Bild nicht mehr verfügbar.

Im britischen Dandy und Literaten Oscar Wilde sieht Rupert Everett eine Christus-ähnliche Figur. In "The Happy Prince" verkörpert er ihn nun selbst.

Foto: Taylor Jewell / Invision / AP

Acht Jahre lang hat der Brite Rupert Everett für sein Regiedebüt The Happy Prince über Oscar Wilde gekämpft. Dass sich die Realisierung trotz namhafter Schauspieler wie Colin Firth oder Emily Watson als so schwierig erwies, lag wohl auch am Fokus des Films. Denn Wildes letzte Lebensjahre werden von den Biografen meist nur schamhaft gestreift, schlitterte der geächtete und verarmte Dichter im Pariser Exil doch in einen Abgrund aus Alkoholsucht und Krankheit.

Filmladen Filmverleih

STANDARD: Mit Oscar Wilde verbindet Sie eine lange Geschichte ...

Everett: In der Tat. Meine Mutter hat mir als Kind immer vor dem Schlafengehen vorgelesen – gern das Märchen Der glückliche Prinz, das dem Film nun den Titel gibt.

STANDARD: Eigentlich zielte die Frage ja darauf, dass sich die Entstehung des Films lange hinzog und Sie Wilde bereits in "The Judas Kiss" erfolgreich in einem Londoner Theater verkörpert haben.

Everett: Als Sechsjähriger wusste ich ehrlich gesagt auch nicht, dass die Geschichte von Wilde war! Das Drehbuch zum Film hatte ich allerdings schon vor dem Theater begonnen. Nachdem ich jedoch vier Jahre lang daran gescheitert war, finanzielle Unterstützung für den Film zu bekommen – ich fühlte mich wie Don Quijote -, kam mir die Idee, dass es helfen könnte, Wilde in dem Stück von David Hare zu spielen. Es wurde ein großer Erfolg. Und die Proben im Theater halfen mir auch für den Film. Hätte ich den Film gleich beginnen können, wäre er wohl zum Desaster geworden.

STANDARD: "The Happy Prince" erzählt von Wildes letzten Jahren, nachdem er aufgrund seiner Beziehung zu Lord "Bosie" Douglas wegen "grob unsittlichen Verhaltens" verurteilt wurde. Ein jäher Absturz, war doch Wilde auf der Höhe seines Ruhms.

Everett: Er war so berühmt, wie man es damals nur sein konnte.

STANDARD: Hat ihn der Ruhm für das blind gemacht, was dann auf ihn zukam?

Everett: In der Celebrity-Kultur haben wir es heute noch mit vielen Fällen von Blindheit zu tun. Wilde war trunken von seinem Ruhm, er fühlte sich unverletztlich, dabei lebte er gefährlich. Damals herrschte eine Kultur, die solches Benehmen nicht akzeptierte – Homosexualität blieb in England bis 1967 verboten. Und Wilde war noch dazu ein Ausländer, ein Ire! Für einen Engländer ist das schlimmer als alles andere. Sogar schlimmer, als Deutscher zu sein.

STANDARD: Ist Wilde über seine Eitelkeit gestolpert?

Everett: Ja, allerdings hat es mich auch berührt, wie eingebildet man sein kann. Wilde ist eine Christus-Figur: Diese Idee von Christus – halb Gott, halb Mensch – ist etwas, was wir alle in uns haben. Wilde besitzt Eigenschaften wie Eitelkeit, Wut und Gier, aber auch dieses Genie – etwas Götterhaftes. Als schwuler Mann halte ich ihn für außergewöhnlich. Er personifiziert für mich den Anfang der Schwulenbewegung. Vor ihm gab es dafür keinen Begriff.

STANDARD: Sie zeigen, wie er auf dem Totenbett sogar noch getauft wird – und wie ihn die Weihung daran erinnert, dass er bespuckt wurde.

Everett: Wilde hatte einen Jesus-Komplex. Sein Leben lang hat er mit dem Katholizismus geflirtet. Als er aus dem Gefängnis kam, wollte er in ein Kloster gehen. Das hat man ihm verwehrt. Die Konvertierung auf dem Totenbett gab mir Gelegenheit, ihn zum Heiligen zu stilisieren. Dass er sich daran erinnert, wie er bespuckt wurde, ist für mich ein Bild dafür, was die katholische Kirche Homosexuellen angetan hat.

STANDARD: In einer der stärksten Passagen sehen wir, wie Wilde in Paris als Clochard lebt und bettelt. Sie entdecken in dieser Verkommenheit auch die Würde eines ewigen Außenseiters, nicht wahr?

Everett: Wilde und Paul Verlaine sind für mich die letzten großen Vagabunden des 19. Jahrhunderts. Ich finde dieses Leben auf den Boulevards außergewöhnlich – tragisch und glamourös. Wir haben es mit einem Mann zu tun, der die Seele des Londoner Café Royal war und in königlichen Kreisen verkehrte. Fünf Jahre später ist er ein Absinth-trinkender Straßenbewohner. Das fand ich inspirierend und schön.

STANDARD: In welchem Sinne?

Everett: Niederlagen und Katastrophen sind unendlich faszinierend!

STANDARD: Weil sich im Scheitern auch menschliche Anmut spiegelt?

Everett: Dekadenz bedeutet ja so etwas wie schöner Verfall.

STANDARD: Wildes kreative Energie ging damals verloren – hat Sie auch dieses Versiegen eines Talents interessiert?

Everett: Er lebte zumindest weiter wie ein Poet. Wilde erklärte es so: "Ich habe geschrieben, als ich nichts über das Leben wusste. Nun, da ich es kenne, gibt es nichts mehr zum Schreiben."

STANDARD: Apropos, wie sind Sie denn mit der Sprache, den Zitaten umgegangen?

Everett: Die Dialoge sollten nicht zu statisch wirken, sondern eher flüchtig, en passant gesagt. Zitate? Die Tapetenpointe gut anzubringen war mir wichtig: "Die Tapete ist schrecklich – entweder sie geht oder ich." Es gibt noch ein paar andere Zitate, die ich eingestreut habe – warum man seinem eigenen Ruin entgegenrennt, solche Sachen. Das war zentral für die ganze Unternehmung. Diese magnetische Anziehung, wenn man über ein Kliff springt. Das Fasziniertsein von der Selbstzerstörung ist eine seltsame Eigenschaft des Menschen.

STANDARD: Wie schwierig war die physische Anverwandlung?

Everett: Das war recht einfach. Ich trug einen Fat-Suit, der richtig ausgeklügelt war. Ich hatte Pavianbrüste und diesen gigantischen Penis mit einem Hodensack, der aus getrockneten Erbsen gemacht war. Der Bauch hatte drei Schichten, darüber trug ich ein Korsett – damit ich wie Wilde gehen konnte. Und ich hatte Zähne, die mein Gesicht gleichsam von innen deformierten. Alles sehr effektiv. (Dominik Kamalzadeh, 24.5.2018)