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Begehrlichkeiten auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk "kann man den Parteien auch gar nicht vorwerfen", sagt Ex-ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender: "Die sind gefräßig wie Krokodile."

Foto: Andreas Rentz/Bongarts/Getty Images

Nikolaus Brender wurde 2010 auf Druck von CDU und CSU als Chefredakteur des ZDF abgelöst. Er empfiehlt im STANDARD-Interview, Gerichte oder gar Höchstgerichte einzuschalten, wenn Politdruck überhandnimmt.

STANDARD: In Österreich wechselt gleich nach Regierungen – farblich passend – auch das Führungspersonal des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ist das im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein normaler Vorgang?

Brender: Parteieinfluss auf öffentlich-rechtliche Sender gab es immer. Aber dieses Bäumchen-wechsle-dich, je nachdem, wer gerade die Wahlen gewonnen hat, kenne ich in Europa nur aus Italien und Spanien und leider jetzt auch aus Polen und Ungarn. In Deutschland ist das rein formal nicht möglich.

STANDARD: Was steht dem entgegen?

Brender: Die Spitzen der der öffentlich-rechtlichen Anstalten – Intendanten, Direktoren, Chefredakteure – haben meist Fünfjahresverträge, und die sind nicht einfach aufzulösen. Um das Personal früher auszuhebeln, müsste der Rundfunkstaatsvertrag geändert werden – dafür bräuchte es aber die Zustimmung aller 16 Bundesländer.

STANDARD: Gab es das schon einmal?

Brender: Nein, das war noch nie der Fall. Aber nach Regierungswechseln versuchen die regierenden Parteien natürlich besonders gerne, personalpolitischen Einfluss zu nehmen.

STANDARD: Zum Beispiel bei Ihnen – Sie wurden auf Initiative von CDU/CSU 2010 als ZDF-Chefredakteur abgelöst.

Brender: Ja, ich passte der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten aus Bayern und Hessen nicht. Denen kam entgegen, dass mein Vertrag gerade auslief. Sie sorgten dafür, dass er durch den Verwaltungsrat des ZDF nicht verlängert wurde, obwohl der Intendant mich zur Verlängerung vorgeschlagen hat. Für Merkel, Stoiber, Koch und Co wurde das allerdings ein Pyrrhussieg. Das Bundesverfassungsgericht rüffelte die politiküberladene Zusammensetzung der ZDF-Aufsichtsgremien und begrenzte die Anzahl staatsnaher Vertreter in den Aufsichtsräten auf ein Drittel.

STANDARD: Wie haben Sie diese Einflussversuche als ZDF-Chefredakteur erlebt?

Brender: Die Methoden, Einfluss zu nehmen, waren vielfältig. Mal freundliche oder weniger freundliche Anrufe von Parteipolitikern, man solle doch Journalisten der eigenen Couleur im Hause unterbringen. Mal direkte Versuche, unangenehme Nachrichten zu verhindern oder Interviews zu stoppen. Die Bandbreite unziemlicher Einflussversuche war groß. In der Regel verliefen sie sich aber, wenn ich um eine schriftliche Eingabe bat. Beweise wollte natürlich keiner schwarz auf weiß liefern. Seit dem Urteil des Verfassungsgerichts haben solche Übergriffe aber nachgelassen, wird mir gesagt.

STANDARD: Haben Sie auch ein konkreteres Beispiel?

Brender: Markus Söder, heute bayerischer Ministerpräsident, hat damals als CSU-Generalsekretär das ZDF besucht. Ohne mich als Chefredakteur darüber zu informieren, wollte er alleine ein Gespräch mit der aktuellen Information führen. Ich habe das mitbekommen, verhindert und ihn zu mir eingeladen. Da hat er, auch Jurist, mir erklärt, es wäre selbstverständlich, dass sich nicht nur die Führungsspitze des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, sondern auch die Zusammensetzung der Redaktionen nach den politischen Mehrheiten zu richten habe. Ich habe ihn dann auf Artikel 5 hingewiesen, der Meinungs- und Medienfreiheit garantiert.

STANDARD: Die Begehrlichkeiten gibt es also in Deutschland ebenso.

Brender: Natürlich! Das kann man den Parteien auch gar nicht vorwerfen. Die sind gefräßig wie Krokodile. Und wenn sich Journalisten auch noch anbiedern, brauchen sie sich nicht zu wundern, wenn Parteien zupacken. Dagegen müssen die Festigkeit, das Selbstbewusstsein und die klare Haltung des Spitzenpersonals einer öffentlich-rechtlichen Anstalt stehen. Der politische Druck, der auf viele öffentlich-rechtliche Anstalten Europas verstärkt ausgeübt wird, verunsichert Hörer und Zuschauer. Umso deutlicher müssen öffentlich-rechtliche Journalisten zeigen, dass sie nicht die Pudel sind, die je nach Parlamentsmehrheit an der Leine der einen oder der anderen gehen. Armin Wolf und andere Journalisten im ORF tun das ja auch.

STANDARD: Im ORF werden gerade eine Menge neue Führungsjobs vergeben, und die Besetzung vermittelt den Eindruck: Mit Leistung, Können und Fleiß alleine kommt man über ein bestimmtes Level nicht hinaus, dafür braucht man Förderer in politischen Parteien und Institutionen.

Brender: Wenn sich in einem Sender ein solches Klima festgesetzt hat, dann ist es krank und muss schnellstens behandelt werden. "Dem helfe ich, denn der ist einer von uns" ist eine Zuordnungskategorie, die im Verhältnis von Politik und Journalismus keinen Platz finden darf. Ein Journalist gehört niemandem, am wenigsten einer Partei. Er buhlt auch nicht um Zugehörigkeit. Alles andere schafft Misstrauen und Missgunst in den Redaktionen und Ansehensverlust bei Hörern und Zuschauern.

STANDARD: Sie wurden als Chefredakteur der SPD zugerechnet.

Brender: Ich kam vom Westdeutschen Rundfunk, und der galt per se als rot. Ich gehöre keiner Partei an und habe in meinem Berufsleben nie mit Parteien über meine Karriere geredet.

STANDARD: Sie haben einmal on einer "barocken Kultur des Parteienfilzes" in Österreich und seinem Rundfunk gesprochen.

Brender: In Deutschland versucht der Filz sich zu verstecken. Nach meiner Beobachtung geht in Österreich das Geben und Nehmen eher lächelnd und pausbäckig daher. Aber ich weiß von Kolleginnen und Kollegen des ORF, dass es ihnen darüber gar nicht zum Lächeln ist.

STANDARD: Was würde aus Ihrer Sicht gegen dieses barocke System helfen?

Brender: Wenn die Selbstheilungskräfte des öffentlich-rechtlichen Systems zu schwach sind, helfen hoffentlich die Gerichte. In Deutschland jedenfalls fiel das Bundesverfassungsgericht den Parteien in den Arm und verpflichtete sie, die inhaltliche wie personelle Vielfalt des Rundfunks zu garantieren. Das Verfassungsgericht ist in Deutschland die stärkste Stütze der Freiheit und Unabhängigkeit von Presse und Medien. Ich kenne die Kompetenzen und Verfahrenswege österreichischer Gerichtsbarkeit nicht. Wenn ich lese, welche Ketten der FPÖ-Stiftungsrat Steger dem ORF anlegen will, scheint mir der Gang zum Gericht nahezuliegen. Ich denke ohnehin, dass sich der Europäische Gerichtshof bald mit dem Zustand der Pressefreiheit in Europa befassen wird.

STANDARD: Die österreichische Bundesregierung plant, den ORF künftig statt der Rundfunkgebühren aus dem Staatsbudget zu finanzieren.

Brender: Das ist der kalte Versuch, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in die staatliche Abhängigkeit zu zwingen. Die Finanzierungsform des Rundfunks ist immer Ausdruck seiner Stellung in der Gesellschaft. Als Teil des staatlichen Haushalts wird der Rundfunk zur Verschiebemasse im Deal zwischen den Parteien. Minister und Parteisekretäre entscheiden über die Ausstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das ist die Abkehr von Unabhängigkeit. Man will den Rundfunk in den Griff kriegen. (Harald Fidler, 17.5.2018)