Drei Bilder aus der Verfilmung von "Every Day" mit Momenten des Erwachsenwerdens: Was am Ende zählt, sind der Freund, ...

Foto: Einhorn Film

... die Familie ...

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... und der Verzicht.

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Das Leben ist Routine. Zum Beispiel, wenn man jeden Morgen aufwacht, seine Hände betrachtet und überlegt, in wessen Körper man den Tag verbringen wird. Da genügen schon sechzehn Jahre, um zu wissen, was einen erwartet. Was diesem Körper zumutbar ist oder was ihm am Vorabend zugemutet wurde. Und doch: Wäre es nicht auch großartig, jeden Tag jemand anderer sein zu können?

Every Day heißt der 2012 erschienene Roman des US-Autors David Levithan, dessen Verfilmung dieser Tage unter dem deutschen Titel Letztendlich sind wir dem Universum egal in den Kinos startet. Dass dieser Übersetzung ein gewisser fatalistischer Beigeschmack anhaftet, passt ausnahmsweise recht gut zu dieser Erzählung über einen jungen Menschen, der jeden Morgen in einem fremden, aber immerhin gleich alten Körper aufwacht. Mal Bursche, mal Mädchen.

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"Ich bin Treibgut, und so einsam das mitunter sein kann, es ist auch enorm befreiend", lässt Levithan seine Figur namens A berichten. "Ich werde nie den Druck von Gleichaltrigen oder die Last elterlicher Erwartung spüren." Klingt das nicht verheißungsvoll? Kein Mobbing, keine lästigen Geschwister und nervigen Eltern, sondern nur Vorschriften, die einem höchstens das eigene Gewissen auferlegt?

Blaupause fürs Genre

Als vor wenigen Jahren die erste Verfilmung einer ganzen Reihe ähnlicher Jugendbücher in die Kinos kam, klang das noch so: "Abends um neun lag ich im Bett, weil um neun Uhr meine Bettzeit war", heißt es in Paper Towns (Margos Spuren). Ein junger Bursche namens Q macht sich darin mit seiner Peergroup auf die Suche nach seiner Nachbarin Margo, die kurz vor dem Abschlussball spurlos verschwunden ist. Die seit Kindheitstagen einseitige Liebe bringt den jungen Erzähler zwar in gehörige Nöte, lässt ihn aber im Augenblick der Erkenntnis – mithin am Ende seiner Reise ins Erwachsenenleben – reifen.

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Es war ein Auftakt nach Maß, den Paper Towns hinlegte. Besetzt mit dem britischen Model Cara Delevigne und basierend auf dem Roman von John Green, der bereits mit Eine wie Alaska seinen ersten Bestseller vorgelegt hatte, erwies sich Margos Spuren als Blaupause für ein kommendes Subgenre. Es war das erste deutliche Zeichen einer Abwendung von der dystopischen Science-Fiction, wie sie die Blockbuster-Verfilmungen Die Tribute von Panem oder Maze Runner bis dahin erfolgreich skizziert hatten: keine Rebellion mehr gegen ein autoritäres Regime, korrupte Politiker und zerstörerische Technik, sondern eine Hinwendung zurück zum Highschool-Alltag.

Leben vor dem Spind

Natürlich ist es ein Alltag, wie ihn das US-Mainstreamkino liebt, doch es sind mit Empathie gezeichnete Figuren, die im Gegensatz zu den kämpfenden Heldinnen der Zukunft, wie in Tribute von Panem oder der High-Concept-Verfilmung Die Bestimmung, nahezu realistisch erscheinen. Das Leben vor dem Spind auf dem Schulgang ist nämlich hart genug.

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Cara Delevingne und Nat Wolff in "Paper Towns" ("Margos Spuren").
Foto: AP/Michael Tackett

Was Filme wie Margos Spuren, Das Schicksal ist ein mieser Verräter (ebenfalls nach John Green) und Letztendlich sind wir dem Universum egal verbindet, ist eine neue Empfindsamkeit, nicht nur in der Zeichnung der Figuren, sondern auch eine der Figuren selbst. Das hat weniger mit verkitschter Teenie-Romantik zu tun als mit individuellem Verzicht zugunsten eines eigenen Ziels: Wenn etwa der Erzähler in Every Day für die Liebe einen Körper unbotmäßig lange "besetzt", so muss er die eigenen Interessen gegen jene der anderen – selbst jene der Geliebten – abwägen. Und möglicherweise für das Glück der anderen die eigenen Bedürfnisse zurückstellen.

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In Before I Fall (Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie) erlebt die junge Heldin immer wieder denselben Tag, um ein von ihr verschuldetes Unglück wiedergutzumachen: Samatha (Zoey Deutch) trägt Mitschuld am Unfalltod einer gemobbten Außenseiterin. Ein Kampf in der Zeitschlaufe gegen die eigene frühere Gewissenlosigkeit.

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Es mutet im historischen Vergleich erstaunlich an, welche scheinbar alten Werte diese neuen Filme erkennen lassen, die im Gegensatz zu ihren Vorlagen oftmals noch stärker mit dem Strich gebürstet werden. Doch das ist weniger ein Widerspruch als eine Ergänzung: zum angeblichen Hedonismus, den Partys, dem Alkohol und, ja, zum Sex.

Zoey Deutch in "Before I Fall" ("Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie").

"Früher oder später muss man mit der Tatsache Frieden schließen, dass man einfach existiert", heißt es in Every Day. Die Bücher von John Green und David Levithan erzählen immer auch davon, wie man sich als junger Mensch eine Identität schafft, die einem die ständige digitale Verfügbarkeit vorgibt. Es muss nicht mehr rebelliert oder die Gesellschaft gerettet werden, sondern es genügt, wenn man wie in Das Schicksal ist ein mieser Verräter eine Grabrede für den krebskranken Freund hält, damit dieser die letzten Worte hört.

In einer Welt, in der die Erwachsenen nicht mehr als Kontrahenten wahrgenommen werden, geht es um etwas anderes. Immer wieder um Liebe, oft um Freundschaft, manchmal um den Tod. Anders als im sozialrealistischen Coming-of-Age-Film, wie ihn das europäische Autorenkino und das US-Independentkino pflegen, ist es eine Welt zwischen Klassenraum, Jugendzimmer und Autofahrten durch die Suburbs.

Und doch ist es eine Welt der täglichen Entscheidungen: Im Videospiel Life Is Strange muss man sich in der Rolle der jungen Protagonistin entscheiden, die beste Freundin vor dem Tod zu retten oder eine Kleinstadt der Verwüstung zu überlassen. "To all of you, American girls in the movies / No one can tell where your heart is", singen Syd Matters im dazugehörigen Soundtrack. Aber eigentlich weiß man doch, wo das amerikanische Mädchenherz schlägt. (Michael Pekler, 29.5.2018)