Es weht ein kalter Wind, als Karina Schröer vor dem Reitstall aus ihrem Auto steigt. Mindestens drei Mal pro Woche fährt sie nach der Arbeit als Vertriebsassistentin nach Gerasdorf, um sich im Reitstall um ihr Pferd Belladonna zu kümmern. Das geht sich aus, weil Karina Teilzeit arbeitet. Im Stall wird drei Stunden lang gestriegelt, geritten, gefüttert – um 19 Uhr geht es für Karina nach Hause.

Um diese Tageszeit sitzt Tobias Homberger noch an seinem Schreibtisch. Der Start-up-Gründer arbeitet meist von acht bis 20 Uhr, in der Mittagspause spielt er mit den Kollegen eine Runde Tischfußball, ein liebgewonnenes Ritual, wie er sagt. Oft findet er erst abends, wenn es im Büro etwas ruhiger wird, die Zeit, um an Konzepten zu arbeiten.

Wie Tobias hat auch Claudia Brandstetter einst 40 Stunden pro Woche hinter einem Computerbildschirm gesessen. Heute ist das anders. Die ehemalige Grafikdesignerin ist gerade von einer zehntägigen Reise aus der Türkei zurückgekommen. Dort hat sie auf einem Biobauernhof mitgearbeitet und Tanzworkshops gegeben. Eine klassische Arbeitswoche kennt sie auch daheim in Wien nicht. Claudia ist selbstständige Tanzlehrerin, performt in einem Theater und verkauft an einigen Tagen in der Woche Gemüse auf dem Markt.

Karina, Tobias und Claudia sind Menschen, deren Art zu arbeiten nicht unterschiedlicher sein könnte. Doch Arbeit – das bedeutet für alle drei etwas anderes. Der offensichtlichste Unterschied liegt in der Anzahl der Arbeitsstunden, die jeder pro Woche leistet. Doch machen mehr als 40, 20 oder weniger Stunden pro Woche zufrieden? Wer ist am Ende glücklicher?

In Österreich wird die Möglichkeit eines Zwölfstundentags diskutiert. Kritiker sehen die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer in Gefahr. Sie ist jener Punkt, der Mitarbeiter zufrieden macht. Das merkt auch, wer Karina, Tobi und Claudia zuhört, sie haben sich ganz bewusst für ihre wöchentliche Arbeitszeit entschieden. Eine Gegenüberstellung in sechs Kapiteln.

Was Arbeit bedeutet

So verschieden die Arbeitstage auch sind, zumindest eines ist den dreien gleich: Sie arbeiten gern.

Mit einem langen bunten Rock tanzt Claudia über den knarrenden Holzboden. Für die Workshops, die sie gibt, hat sie in ihrer Wohnung einen eigenen Raum eingerichtet. Das Tanzen, so erzählt sie, hat auch ihre Einstellung zur Arbeit verändert. "Wahrscheinlich, weil man dadurch anfängt, mehr auf sich zu hören." Ein Nine-to-five-Job, "einfach nur Stunden absitzen", hat sie nie zufriedengestellt. "Und jetzt kann ich mich sogar durch meinen Beruf fit halten."

Mit ihrer Arbeit will Claudia aber auch Gutes bewirken. Dass Menschen etwas zur Gemeinschaft beitragen wollen, das zeigen auch diverse Untersuchungen. Nicht arbeiten zu müssen wäre für die Meisten sogar ein Albtraum: Auf der Prioritätenliste liegt die Arbeit auf Platz drei nach Familie und Partnerschaft, sogar vor der Freizeit.

"Weniger arbeiten heißt auch, dass das 'richtige' Leben nicht zu kurz kommt", sagt Karina Schröer.
DER STANDARD

"Ich bin nicht arbeitsfaul. Ich mag meinen Job sogar sehr gerne", sagt auch Karina. Sie ist Vertriebsassistentin bei Philips. Das Verhältnis zu ihren Kollegen ist gut, ihre Arbeitszeit kann sie sich flexibel einteilen. Dennoch kennt sie auch die Nachteile einer Teilzeit-Anstellung: "Man wird gerne übersehen, einfach weil man im Büro nicht so präsent ist. Ich habe sicherlich weniger Aufstiegschancen als Kollegen, die Vollzeit arbeiten." Ein Argument, das für viele Arbeitnehmer schwerer wiegen dürfte: je besser die Aufstiegschancen, desto größer das Glück – zu diesem Ergebnis kam erst im Vorjahr eine Studie der London School of Economics.

Die Nachmittage verbringt Karina bei ihrem Pferd Belladonna. Vormittags arbeitet sie bei Philips im Vertrieb.
Foto: Harald Weinkum

Aufsteigen, etwas erreichen – dieses Ziel hat auch Tobias. Er hat vor drei Jahren das Start-up MyClubs gegründet und arbeitet 60 bis 70 Stunden pro Woche. "Wir müssen unser Produkt erst am Markt etablieren, da kann man sich eine 38-Wochen-Stunde nicht gönnen", sagt der 40-Jährige. In die Arbeit geht er dennoch gern, weil sie ihm "wahnsinnig viel Freude macht. Die Arbeit ist ein ganz wichtiger Teil meines Lebens. Letztlich ist es auch sehr sinnstiftend, wenn man etwas macht, das einem viel bedeutet." Zwischen Arbeit und Freizeit differenziert Tobias daher auch gar nicht.

Und obwohl ihre Arbeitsrealität nicht unterschiedlicher sein könnte, sagt genau diesen Satz auch Claudia über sich. "Beides greift bei mir ineinander, was ich früher in der Freizeit gemacht habe, mache ich jetzt auch beruflich und kann es genießen."

Wie viel Freizeit bleibt

In langsamen Zügen fährt Karina mit der Bürste durch die Mähne von Belladonna und streichelt ihr behutsam über den Rücken. "Ein Pferd zu haben ist sehr zeitintensiv", sagt die 32-Jährige. Die Zeit im Stall ist aber auch ihr tägliches Entspannungsprogramm.

Früher hat Karina Vollzeit gearbeitet und nebenher berufsbegleitend studiert. Zu ihrem Pferd konnte sie damals nicht so oft fahren. "Es gibt so viele Bereiche im Leben – Familie, Freunde, Hobbys, Arbeit – und alle wollen ein Stückchen haben, irgendwann kann man niemandem mehr gerecht werden", sagt sie. Auch die Forscher der London School of Economics haben in ihrer Studie untersucht, was arbeitenden Menschen wirklich wichtig ist. Das Ergebnis: genügend Zeit für die Familie und den Partner.

Karina hat für sich Konsequenzen gezogen und ihre wöchentlichen Arbeitsstunden reduziert. "Weniger arbeiten heißt auch, dass das 'richtige' Leben nicht zu kurz kommt."

Das "richtige" Leben, darüber hat sich auch Claudia viele Gedanken gemacht. Sie hat gelernt, auf sich selbst zu hören, und herausgefunden, was ihr wichtig ist. Dazu gehören Reisen, andere Kulturen entdecken, Zeit für sich selbst.

Zeit für sich hat Tobias meist nur morgens, wenn er vor der Arbeit noch Sport macht, und samstags. Diesen Tag hält er sich für gewöhnlich frei, während der Woche ist er im Büro, am Sonntag arbeitet er von zu Hause aus. Im Vergleich zu früher hat sich seine Work-Life-Balance immerhin schon verbessert. "Im ersten Jahr von MyClubs habe ich nur drei Tage Urlaub gemacht, im letzten Jahr waren es sogar fünfeinhalb Wochen."

Um Freunde zu treffen, hält er sich bewusst Abende im Kalender frei. "Was sich auf jeden Fall verändert hat, sind die freien Wochenenden. Ich kann nicht mehr einfach nach Berlin fliegen zu meiner Familie oder meine Freunde besuchen. Das sind Dinge, die ich wirklich vorher planen muss."

Wenn Druck aus dem Umfeld kommt

Wenn Tobias über seine Arbeit spricht, lächelt er, wirkt unaufgeregt und gelassen. Den Druck, viel oder wenig zu arbeiten, spürt er aus seinem Umfeld nicht. Wobei: Seine Freunde seien ebenfalls viel beschäftigt, hätten einen vollen Terminkalender, erzählt er. Und auch seine Eltern seien schon selbstständig gewesen. "Sie haben immer viel gearbeitet. Ich habe nie den Eindruck gehabt, dass das gezwungen oder leidvoll gewesen wäre."

Viel arbeiten – das war auch in Claudias Familie für lange Zeit der Normalzustand. Als sie beschlossen hatte, weniger und anders zu arbeiten, haben das zunächst nicht alle verstanden. "Meine Familie hat sich schon Sorgen gemacht." Durch den beruflichen Wechsel habe sich auch ihr Umfeld geändert. Heute treffe sie immer wieder Menschen, die ähnlich arbeiten.

"Meine Eltern und meine Oma finden es nicht so gut, dass ich nur Teilzeit arbeite", sagt auch Karina. "Sie kommen aus einer anderen Generation. Früher stellte sich die Frage nicht, ob man mehr oder weniger arbeiten will. Das stand nicht zur Diskussion."

Welche Rolle Geld spielt

Auf einer Glastüre in Claudias Wohnung sind mit Klebeband schwarze Zettel befestigt. Es sind Flyer von dem Theater, in dem sie tanzt. Auf der Holzkommode stehen Fläschchen mit Ölen, auf dem Boden ein Korb mit Kräutern. Seit sie nicht mehr fix angestellt ist, muss sie notwendigerweise mit weniger auskommen, sagt Claudia. Das Gefühl, auf etwas verzichten zu müssen, hat sie dennoch nicht. Höchstens auf die Sicherheit, die man in einem klassischen Angestelltenberuf hat – damit müsse man umgehen lernen.

Claudia Brandstetter hat ihr Hobby zum Beruf gemacht – sie hat keine fixen Arbeitszeiten mehr.
DER STANDARD/Lisa Breit, Bernadette Redl

"Geld ist für mich keine Motivation zu arbeiten, eher die Konsequenz." Konsum, das habe sie für sich herausgefunden, mache nicht glücklich. Das zeigen auch diverse Untersuchungen: Interessanterweise geht es beim Thema Arbeitszufriedenheit so gut wie nie ums Geld. Gehälter und Boni sind oft nur die Entschädigung dafür, dass die Arbeit keinen Spaß macht.

Claudia hat früher fest angestellt als Grafikdesignerin gearbeitet – aktuell hat sie mehrere Jobs: Sie verkauft Gemüse und Kräuter auf dem Biomarkt, gibt Tanzstunden und tritt im Theater auf.
Foto: Heidi Breuer

"Ich würde alles genauso machen wie jetzt auch", sagt Claudia auf die Frage, ob sie auch arbeiten würde, wenn sie finanziell ausgesorgt hätte. Karina ist derselben Meinung. Sie gibt aber zu: Eines Tages könnte Geld in ihrem Leben vielleicht eine größere Rolle spielen, vielleicht wenn sie Kinder hat. "Für jetzt denke ich: Wenn es sich finanziell halbwegs ausgeht, warum sollte ich die Zeit dann nicht genießen?"

Was produktiv und kreativ macht

Ausreiten, ein Pferd versorgen, dafür braucht Karina ihre volle Konzentration. Weil sie Teilzeit arbeite, falle ihr das leichter, ist sie überzeugt. Und auch bei der Arbeit selbst fühle sich sich dadurch fitter: "Ich habe diese Müdigkeitsphasen überhaupt nicht, die man in einem normalen Achtstundentag hat." In ihrem Kopf sei Platz für Neues und Kreatives, das mache automatisch produktiver.

Karina spricht damit einen Punkt an, mit dem sich Unternehmen weltweit beschäftigten: mehr Produktivität durch weniger Arbeit. Etwa in Schweden, Deutschland, aber auch in Österreich gibt es Firmen, die solche Versuche gestartet haben. Das oberösterreichische Online-Marketing-Unternehmen E-Magnetix testet ab Herbst die 30-Stunden-Woche bei gleichem Gehalt. Das soll sich positiv auf die Gesundheit der Mitarbeiter, die Motivation und die Produktivität auswirken, so die Geschäftsführung.

Tobias Homberger arbeitet 60 bis 70 Stunden pro Woche.
DER STANDARD

Dass es auf Produktivität ankommt und "nicht auf das Absitzen von Zeit", sagt auch Tobias. Selbst weniger zu arbeiten sei aktuell für ihn aber keine Option. "Als Gründer hat man, selbst wenn man sehr produktiv ist, lange Arbeitstage." An Motivation fehle es ihm trotzdem nicht. "Seit der Gründung meines Start-ups hat es keinen Tag gegeben, an dem ich nicht gerne in die Arbeit gegangen bin." Früher sei das anders gewesen, da habe er für eine Unternehmensberatung gearbeitet. Die Projekte damals, habe er nicht so gerne "abgearbeitet".

Tobias Homberger hat vor rund drei Jahren das Start-up MyClubs gegründet.
Foto: Christian Lendl

Dass sie nicht einfach nur "einen Job erledigen" muss, ist auch für Claudia ein Motivationsfaktor. "Weil die Arbeit Freude macht, bin ich automatisch produktiv." Eigenmotiviert zu arbeiten sei allerdings ein Prozess, den man lernen muss.

Woher das Glück kommt

"Mein Leben ist sehr reich", sagt Claudia. Auf die Frage, ob sie ein erfülltes Leben hätten, nicken auch Karina und Tobias zufrieden. Alle drei haben für sich die ideale Arbeitszeit gefunden.

Manche Experten empfehlen, anstatt über den Zwölfstundentag zu diskutieren, die Arbeitszeit auf sechs Stunden täglich zu reduzieren. Der Autor Rutger Bregman schlägt eine 15-Stunden-Arbeitswoche vor und will gleichzeitig das Pensionsalter auf 80 Jahre anheben. Er behauptet: Wenig, aber doch zu arbeiten fördere die Zufriedenheit der Menschen bis in hohe Alter.

Weniger zu arbeiten kann eine Option sein, wie Karinas und Claudias Beispiel zeigt. Ein zweites Rezept fürs Glück ist die Erfüllung durch die Arbeit. "Ich glaube auf jeden Fall, dass Sinn für längere Arbeitszeiten entschädigt", sagt Tobias. In einer Studie der deutschen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat man herausgefunden, dass Menschen, die 30 Stunden pro Woche arbeiten, nicht zwangsläufig glücklicher sind. Was zählt ist, lässt sich mit der Frage beantworten: Sieht der Mensch einen Sinn in seiner Arbeit? Und hier sind sich Tobias, Karina und Claudia auch einig: Für ein erfülltes Leben zähle am Ende nicht, ob man 60, 30 oder 15 Stunden gearbeitet hat, sondern ob man die Arbeit gern gemacht hat. (Lisa Breit, Bernadette Redl, 26.6.2018)