Wien – Der russische Präsident Wladimir Putin wehrt sich gegen den Vorwurf, nationalistische Kräfte in Europa zu unterstützen, um die EU von innen zu schwächen. "(W)ir verfolgen nicht das Ziel etwas oder jemanden in der EU zu spalten", sagte Putin dem ORF in einem Interview, das Montagabend ausgestrahlt wird.

Man sei stattdessen daran interessiert, dass die EU als wichtigster Handels-und Wirtschaftspartner "geeint ist und floriert". Allerdings sei die Entscheidung, mit wem konkret man kooperiere, eine "pragmatische". "Wir versuchen, mit jenen zu kooperieren, die selbst öffentlich den Wunsch äußern, mit uns zusammenzuarbeiten." In diesem Sinne lobte Putin auch die bilateralen Beziehungen zu Österreich. Trotz all der Schwierigkeiten sei der Dialog in den letzten Jahren "nicht abgerissen". Sein Besuch in Wien am Dienstag sei aber keine Belohnung für die wohlwollende Haltung der österreichischen Regierung. "Ich denke, ein so geachtetes europäisches Land wie Österreich braucht keine Belohnung von irgendeiner Seite."

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Putin äußerte sich in dem Interview auch zu der Frage, warum es noch immer zu keinem Treffen zwischen ihm und US-Präsident Donald Trump gekommen ist. Die Verantwortung dafür sieht er auf US-amerikanischer Seite. "Meiner Ansicht nach ist das die Folge des heftigen innenpolitischen Kampfes in den USA." Aber man telefoniere "regelmäßig" und sei sich darüber einig, dass man einen "Rüstungswettlauf" verhindern müsse. Besorgt zeigte sich Putin in Bezug auf die Möglichkeit eines atomaren Konflikts zwischen den USA und Nordkorea. Wegen der geografischen Nähe werde Russland "alles für eine Entspannung auf der koreanischen Halbinsel tun." Die Aufgabe der Atomwaffen durch Nordkorea dürfe aber keine "Einbahnstraße" sein. Die "Fortsetzung von militärischen Aktivitäten und Manövern" der Gegenseite halte er für "kontraproduktiv".

Putin dementierte gegenüber dem ORF neuerlich die Verstrickung Russlands in den Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 im Juli 2014 über der Ostukraine, nachdem ein internationales Ermittlungsteam im Mai Russland die Schuld zugewiesen hat. Beide Seiten des Konflikts "verwenden Waffen, die in der Sowjetunion oder in Russland erzeugt wurden", beharrte Putin auf seiner Version. Außerdem würden in den Ermittlungen keine russischen Experten zugelassen. "Unsere Argumente werden nicht berücksichtigt."

Militärkontingent auf der Krim "rechtmäßig"

Der russische Präsident verteidigte die Rolle seines Landes im Ukraine-Konflikt. In der Ukraine habe es einen "verfassungswidrige(n), bewaffnete(n) Staatsstreich und Machtergreifung" gegeben. Das "rechtmäßig" auf der Krim stationierte Militärkontingent habe lediglich "unabhängige und freie Wahlen" auf der Halbinsel zugelassen. Niemand müsse "die freie Willensäußerung eines Volkes auf einem Gebiet anerkennen", das sei in einer UNO-Entscheidung so festgehalten.

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Ausführlich besprachen ZiB2-"Anchor" Armin Wolf und der russische Präsident die Frage der St. Petersburger "Trollfabrik". Die "Internet Research Agency" des Oligarchen Jewgeni Prigoschin, der von russischen Medien als "Putins Koch" bezeichnet wird, soll weltweit Wahlen beeinflussen. Putin nannte diesen Vorwurf "lächerlich". "Wie tief wären dann die Medien und die Politik im Westen gesunken, wenn ein Restaurant-Besitzer aus Russland Wahlen in Europa oder den USA beeinflussen kann?" Die Aktivitäten von Prigoschin seien seine "Privatsache", der russische Staat habe nichts damit zu tun. Er zog einen Vergleich zum ungarischstämmigen US-Milliardärs George Soros, "der sich auf der ganzen Welt in alle möglichen Angelegenheiten einmischt".

"Keinerlei Zweifel an der Demokratie"

Putin wehrte sich im Interview gegen den Vorwurf, ein autoritäres System in Russland errichtet zu haben. Es gebe "keinerlei Zweifel an der Demokratie in Russland". Auf die Frage, warum er den Namen seines Kontrahenten Alexej Nawalny bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen noch nie genannt habe, antwortete Putin: "Wenn jemand ein gewisses Gewicht beim Wähler erreicht, dann wird er zu jemandem, mit dem auch die Regierung sprechen und verhandeln muss. Aber wenn die eine oder andere politische Kraft nur einige wenige Prozentpunkte erreichen oder gar einige hundertstel Prozentpunkte, was soll das dann überhaupt? Was sollen wir mit solchen Clowns?" Den Namen Nawalnys erwähnte er auch dieses Mal nicht.

Putin räumte gewisse wirtschaftliche Schwierigkeiten in Russland seit 2012 ein. Das "Gehaltsniveau" sei ein "wenig gesunken", man befinde sich aber auf dem Weg der Besserung. Außerdem dürfe man nicht vergessen, dass sich seit 2000 die Armut halbiert habe. Die Frage, ob die außenpolitischen Konfrontationen ein Versuch seien, von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten abzulenken, ließ er unbeantwortet.

Mindestlänge

Wenige Tage bevor Putin Österreich als erstes EU-Land nach seiner Wiederwahl im April besucht, kam es im Kreml zu dem besonderen Interview: Der russische Staatschef stellte sich 52 Minuten lang den Fragen von Wolf.

Die Gelegenheit einen der mächtigsten Politiker der Erde ausführlich zu interviewen bietet sich selbst großen, internationalen Networks nur selten. Umso bemerkenswerter ist, dass der Kreml einer entsprechenden Interviewanfrage des ORF nachgekommen ist. Einzige Bedingung von Seiten der russischen Staatsspitze – das Interview sollte im ORF-Fernsehen eine gewisse Mindestlänge haben und von einem ORF-"Anchor" geführt werden.

Die Fragen wurden vorher nicht abgesprochen, lediglich über die allgemeinen Themenfelder des Interviews wusste die Pressestelle des Präsidenten im Voraus Bescheid. Das Gespräch selbst wurde schließlich von Dolmetschern des Kremls simultan übersetzt. (APA, 4.6.2018)