Christian Korunka, Arbeitspsychologe an der Uni Wien: "Perfektionismus kann Zeit fressen, aber genauso gute Produkte entstehen lassen und zur Qualitätssicherung beitragen."

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STANDARD: Laut einer aktuellen Studie sind junge Menschen perfektionistischer, verspüren mehr Druck, zu genügen, als noch vor 30 Jahren. Woran liegt das?

Korunka: Dieser Perfektionismus ist Ausdruck einer veränderten Gesellschaft. Wir haben die Generation Y mit ihren bekannten Anforderungen an den Job. Und eine Leistungsgesellschaft mit sozialer Beschleunigung, einem zunehmenden Leistungs-, Zeit- und Konkurrenzdruck. Das beginnt bei den Auswahlverfahren an Schulen, Unis und beim Berufseinstieg. Der unglücklich klingende Begriff "war for talents" macht die Konkurrenz in der Arbeitswelt sichtbarer. In diesem Krieg muss man sich als Soldat gut präsentieren, sonst gewinnen andere.

STANDARD: Gerade der Perfektionismus, sich an gesellschaftliche Vorstellungen anzupassen, sei gestiegen, so die Studie. Hat das damit zu tun, dass man sich im Internet besser vergleichen kann?

Korunka: Ja, die Konkurrenz ist eindeutig öffentlicher geworden. Etwa findet man einen guten Lebenslauf schon im Internet, die Standards gleichen sich an. Daher wird es schwieriger, hervorzustechen.

STANDARD: Wie zeigt sich der Perfektionismus?

Korunka: Einerseits gibt es den zwanghaften Perfektionismus, wenn jemand einen Bericht nicht aus der Hand gibt, bevor er ihn nicht zehnmal gelesen hat. Das hat sich kaum verändert. Den quasi neuen Perfektionismus der Generation Y sehe ich eher als Leistungsbereitschaft.

STANDARD: Welche Folgen kann das haben?

Korunka: Für die Erwerbstätigen hat das kurzfristig kaum Auswirkungen. Die Arbeitssituation ist insgesamt nicht schlechter geworden, wie Studien zeigen, abgesehen von Entwicklungen wie etwa der Leiharbeit. Längerfristig sieht man allerdings, dass psychische Belastungen und Burn-out zunehmen.

STANDARD: Burn-out also als Folge davon, dass man unter Druck steht und Angst vor Fehlern hat?

Korunka: Ja, Letztere ist problematisch. Menschen machen nun mal Fehler. Man muss sie erkennen und offenlegen, um aus ihnen zu lernen.

STANDARD: Wer ist davon betroffen?

Korunka: Ein eher kleiner Ausschnitt der Arbeitswelt: Wissensarbeiter, wie in den neuen Dienstleistungen der Gig-Economy, IT, Beratungen oder Banken.

STANDARD: Der Tischler kann den Tisch ja auch noch perfekter machen. Im Gegensatz zum Wissensarbeiter ist irgendwann Schluss, weil das Produkt fertig ist ...

Korunka: Genau, das ist der alte, gesunde Perfektionismus, die Qualität, nichts zu übersehen. Das Phänomen tritt also eher da ein, wo man potenziell ewig an einer Sache arbeiten kann. Da kann es auch ins Zwanghafte kippen. Fraglich ist, wie oft das vorkommt, denn wer hat Zeit dafür? Irgendwann ist man unproduktiv.

STANDARD: Ist Perfektionismus also schlecht?

Korunka: Nicht unbedingt. Perfektionismus kann Zeit fressen, aber genauso gute Produkte entstehen lassen und zur Qualitätssicherung beitragen. Auch Genauigkeit und Verlässlichkeit sind positiv. Gerade wenn man flexibel arbeitet.

STANDARD: Inwiefern?

Korunka: Damit Homeoffice klappt, braucht es Bedingungen wie Teammeetings, zu denen man pünktlich kommt, um sich auszutauschen. Hier besteht auch die Gefahr, dass Leute bis zwei Uhr nachts zu Hause arbeiten, bis etwas perfekt ist.

STANDARD: Was kann man dagegen tun?

Korunka: Perfektionisten haben viel Selbstkontrolle, die man nutzen sollte, um Grenzen zu ziehen. Etwa dass man nur von neun bis fünf arbeitet, Dinge mal gut sein lässt. Diese Erkenntnis ist oft schon der erste Schritt, um alte Muster aufzubrechen. (Selina Thaler, Der Standard, 4.6.2018)