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Die Sozialisten misstrauen Mariano Rajoy.

Foto: Reuters/Hanna

In Spanien, der fünftgrößten Volkswirtschaft der EU, zeichnet sich eine schwere Regierungskrise ab. Schon in den kommenden Wochen könnte Ministerpräsident Mariano Rajoy sein Amt verlieren. Grund dafür: die Schwarzgeldaffäre "Gürtel" (siehe Wissen).

Der sozialistische PSOE hat am Freitag ein Misstrauensvotum eingebracht. Rajoy, so die Opposition, habe jedwede Glaubwürdigkeit verloren, nachdem das Oberste Strafgericht, die Audiencia Nacional, am Donnerstag 29 Politiker und Unternehmer aus dem Umfeld von Rajoys konservativem Partido Popular (PP) zu insgesamt 351 Jahren Haft verurteilt hatte.

Das Gericht sah als erwiesen an, dass der PP zwischen 1999 und 2005 zig Millionen an Schmiergeldern kassiert und im Gegenzug Firmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bevorzugt hatte. Der ehemalige Schatzmeister Luis Bárcenas muss für 33 Jahre hinter Gitter, der Unternehmer und Chef des Korruptionsnetzwerkes Francisco Correa für 51 Jahre. Weitere PP-Politiker – darunter Bürgermeister – wurden zu 14 bis über 30 Jahren Haft verurteilt. Der PP muss 245.000 Euro Strafe zahlen. Rajoy selbst hatte vergangenen Juli als Zeuge ausgesagt.

Das Urteil des Madrider Gerichts ist ein harter Schlag für Rajoy. Noch am Mittwoch hatte er allen Grund zum Jubeln. Das Parlament hatte nach langem Ringen mit einer Stimme Mehrheit den neuen Haushalt verabschiedet. Rajoy hatte damit die Grundlagen geschaffen, bis zum Ende der Legislatur im Spätjahr 2020 im Amt zu bleiben. Keine 24 Stunden später kam das Urteil im Fall Gürtel.

Sánchez will Premier werden

Der Chef der Sozialisten, Pedro Sánchez, will für den Fall seines Sieges "die politische und institutionelle Normalität wiederherstellen, das demokratische Leben regenerieren und sozial dringliche Maßnahmen einleiten" – und selbst für das Amt des Ministerpräsidenten kandidieren, obwohl er nicht dem spanischen Parlament angehört, was laut Verfassung aber möglich ist.

Mit dem Misstrauensvotum verliert der spanische Ministerpräsident ausgerechnet seinen wichtigsten Partner, die rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger). Sie wollen für Sánchez stimmen, falls Rajoy nicht umgehend Neuwahlen ausruft. Die Partei des jungen Albert Rivera ist in den letzten Monaten in den Umfragen gestiegen und gilt als stärkste Kraft. Die Ciudadanos profitieren von ihrem harten Kurs gegen die katalanische Unabhängigkeitsbewegung. Sánchez, der nur über 85 der benötigten 176 Abgeordneten verfügt, sitzt damit in einer Zwickmühle. Will er die Stimmen der Ciudadanos, muss er wohl bald schon Wahlen ansetzen. Bei den derzeitigen Umfragen wäre dies das Aus für seine Träume von der Regierung. Sánchez könnte die absolute Mehrheit auch ohne die Rechtsliberalen erreichen, allerdings nur, wenn er von allen Abgeordneten außer denen des PP und der Ciudadanos gewählt wird.

Die linksalternative Partei Podemos von Pablo Iglesias hat ihm die Unterstützung zugesagt. Sánchez brauchte allerdings auch die Stimmen der im Baskenland regierenden Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) und vor allem der katalanischen Parteien, die für die Unabhängigkeit ihrer Region streiten. Die katalanischen Parteien, vor allem die PdeCAT des in Deutschland auf seine Auslieferung wartenden Carles Puigdemont und die Linksnationalisten von Kataloniens inhaftiertem Ex-Vizeregierungschef Oriol Junqueras, haben immer wieder bekräftigt, ein Misstrauensvotum zur Ablösung Rajoys zu unterstützen. Doch ein solches Bündnis könnte bei der derzeit aufgeheizten Stimmung in der Katalanenfrage der Popularität der Sozialisten schaden. Und davon würden wiederum vor allem die Ciudadanos profitieren.

Das Misstrauensvotum "ist schlecht für Spanien und schlecht für die Spanier und erzeugt nur Unsicherheit", erklärte hingegen Regierungschef Rajoy am Freitag. (Reiner Wandler, 25.5.2018)