Diese Frage wird Kinder zu Schulbeginn trennen: Wer nicht Deutsch kann, soll in eine separate Klasse – zum Ärger mancher Lehrer.

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Wien – Die Ankündigung klingt rebellisch. "Wir wollen uns diesem Gesetz nicht einfach unterwerfen", sagt Gabriele Lener, Direktorin einer Volksschule im zweiten Wiener Bezirk. Gemeinsam mit anderen Lehrerinnen, einem Sprachwissenschafter, einer Elternvertreterin und einem Schüler spricht sie für eine Plattform, die sich aus Protest gegen ein Prestigeprojekt der türkis-blauen Regierung gebildet hat: die separaten Deutschklassen.

Kern des bereits beschlossenen Gesetzes: Schon ab dem kommenden Schuljahr sollen all jene Schulanfänger und Neueinsteiger, die "ungenügend" Deutsch sprechen, für bis zu zwei Jahre in eigenen Förderklassen abseits des regulären Unterrichts landen. Lediglich "nichtsprachintensive" Fächer wie Turnen und Zeichnen sollen in den gewöhnlichen Klassen stattfinden. Die versammelten Kritiker halten dieses Konzept aus vielen Gründen für fatal.

Abkapselung: "Pädagogisch fahrlässig" nennt Susanne Panholzer-Hehenberger, Volksschullehrerin im 22. Bezirk, die Regierungspläne. Sechsjährige würden nicht nur vom Rechnen und Sachunterricht ausgeschlossen, sondern auch der wichtigsten Lernhilfe beraubt: der Vorbilder. Kinder machten dann die meisten Fortschritte, wenn sie von den Besseren mitgezogen würden und das Gelernte ständig anwenden könnten, sagt die Pädagogin, der Glaube an den "Crashkurs" vorab sei eine Illusion: "Kinder lernen ja nicht eine Sprache, indem sie drei Stunden am Tag in einer Klasse Vokabeln lernen."

Doch gibt es derartige "Crashkurse" nicht schon längst? Schließlich stecken Volksschulen manche Tafelklassler bereits heute für elf Wochenstunden in Sprachstartgruppen. Diese seien mit den neuen Modell nicht vergleichbar, weil nicht nur kleiner, sondern auch individueller, erwidert Horst Pintarich, Direktor einer Volksschule in Favoriten: Kinder könnten flexibel und kurzfristig hin- und herwechseln. Die starren Deutschklassen hingegen, ergänzt Panholzer-Hehenberger, gäben den Kindern von Anfang die Erfahrung mit auf den Weg: "Du gehörst nicht dazu."

Versteckte Einsparung: An den Volksschulen sollen die Kinder 15 Stunden in den Deutschklassen zubringen, in der Mittelschule 20 Stunden. Doch das sei nur auf den ersten Blick eine Verbesserung gegenüber den aktuellen elf Stunden, sagt Pintarich. Denn während das neue Modell eine Gruppengröße von bis zu 25 Schülern vorsieht, säßen in den aktuellen Sprachtstartgrupppen viel weniger: "Elf Stunden für 14 Schüler sind mehr wert als 15 Stunden für 25 Schüler. In Wahrheit ist da eine Einsparung versteckt."

Organisationschaos: In der Theorie sollen die Förderschüler für Zeichnen, Turnen und Co aus der Deutschklasse wieder in die Stammklasse zurückwechseln. Seine Schule, wo die Mehrheit der Anfänger schlecht Deutsch könne, stelle das vor große Probleme, warnt Pintarich. Erstens habe er für fünf erste Klassen nur fünf Räume zur Verfügung, zweitens würden ohne die separierten Schüler gerade einmal acht bis zehn Kinder in den Stammklassen zurückbleiben – diese jeweils getrennt zu unterrichten sei eine Ressourcenverschwendung. Folglich werde er auch die regulären Schüler ständig neu zusammenwürfeln müssen, sagt der Direktor und bezweifelt, dass sich das alle Eltern bieten lassen: "Ich fürchte, dass viele ihre Kinder herausnehmen und wir zu einer Ghettoschule werden."

Abgehängte Kinder: Weil Mittelschüler laut Gesetz zwei Drittel der Zeit in den Deutschklassen sein müssen, würden sie wegen des fehlenden Unterrichts in Mathe, Englisch und den anderen Fächern automatisch ein Jahr verlieren, sagt Erika Tiefenbacher, Direktorin einer Neuen Mittelschule in Wien-Währing. Das werde in vielen Fällen dazu führen, dass die Betroffenen keinen Hauptschulabschluss schaffen. Das Bildungsministerium geht hingegen davon aus, dass die allermeisten Kinder dank der intensiven Förderung nach einem Semester den Einstieg in die regulären Klassen schaffen.

Fehlende Grundlage: Weder kleine Gruppen noch eine Verschränkung von sprachlichem und fachlichem Lernen – die Deutschklassen ignorierten nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch die Erfahrungen aus Berlin, sagt der Sprachwissenschafter Hannes Schweiger vom Institut für Germanistik der Uni Wien. Schließlich hätten sich die dortigen, ähnlich konzipierten "Willkommensklassen" nicht bewährt.

Statt ein uniformes Konzept überzustülpen, fordern die Aktivisten von der Regierung, die Entscheidung über die Art der Sprachförderung den Schulen zu überlassen. Und wenn sich ÖVP und FPÖ unbeeindruckt zeigen? Sie führe sicher keine Deutschklassen ein, sagt Ilse Rollett, AHS-Direktorin im sechsten Bezirk, und auch ihre Kollegin Lener deutet einen Boykott an: Möglicherweise müsse man Dinge tun, die das Gesetz so nicht vorsehe.

Was damit gemeint ist, erklärt Lener so: Die Deutschklassen widersprächen einem anderen Dienstauftrag, und zwar im Rahmen der Schulautonomie für die bestmögliche Sprachförderung zu sorgen. Die einzelnen Schulen sollten den Unterricht so gestalten, wie er pädagogisch vernünftig erscheint. "Ob dies dann von Fall zu Fall dem Gesetz entspricht oder nicht, werden Juristen zu klären haben", sagt Lener. "Und da erwarte ich mir rechtliche Unterstützung von der Gewerkschaft."

Rotes Wien gegen schwarze Kanzlerpartei

Eine solche Zusage gibt Paul Kimberger, Chef der Pflichtschullehrergewerkschaft, vorab nicht, sagt aber in den "Niederösterreichischen Nachrichten": "Es gibt zahlreiche ungeklärte Fragen, es gibt eine enorme Planungsunsicherheit." Eine Aussprache mit Bildungsminister Heinz Faßmann, ebenso wie Kimberger ÖVP, ist für den Nachmittag des 13. Juni fixiert.

Während der Wiener Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky und Stadtschulratspräsident Heinrich Himmer (beide SPÖ) "großes Verständnis" für die Bedenken äußern, fordert ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer von eben dieser Seite Konsequenz bei der Durchsetzung der Deutschklassen: "Es kann nicht sein, dass sich Lehrer gegen eine gesetzliche Regelung sträuben."

Minister Faßmann regiert gelassener. "Wir haben einen offiziellen Konsultationsmechanismus ganz im österreichischen sozialpartnerschaftlichen Sinne begonnen", sagt er: "Ich würde jetzt nicht Öl ins Feuer gießen. Wir sind auf einem guten Weg. Für gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen sehe ich derzeit eigentlich keine Legitimation und Notwendigkeit." (Gerald John, 6.6.2018)