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Die quantenmechanische Verschränkung, die Teilchen über Distanzen hinweg verbindet, ist das Herzstück von Quantentechnologien.

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David Kaiser ist Wissenschaftshistoriker und Physiker am MIT.

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Wie Hippies im San Francisco der 60er- und 70er-Jahre einen wesentlichen Grundstein für den heutigen Milliardenmarkt der Quanteninformationstechnologien rund um Quantencomputer und Co gelegt haben, hat der Historiker und Physiker David Kaiser aufgearbeitet.

Esoterische Fragen wie die Verbindung von Quantenphysik und Gedankenlesen sind damals diskutiert worden, aber auch eines der wichtigsten physikalischen Theoreme des 20. Jahrhunderts, das außer den Hippies damals noch kaum jemand beachtet hat.

STANDARD: Sie haben aufgearbeitet, wie die Hippie-Bewegung Physiker dazu angeregt hat, merkwürdigen Phänomenen der Quantentheorie Aufmerksamkeit zu schenken. Wie kam es dazu?

Kaiser: Was mein Interesse geweckt hat, waren die unerwarteten Verbindungen zwischen Gebieten, die wir herkömmlich als etwas sehr Unterschiedliches wahrnehmen. Auf der einen Seite ist da die bunte und exzentrische Hippie-Bewegung, die in den späten 60er-Jahren aufgekommen ist. Auf der anderen Seite Wissenschafter, die stereotypisch oft als nüchterne Pragmatiker wahrgenommen werden. Mich interessieren Momente in der Geschichte, in denen unerwartete Verbindungen zwischen zuvor getrennten Gebieten entstehen. An diesen Übergängen kann ein wirklich interessanter Austausch stattfinden.

STANDARD: Wie ist die Verbindung zwischen Hippie-Bewegung und Quantenphysik entstanden?

Kaiser: In der Umgebung von San Francisco gab es eine Gruppe von sehr gut ausgebildeten Physikern. Sie hatten promoviert, manche von ihnen hatten Stellen im akademischen Mittelbau. Aus verschiedenen Gründen konnten sie ihre Karrieren in der Wissenschaft nicht so fortsetzen, wie ihre eigenen Lehrer das getan hatten – die Forschungsförderung und Karriereverläufe hatten sich, auch durch den Kalten Krieg, geändert. Sie mussten neue Wege einschlagen und eine neue Art finden, Physik zu betreiben. Darin waren sie sehr kreativ und schlau, sie hatten unternehmerische Begabung und einen sehr spielerischen Zugang. Ich würde sagen, dass diese Gruppe sich eine Art Paralleluniversum geschaffen hat. Durch die besonderen Umstände waren sie offen für eine Reihe an Fragen, die normalerweise nicht gemeinsam betrachtet worden sind.

STANDARD: Welche Fragen waren das?

Kaiser: Diese Gruppe hat sich etwa mit Gedankenlesen und Telepathie beschäftigt – also mit Dingen, die sehr okkult anmuten. In der Hippie-Bewegung hat das viele interessiert, und sie konnten so Sponsoren für ihre Sache finden. Sie haben auch die Schnittstelle zwischen Quantenphysik und der Natur des Bewusstseins erforscht. Doch eines der Themen, die mich und heute viele Physiker weltweit am meisten faszinieren, ist die Quantenverschränkung. Dieses Phänomen, wonach Systeme über Distanzen hinweg zusammenhängen, ist seit den 30er-Jahren bekannt, wurde aber erst durch den irischen Physiker John Bell in den 60er-Jahren auf eine wissenschaftliche Ebene gehoben. Heute ist Bells Arbeit ein wichtiger Bezugspunkt für die Grundlagenforschung der Physik. In jedem Physiklehrbuch ist Bells Theorem zu finden, und alle Studenten lernen, welche merkwürdigen Konsequenzen es hat. Trotz seiner Bedeutung dauerte es viele Jahre, bis es anerkannt worden ist. Die San-Francisco-Gruppe hat lange vor anderen erkannt, wie faszinierend und bahnbrechend Bells Arbeit ist. Und sie war eine Art Katalysator, der einige Physiker dazu brachte, sich mit der Verschränkung zu beschäftigen, wodurch der Grundstein für die Quanteninformationstechnologie gelegt worden ist.

STANDARD: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse sind durch die San-Francisco-Gruppe gewonnen worden?

Kaiser: Die Gruppe hat sehr früh erkannt, dass die Quantenverschränkung ein Problem für die Vereinbarkeit der Quantenmechanik mit der Relativitätstheorie darstellt. Damit hadern wir in der Physik bis heute. Außerdem hat die Gruppe ein Gedankenexperiment aufgestellt, durch das andere Physiker das sogenannte No-Cloning-Theorem entdeckt haben. Laut diesem Theorem ist es nicht möglich, Quantenteilchen zu klonen – das ist ein fundamentales Resultat, und es ist auch der Grund, warum Quantenverschlüsselung abhörsicher ist. Die Hippies haben die Quantenkryptografie nicht erfunden, aber sie haben durch ihre spaßige, nachdenkliche Arbeit einen Dominoeffekt neuer Ideen ausgelöst.

STANDARD: Eines Ihrer Bücher trägt den Titel "How the Hippies Saved Physics" ...

Kaiser: Dieser Titel ist ganz bewusst überzogen. Ich will nicht in einem wortwörtlichen Sinne argumentieren, dass die San-Francisco-Gruppe die gesamte Disziplin verändert hat. Doch wir müssen sehen, dass es ein intellektuelles Erbe dieser Hippies gibt, mit dem wir in der Quantenphysik tagtäglich arbeiten. Ich teile zwar nicht alle Vorhaben dieser Hippies, aber was ich wirklich bewundere, ist der Spaß und die Freude, die sie an den Tag gelegt haben, all diese äußert schwierigen Fragen zu erforschen. Auch noch 50 Jahre später ist diese Begeisterung spürbar.

STANDARD: Die Quantentechnologie ist heute ein weltweiter Milliardenmarkt – wie viel ist vom damaligen Hippie-Spirit noch übrig?

Kaiser: Das Feld der Quanteninformationstechnologie, das derzeit wirklich weltweit boomt, ist nun breit genug, eine Variation von unterschiedlichen Zugängen zu umfassen. Es gibt Platz für fundamentale, philosophische Fragen, mit denen sich auch Forscher von Weltrang beschäftigen. Auf der anderen Seite gibt es sehr praktische, anwendungsorientierte Arbeiten. Von dieser Breite des Feldes hätte wohl weder John Bell noch die San-Francisco-Gruppe zu träumen gewagt.

STANDARD: Durch die Hippie-Physiker haben nichtwissenschaftliche Einflüsse enorme Bedeutung für die Wissenschaft erlangt. Was können wir daraus für die Art und Weise, wie heute Wissenschaft betrieben wird, lernen?

Kaiser: Als Historiker fällt es mir schwer, Schlussfolgerungen aus der Geschichte für die Gegenwart abzuleiten. Es wird niemanden überraschen, dass die Zeit und der Ort Einfluss auf die Wissenschaft nehmen. Das heißt nicht, dass die Arbeit vom Setting determiniert ist. Aber es hilft, zu verstehen, warum eine Idee zu einem bestimmten Moment aufpoppt, obwohl andere sie zuvor übersehen haben. Darin liegt für mich das große Vergnügen, in die Geschichte zurückzublicken: Sie ist eine erfrischende Mischung von Dingen, die einem bekannt vorkommen, und anderen, die sehr merkwürdig erscheinen. (Tanja Traxler, 31.5.2018)