"Die Art, wie ich die Welt sehe, ist realer und lässt die Betrachter sich viel lebendiger fühlen": Worte, die Julian Schnabel in seinem neuen Film van Gogh in den Mund legt. Sie treffen auch auf ihn selbst zu.

Foto: Julian Schnabel
Foto: Julian Schnabel

Den Pyjama trägt heute nicht er. Julian Schnabel hat sein Markenzeichen Gastgeber Peter Coeln überlassen. Obwohl! Das seidene Schlafgewand, das der als exzentrisch verschriene Julian Schnabel gern trägt, hätte gut zur aktuellen Verfassung des Künstlers gepasst. Aber Lässigkeit ist für den Mann mit den blau getönten Brillengläsern und dem ärmellosen, farbbeklecksten Hemd unter dem Leinensakko keine Frage des Schlafanzugs.

Die letzten Monate hat der 66-jährige Tausendsassa an seinem neuesten Film – einer Arbeit, die quasi im Kopf von Vincent van Gogh spielt – gearbeitet. Jetzt sei An der Schwelle der Ewigkeit zwar fast fertig, dafür er ziemlich k. o., gesteht Schnabel. "Wie auch immer", setzt er in Wien, wo er in der Galerie Ostlicht gerade eine Ausstellung seiner Polaroids eröffnet hat, nach: "Keine Klagen!"

Julian Schnabel: Ohne Titel (Atelier Montauk), 2004
Julian Schnabel

Zur Diva mutiert

Es war tatsächlich viel los. Seit April präsentiert der designierte Met-Direktor Max Hollein in San Francisco Schnabels monumentale Leinwände zwischen Antiken und den epochalen Skulpturen Rodins. Und erst vor drei Wochen eröffnete die renommierte Pace Gallery in London eine Schau mit neuesten Gemälden.

Wer wird es Schnabel da verdenken, dass er zur Diva mutiert, wenn ihm Fragen bei der Wiener Pressekonferenz nicht schmecken. Er sammelt sie, wirft sie in den Topf "dieselbe Frage" und – antwortet einfach nicht. Eine Schar Journalisten verwandelt er so fix in eifrige Gymnasiasten auf der Suche nach dem richtigen Stichwort. Letztlich taut er doch noch auf und erzählt eine Anekdote von seiner Mutter: "Ich wünschte, Julians chaotische Bilder wären so aufgeräumt wie Ihre", habe diese zu Andy Warhol gesagt. Der soll gekontert haben: "Ich wünsche mir mehr Farbtropfen auf meinen."

Julian Schnabel: Ohne Titel (Bel Air Landschaft), 2008
Julian Schnabel

"Mit der Malerei bin ich verheiratet"

Das Kunstmagazin Art nannte Julian Schnabel den "Jackson Pollock der 80er-Jahre". Mit seiner neuen expressiven und mit großem Ego präsentierten Malerei machte er damals rasant Karriere. Dass eines seiner Bilder das Büro von Gordon Gecko, dem skrupellosen Finanz investor aus Wall Street zierte, passt perfekt. Seit den 1990ern scheint er (von der Musik einmal abgesehen) seine Talente in vielen Genres zu vergolden. Mit dem 1996 aufgenommenen Filmemachen fährt er einige Erfolge ein. "Mit der Malerei bin ich verheiratet, das Filmemachen ist meine Geliebte", verriet er der Zeit einmal. Welche Beziehung er wohl zur Fotografie hat?

Er sehe sich nicht als Fotograf (und auch nicht als Filmemacher), erklärt er. Er habe vielmehr das Glück, dass auch ein Geschichtenerzähler in seinem Gehirn sitze. Es geht also vielmehr darum, für die jeweilige Story die richtige Form zu finden.

Julian Schnabel: Ohne Titel (Lou Reed, Montauk), 2002
Julian Schnabel

Vom Sonnenlicht aufgelöst

Bei den Polaroids begann es mit der Faszination für die spektakuläre 20×24-Inch-Kamera aus den 1970ern, von der nur sechs Stück angefertigt wurden. Kühlschrankgroß, fängt sie das, was vor ihr steht, 1:1 ein. Um scharfzustellen, muss man allerdings das gesamte Trumm verrücken. Gefangengenommen hat Schnabel nicht nur die Physikalität dieser Bilderfängerin, sondern auch die Unmittelbarkeit ihrer Aufnahmen – eine Eigenschaft, die ihn genauso an die Malerei erinnert wie die Chemie des Polaroids: Fotoemulsion, also etwas Flüssiges, verfestigt sich zum Bild.

Zu sehen sind Porträts von Freunden: von Mickey Rourke, Lou Reed, Christopher Walken oder den Beastie Boys, aber auch von seinen Kindern. Vertrauen nennt Schnabel als wichtige Voraussetzung. Viele Polaroids, darunter Interieurs aus seinem Studio in Brooklyn oder Schüsse aus dem Freilichtatelier in Montauk, schauen aber aus wie vom Sonnenlicht aufgelöst, wie ausgeblichene Grüße aus den Anfangstagen der Fotografie.

Julian Schnabel: Ohne Titel (Mickey Rourke), 2008
Julian Schnabel

Spiel mit Unschärfen

Julian Schnabels Spiel mit extremer Unschärfe und starker Überbelichtung lässt an seinen preisgekrönten Film Schmetterling und Taucherglocke (2007) denken. Im Film über den nach einem Schlaganfall in seinem Körper gefangenen Jean-Dominique Bauby, der nur noch sein linkes Auge bewegen kann, fängt Schnabel dessen subjektive Perspektive ein, "so als würde es dir selbst widerfahren": Schnabel übersetzt in verschwommene, ex trem nahsichtige, angeschnittene und manchmal überstrahlte Bilder.

Es geht Schnabel nicht um Perfektion. Es geht eher darum, sehen zu lernen oder die Dinge, die es zu sehen gilt, nicht vor lauter Durchs-Objektiv-Glotzen oder Herumgepose zu verpassen. Für solche Lehrstücke beraubt er Leute vor dem Louvre schon mal mit einem Schmäh ihres Selfiesticks. Oder er nimmt wie in Schmetterling und Taucherglocke mit auf Baubys Fantasiereisen, zeigt ineinanderfließende Aufnahmen von Insekten und Pflanzen. Manchmal ist man sich bei Schnabels Bildern nicht sicher, was man da eigentlich sieht. "Was zeigt dieses Bild? Ich denke, das ist eine gute Frage, die ein Bild aufwerfen kann." (Anne Katrin Feßler, 9.6.2018)