Die Geschichte der Rockmusik ist auch eine der männlichen Selbstvergewisserung: Iron Maiden (im Bild Bassist Steve Harris) bespielen das traditionell testosteronübersteuerte Nova Rock Festival.

Foto: John McMurtrie, ORF

Im Jahr 1954 war die Sache klar. Damals betrat ein Mann namens Elvis Presley die Bühne und wackelte kokett mit den Hüften. Im Publikum saßen kreischende Mädchen. Das mit der Freiheit, schien der Beau mit der tiefen Stimme zu sagen, das machen wir schon. Wir, die Männer, zelebrieren öffentlich unsere Sexualität, ihr, die Frauen, seht uns dabei zu. Und am Ende gewinnen wir alle zusammen.

Ganz so ist es dann nicht geblieben. Spätestens mit 1968 erodierte dieses hartnäckige Rollenverständnis. Wer sich heute allerdings die Programme großer, internationaler Rock- und Popfestivals mit kommerzieller Ausrichtung ansieht, könnte zu der Meinung gelangen, an dem Geschlechterverhältnis habe sich seit damals nichts geändert.

Anlässlich der beginnenden Festivalsaison hat die Musikwebsite Pitchfork den Frauenanteil unter den gebuchten Künstlern auf den 20 größten Multi-Genre-Festivals für 2018 erhoben. Das Ergebnis: Nur 19 Prozent der Acts sind weiblich. Frühere Studien waren zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Das Netzwerk Female Pressure etwa stellte fest, dass zwischen 2015 und 2017 der Frauenanteil bei Festival-Acts bei nur 15 Prozent lag.

"Unwille der Festivalmacher"

In Nickelsdorf beginnt morgen, Donnerstag, das 14. Nova Rock. Das ist das größte Rockfestival des Landes mit einem viertägigen Programm. Beim Nova Rock sind die Zahlen noch ernüchternder: 2014 lag der Frauenanteil bei drei Prozent, jener des genremäßig ausdifferenzierteren Frequency Festivals bei sieben. Ein Blick auf die heuer gebuchten Acts zeigt, dass sich an diesen Zahlen auch kaum etwas ändert: Bei 3,8 Prozent liegt man dieses Jahr. Warum ist das so?

Therese Kaiser ist Frauenaktivistin, DJ und Veranstalterin. Sie nennt als Hauptgrund den Unwillen der Festivalmacher: "Sie buchen Acts, die zum Teil schon vor zehn Jahren Headliner waren, stur und unkreativ. Die meisten agieren nach dem Prinzip 'Never change a running system' und haben weniger Interesse an spannenden Line-ups als am Ausverkauf der Tickets."

Kaiser selbst kämpft für mehr Diversität im Bereich der elektronischen Musik. Zwischen acht und zwölf Prozent seien dort weiblich, Tendenz leicht steigend. Besser gelinge das oft nur bei öffentlich subventionierten Festivals wie Electric Spring oder bei der Wiener-Festwochen-Schiene Hyperreality. Bei kleinen, kommerziellen Festivals sei das Verhältnis ausgewogener als bei den großen, aber auch dort gebe es noch viel zu tun, sagt Kaiser.

Auch in Deutschland ist die Situation keine andere. Seit langem kritisiert werden die Verhältnisse von Musikerin, Schriftstellerin und Popjournalistin Kerstin Grether. "Keiner der Festivalmacher traut sich, zuzugeben, dass Männer den Anblick von Männern auf Bühnen für die Stabilisierung ihres Selbstbewusstseins brauchen", sagt sie.

Daneben gebe es natürlich viele strukturelle Gründe für die Ungleichheit. Selbst bei Indielabels würden in Deutschland zu 90 Prozent männliche Acts veröffentlicht. Grether fordert daher 50 Prozent Quote. "Auf der Ebene der Argumentation wurde schon alles versucht."

"Man verkauft nicht so viel"

Wie sehen es die Festival-Platzhirsche selbst? Weder Ewald Tatar noch Harry Jenner, die Veranstalter von Nova Rock und Frequency, waren für den STANDARD zu erreichen. Man sei im Festival-Aufbaustress. Tatar verweist auf Aussagen im Eventmagazin ticket. Der Vorwurf des ewig gleichen Bookings ist ihm bekannt: "Wir schreien nicht in die Welt, dass wir immer dieselben Acts wollen, aber große Festivals brauchen starke Bands in Headliner-Positionen. Man verkauft nicht so viele Tickets, wenn man keine ordentlichen Headliner hat."

Zum Thema Frauenquote: "Man versucht, es so ausgewogen wie möglich zu halten, aber wie bei den Headlinern geht es auch hier darum, dass wir keine Frauen erfinden können. Ich bin aber keiner, der sagt, dass mich das Thema nicht interessiert – ganz im Gegenteil. Ich versuche so viele Frauen wie möglich zu buchen."

Einige wollen das nicht glauben. In Großbritannien hat sich kürzlich die Initiative Keychange gebildet. 45 Festivals, allesamt kleiner als das Nova Rock, bekennen sich dazu, bis 2022 bei Künstlern und Festivalstrukturen eine Frauenquote von 50 Prozent zu erreichen. Als einziges Festival aus Österreich findet sich das Waves Vienna auf der Liste. "Die Initiative verhilft diesem wichtigen Thema zu mehr Öffentlichkeit", sagt Festivaldirektor Thomas Heher. Beim Waves habe man bereits jetzt einen Frauenanteil zwischen 35 und 45 Prozent.

Keine Angst vor Einbußen

Vor finanziellen Einbrüchen fürchtet sich Heher keine Sekunde. Es stimme auch nicht, dass sich ein mutigeres Line-up nur kleine Festivals leisten können. "Das ist genauso absurd, wie es vor einigen Jahren geheißen hat, dass Ö3-Hörer verlieren würde, wenn man mehr österreichische Musik spielt. Wanda, Bilderbuch und Co haben diese Leute bereits Lügen gestraft." Aber muss es denn gleich eine Quote sein? "Es ist sicher nicht der einzige Weg und nicht das ultimative Mittel, aber jedenfalls ein gutes Instrument, um dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu bringen."

Einen männlichen Headliner hat das Nova Rock zwei Tage vor Festival-Beginn unfreiwillig verloren: Tote-Hosen-Sänger Campino musste nach einem Hörsturz absagen. Mit Marilyn Manson, Billy Idol und Iron Maiden bleibt aber genug Testosteron übrig.

Und wer genau schaut, findet im Kleingeschriebenen die Band The Last Internationale. Dort rockt mit Delila Paz eine Frontfrau, bei der vielleicht sogar Elvis ein Kreischen entfahren würde. (Stefan Weiss, 14.6.2018)