignachfrage hierzulande können diese trotzdem nicht stillen. Laut Statistik Austria lag der Pro-Kopf-Verbrauch bei Honig im Vorjahr bei 1,1 Kilogramm. Der in Österreich erzeugte Honig deckt gerade einmal knapp über 50 Prozent des Eigenbedarfs ab. Die Folge ist ein enormer Anstieg von Importhonigen. Über 995 Tonnen Honig wurden 2016 aus der Ukraine importiert, rund 590 aus China und 639 Tonnen aus Kuba. Dass es sich hierbei nicht immer um handwerklich hergestellten Honig aus kleinen Imkereien handelt, zeigt schon der Preis, um den der Importhonig im Supermarkt angeboten wird. Viele Honigproduzenten stehen im Verdacht, ihren Honig mit technischen Hilfsmitteln herzustellen oder ihn sogar mit Sirupen zu strecken.

Illustration: Sebastian Schwamm

Derlei gepanschte Honige gibt es bei heimischen Imkern glücklicherweise nicht. 536 Honige hat die Ages, die österreichische Agentur für Lebensmittelsicherheit, 2016 getestet. Keiner der getesteten Honige war verfälscht oder gesundheitsgefährdend. Neben einer mikroskopischen Prüfung wird der Honig auch sensorisch überprüft, um die Sorte zu bestimmen.

Wie vielfältig das Aromenspektrum bei Honig ist, weiß Eva Derndorfer. "Ich habe etwas Spannendes, das müssen Sie probieren", sagt die Sensorikexpertin und schraubt ein Glas auf, das auf den ersten Blick wie normaler Honig aussieht, geschmacklich aber wenig damit zu tun hat. Ein ungewöhnlich bitterer Geschmack macht sich auf der Zunge breit. Es handelt sich um den seltenen Erdbeerbaumhonig, den bittersten Honig der Welt. Er wird vor allem im Mittelmeerraum geerntet.

Standortfrage

Der süße Korianderhonig wirkt da schon vertrauter. Das Aroma ist würzig, mandelartig, mit einer leichten Zitrusnote. Die Konsistenz ist cremig, weich, mit angenehmem Schmelz und ordentlich Körper. Eva Derndorfer beschäftigt sich seit rund zehn Jahren mit Honigen und brachte gemeinsam mit Elisabeth Fischer im vergangenen Jahr das Buch "Honig" heraus, in dem neben Rezepten auch sensorische Merkmale einzelner Honige beschrieben werden. "Geschmacklich wird Honig lediglich in süß, sauer und bitter eingeteilt. Die Aromen in der Nase sind aber wesentlich vielschichtiger. Er kann von blumig, fruchtig über malzig bis hin zu harzig oder nussig schmecken. Manche Honige haben Aromen von Himbeere oder Birne. Andere, wie zum Beispiel der Akazienhonig, haben ein ausgeprägtes Rosenaroma. Die Aromen können aber auch völlig abweichen. Raps beispielsweise enthält sehr grasige Aromen, im Honig findet man diese aber nicht. Die Pflanze lässt nicht immer auf den Geschmack schließen", sagt Derndorfer.

Neben der Blüte seien auch Terroir und die Biene selbst für den Geschmack des Honigs verantwortlich. "Geschmacklich hat Honig, ähnlich wie Wein, Primär- und Sekundäraromen. Die Primäraromen kommen von der Blüte, die Sekundäraromen bringt die Biene durch ihre Drüsensekrete ein."

Auch heimischer Honig kann völlig unterschiedlich schmecken – das wird deutlich, wenn man den Honig der Wiener Bezirksimkerei verkostet, der von Bienenvölkern aus allen Gemeindebezirken kommt. Jeder der 23 Honige hat sein eigenes Aroma, abhängig vom Standort der Völker und der Blüten, die sie dort vorfinden. Stadthonige liegen gerade ebenso im Trend, wie das Imkern im Allgemeinen. Nicht nur, weil man die Bienen schützen will, auch weil immer mehr Menschen ihren eigenen Honig ernten wollen.

Marian Aschenbrenner beruhigt seine Bienen mit dem Smoker, damit sich seine Kursteilnehmer näher an den Bienenstock herantrauen.
Foto: Alex Stranig

Findige Start-ups vermieten Bienenstöcke für den eigenen Garten – Honigernte inklusive. Für Ängstlichere oder Menschen ohne Garten gibt es eigene Bienenpatenschaften. Wer richtig mutig ist, wird Hobby-Imker. Dass das kein Nebenbei-Hobby ist, weiß Marian Aschenbrenner, der schon vor einigen Jahren mit dem Imkern begonnen hat. "Man muss sich bewusst sein, dass das Imkern Zeit in Anspruch nimmt. Am Anfang sollte man unbedingt jede Woche bei seinen Völkern vorbeischauen. Es geht darum, zu beobachten und zu lernen, Zeichen zu lesen", sagt Aschenbrenner. Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Marcus Neubauer betreibt er in Wien das "Bienen Innovationszentrum", eine Art Anlaufstelle für Menschen, die mit dem Gedanken spielen, sich Bienen anzuschaffen.

"Als ich mein erstes Bienenvolk verkauft habe, rief mich der Käufer nach dem Winter an und sagte, das gesamte Volk sei gestorben. Da wusste ich, dass es eine bessere Aufklärung braucht. Bei uns lernt man die Imkerei von Anfang an. Im ersten Jahr kann man die Verantwortung völlig abgeben und sich nur auf das Imkern konzentrieren, weil die Bienen weiterhin auch von uns betreut werden. Danach kann man sich entscheiden, ob man das wirklich machen will. Sich ohne Vorwissen einfach ein Bienenvolk zu nehmen, halte ich für fahrlässig. Bienen können sterben und im schlimmsten Fall werden Keime weitergetragen und infizieren andere Völker. Das wäre kontraproduktiv", sagt Aschenbrenner.

Illustration: Sebastian Schwamm

Parasiten

Wenn der Imker von Infektionen spricht, meint er meistens die Varroamilbe, einen Parasiten, der vermutlich in den 1980er-Jahren aus Asien eingeschleppt wurde und zu einer Flügelverkrüppelung bei Bienen führt. Es gibt nur noch ein wirkliches Bienenparadies, das verschont geblieben ist: Kangaroo Island, eine Insel nordwestlich von Adelaide, gilt als vollkommen milbenfrei. Hier leben rund 600 ligurische Honigbienen, die streng geschützt werden und vor allem Eukalyptushonig produzieren. Weder Honig noch benutztes Imkerwerkzeug dürfen auf die Insel gebracht werden, um eine Infektion zu vermeiden.

In Europa kämpfen Imker seit Jahrzehnten, mehr oder weniger erfolgreich, gegen die Milbe an. "Ist die Königin schwach und wird der Stock von einem anderen Bienenvolk ausgeraubt, kann man es als Imker nicht ändern. Verliert man allerdings ein Volk durch die Varroamilbe, ist es die Schuld des Imkers. Unsere Aufgabe ist es, darauf zu achten, dass der Bienenstock gesund bleibt", sagt Adriana Traunmüller, die die Milben mit Ameisensäure behandelt.

Damit Imker so viel wie möglich richtig machen, gibt es mittlerweile zahlreiche Hilfsmittel, wie die von Michael Bramböck entwickelte App "Bee Buddy". Darin findet man über 170 Antworten und Erklärungen zu Beobachtungen, die man im Bienenstock macht. Ein Beispiel wären kämpfende Bienen vor dem Flugloch. "Das bedeutet, dass Raubbienen kommen und den Honig plündern wollen. Der Imker kann das Flugloch verkleinern und damit verhindern, dass eine große Menge fremder Bienen in den Stock kommt", sagt Bramböck. Der Biologe hat außerdem eine eigene Funktion programmiert, um die Milbenbelastung zu bestimmen und rechtzeitig zu handeln.

Für Adriana Traunmüller bleibt der Job des Imkers trotz Milben und anderer Beschwerlichkeiten der beste, den sie sich vorstellen kann. "Man muss viel schleppen und ist ständig schmutzig. Aber ich liebe es, wenn ich alleine mit den Bienen arbeiten kann. Sie sind dann auch viel ruhiger als heute", sagt die Imkerin. Längst hat sie aufgehört, die Stiche des heutigen Tages zu zählen. (Alex Stranig, RONDO, 21.5.2018)

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