"Niemand muss sich vor unserer Regierung fürchten", versuchte Lega-Chef Matteo Salvini besorgte Gemüter zu beruhigen.

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Matteo Salvini weiß ganz genau, mit welcher Sorge das Ausland die Regierungsbildung in Italien verfolgt. Und zwar so genau, dass der Chef der Lega nach seiner gefühlt 27. Unterredung mit Staatspräsident Sergio Mattarella mit fast schon messianischem Gestus verkündete: "Niemand muss sich vor unserer Regierung fürchten!"

Oh doch. Sorge in Bezug auf eine Regierung aus der zur Systempartei mutierten ideologiefreien Fünf-Sterne-Bewegung unter Luigi Di Maio und der ausländerfeindlichen, europakritischen Lega unter Salvini ist nicht nur berechtigt, sondern sogar empfohlen und angebracht.

Da ist zum einen das Regierungsprogramm, das trotz aller hastig und in letzter Sekunde vorgenommenen Entschärfungen (doch keine Forderung an die Europäische Zentralbank nach Schuldentilgung im Ausmaß von 250 Milliarden Euro und Ähnliches) immer noch über weite Strecken unrealistisch, absurd oder bestenfalls vage anmutet.

Streit um Topjob

Noch bedenklicher ist der Prozess, wie es überhaupt zur Nominierung des Juristen Giuseppe Conte für den Posten des Ministerpräsidenten kam: Di Maio und Salvini sollten gemeinsam eine schlagkräftige Regierung auf die Beine stellen. Doch in den zweieinhalb Monaten seit ihrem Wahlsieg, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließ, ging es kaum um Inhalte, sondern vielmehr um die Frage, wer denn diese Regierung der Systemablehner anführen soll. Di Maio und Salvini tricksten und booteten sich wochenlang gegenseitig aus, jeder erhob den Anspruch auf den Topjob. Der eine, Di Maio, weil er Chef der stimmenstärksten Einzelpartei sei – der andere, Salvini, weil er die stimmenstärkste Wahlallianz anführe.

Nun haben die beiden Alphatiere mit dem in akademischen Kreisen angesehenen Giuseppe Conte einen Premierskandidaten präsentiert, mit dem sie beide leben können – und mit dem auch Staatspräsident Mattarella und Europa leben können sollen.

Conte mag als Jurist zwar beschlagen sein, doch Politik – zumal die zum Regieren unabdingbare Realpolitik – ist doch ein ganz anderes Feld. Und da hat Conte bisher null Referenzen. Wir wissen nur, dass er als Bürger jahrzehntelang links gewählt hat, sich aber zuletzt der einst von Komiker Beppe Grillo gegründeten Fünf-Sterne-Bewegung angenähert hat und gegen jede Form von Bürokratie zu Felde ziehen will.

Der Regierungschef als Marionette

Dass Conte für Di Maio und Salvini nichts anderes als eine Marionette sein wird, haben diese schon längst klargemacht: In einem vor wenigen Tagen von "Huffington Post Italia" geleakten Verhandlungsdokument wird detailliert beschrieben, wie der Job eines Ministerpräsidenten in Zukunft aussehen soll: nicht als tatsächlicher Anführer einer Regierung, sondern bloß als "Ausführender" (esecutore) der Entscheidungen eines Gremiums, das aus Di Maio, Salvini, einigen Beratern und den jeweils in der Sache betroffenen Fachministern gebildet wird.

Schon macht in Italien der Begriff "Regierungschef mit beschränkter Haftung" die Runde. Conte wäre kaum mehr als ein Geschäftsführer, der das auszuführen hat, was andere – der Vorstand, wenn man so will – entschieden haben. Im Prinzip ist das nicht nur eine bisher beispiellos alternative Interpretation der italienischen Verfassung, sondern auch ein glatter Bruch eines zentralen Wahlversprechens beider Populisten an ihre Wähler: Italien muss wieder von direkt gewählten Menschen regiert werden.

Und dann ist da noch ein weiterer Grund zur Sorge. Diesen sprach Salvini selbst am Montagabend mit konträrer Absicht voller Stolz und Zuversicht an: Er werde dafür eintreten, dass die "Italiener zuerst" drankommen. In den Ohren jeder Italienerin, jedes Italieners klingt das zunächst positiv – wäre dieser Slogan nicht von US-Präsident Donald Trump ausgeborgt. Und wohin die USA seit dessen Amtsantritt driften, ist wohlbekannt: in die selbstgewählte internationale Isolation. Es steht zu befürchten, dass eine "Italy First"-Politik die Europäische Union noch weiter korrodiert, als dies unter Einfluss von Ungarn, Polen und den den Club bald verlassenden Briten ohnehin schon geschieht.

Daher, sehr geehrter Herr Salvini: Wir hören Ihre Botschaft wohl, doch wir machen uns dennoch Sorgen. (Gianluca Wallisch, 22.5.2018)