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Abgesehen von der Aufmachung wird auch Jaguar Racing in der kommenden fünften Saison mit dem einheitlichen Chassis der Formel E unterwegs sein.

Foto: reuters/rossi

Ich glaube, das wird in 20, 30 oder 40 Jahren der einzige Motorsport sein, der noch übrig ist." Alejandro Agag ist kein Hellseher, aber er hat etwas zu verkaufen – die Formel E, eine weltumspannende Rennserie von Formelboliden mit Elektromotoren. Der 47-jährige Spanier tut das im Auftrag des Automobilweltverbands (Fia) seit Jahren mit Verve und hat mittlerweile durchaus Grund zur über die professionelle Begeisterung hinausgehenden Euphorie.

Gegen Ende ihrer vierten Saison, die am Samstag mit dem Berlin E-Prix auf dem Vorfeld des ehemaligen Flughafens Berlin-Tempelhof einen ihrer Höhepunkte erleben wird, scheint die saubere Flüsterraserei schon über alle Zweifel erhaben. Gut, die Rennen bewegen noch lange nicht die Massen der Motorsportaffinen. Den Berliner Event erleben an der Strecke nur rund 15.000 Zuseher, neben Eurosport überträgt (ab 18 Uhr) auch die ARD, allerdings nur als Programmfüller vor dem Fußballpokalfinale zwischen dem FC Bayern und Eintracht Frankfurt. Auch drängt noch nicht die Crème de la Crème der Piloten in die batteriebetriebenen Geschoße.

Unbekannte, Aussortierte

Das Gesicht des brasilianischen Titelverteidigers Lucas di Grassi ist nur Insidern geläufig wie auch die meisten anderen Namen in der Startaufstellung der aktuellen Saison. Nicolas Prost, der Sohn des vierfachen Formel-1-Weltmeisters Alain, und Nelson Piquet jr., Sohn des dreifachen gleichnamigen Weltmeisters, tragen zumindest sehr bekannte. Der aktuell in der Formel E führende Jean-Éric Vergne, Sébastien Buemi, Nick Heidfeld und Kamui Kobayashi würden wohl lieber wieder in der Königsklasse fahren – wenn man sie ließe.

Das kürzlich ruchbar gewordene Engagement von Felipe Massa wird schon als veritabler Imagegewinn gewertet. Der 37-jährige Brasilianer lenkt nach 16 Jahren in der Formel 1 samt zweimaligem Rücktritt nun drei Saisonen lang für Venturi, das Team, an dem Oscargewinner Leonardo DiCaprio beteiligt ist.Das Flair Hollywoods ist es aber nicht, das die Automobilhersteller lockt wie das Licht die Motten. "Wir fahren in der Serie mit den meisten Herstellern", sagte Daniel Abt, der derzeit erfolgreichste Deutsche im Formel-E-Zirkus, vor dem Berliner Heimspiel im Gespräch mit der Sport Bild. Er fährt für Audi, das in dieser Saison erstmals mit einem Werksteam unterwegs ist.

BMW und Nissan kommen ab 2018/19 dazu, dann folgen Porsche und Mercedes. Das ist umso bemerkenswerter, als die Stuttgarter dafür traditionsreiche Programme beenden werden. Mercedes kehrt sehr zum Bedauern und zur Sorge von DTM-Chef Gerhard Berger dem Deutschen Tourenwagen-Masters den Rücken. Porsche schenkt sich künftig die Langstrecken-WM.

Die Hersteller haben längst begriffen, dass es am Zukunftsmarkt der surrenden Elektromotoren kein Vorbeikommen gibt. Selbst Ferrari meldete zuletzt Interesse an einem Einstieg an. Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff wäre "nicht überrascht, wenn die Formel E in drei, vier oder fünf Jahren etwas völlig anderes ist und auch einen völlig anderen sportlichen Wert hat". Um mehr Fans zu gewinnen, braucht die Formel E aber namhafte Stars, die der "sauberen" zweiten Säule neben der Formel 1 Flair verleihen. Der größte bisher war der frühere Formel-1-Weltmeister Jacques Villeneuve. Nach nur drei Rennen stieg der Kanadier aber 2016 wieder aus. Möglich, dass erst mit Porsche und Mercedes echter Gaspedal-Adel ans Werk geht.

Immerhin stellte Nico Rosberg, der Weltmeister von 2016, vor dem Berliner Rennen den neuen Boliden für die Serie vor verschiedenen Sehenswürdigkeiten der Spreemetropole vor. Der Deutsche saß dabei selbst am Steuer des Rennwagens mit nahezu verdoppelter Energiespeicherkapazität. Die Serie veröffentlichte auf Twitter Fotos von Rosberg vor dem Brandenburger Tor und auf dem Potsdamer Platz. "Es war großartig, dieses High-Performance-Elektrofahrzeug zu erleben", sagte Rosberg ganz im Tonfall von Vermarkter Alejandro Agag. Der 32-Jährige engagiert sich schließlich auch als Investor und Aktionär in der Formel E. "Seit meinem Rücktritt interessiere ich mich sehr für das Thema E-Mobilität und das damit verbundene positive Potenzial für unsere Gesellschaft und für den Planeten."

Wenig Flair, kaum Odeur

Die schönen Zukunftsvisionen waren es nicht, die bei Einführung der Serie Kritiker auf den Plan riefen und seither nicht verstummen ließen. Den traditionsbewussten Motorsport-Aficionados fehlt es an Flair und Odeur. Auch dass die Formel E auf leisen Sohlen daherkommt, stört. Die Befürworter argumentieren, dass dafür die Rennen zu den Menschen in die Großstädte kommen können. In Berlin gab es Kritik, dass der E-Prix aber eben nicht in der Nähe des Brandenburger Tors stattfindet.

Die anfangs selbstauferlegte Konzentration auf Stadtkurse brachte mit sich, dass die Formel-E-Boliden dort zu wenig Auslaufzonen vorfanden und so eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 225 km/h vorgegeben wurde. Die Formel 1 ist in der Spitze um rund 130 km/h schneller unterwegs. Wasser auf die Mühlen der Verächter der Zukunftsserie. Ferrari-Star Sebastian Vettel beschied, dass er selbst nie in der Formel E fahren werde. Viele Kollegen, die dort fahren, hätten ihm versichert, "dass das Fahren nicht sehr aufregend ist".

Bots und Boosts

Als Beitrag zur Emotionalisierung und somit auch zur Akzeptanz der Elektromobilität wurde von den Formel-E-Machern die Einbindung der Fans ins Renngeschehen ersonnen. Die haben die Möglichkeit per Website, aber auch mittels App für ihren Lieblingsfahrer abzustimmen, um ihm einen tatsächlichen Vorteil im Rennen zu bescheren.

Nach einer sechstägigen Abstimmung steht den drei Piloten mit den meisten Stimmen ein sogenannter Fanboost zur Verfügung – eine einmalige Freischaltung zusätzlicher Energie im zweiten Fahrzeug, das nach Erschöpfung der Batterie im vom Start weg benutzten Boliden ab der Rennhälfte zum Einsatz kommt. Das Gimmick, für Traditionalisten ein weiterer Beweis für die Minderwertigkeit der Formel-E, ist immer wieder im Gerede. Quasi "stichhaltige Gerüchte" legen nahe, dass Bots für so manchen Boost verantwortlich zeichnen.

Zumindest für die letzten drei Saisonrennen nach Berlin – Zürich und zweimal New York – ist daran nichts zu ändern. Bis zum ersten Wiener E-Prix dürften die Kinderkrankheiten ohnehin ausgemerzt sein. Als vor zehn Tagen die Voestalpine ihr Engagement als Hauptsponsor für die Europarennen verkündete, wurde dem über die professionelle Begeisterung hinaus euphorischen Agag, der von informellen Gesprächen berichtet hatte, vonseiten der Stadtregierung widersprochen. (19.5. 2018)