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Nintendos De-facto-Maskottchen und auch auf der Switch ein Star: Super Mario.

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Ende 2016 sah es nicht rosig aus für Nintendo. Der 130 Jahre alte Konzern hatte hart mit dem Misserfolg der Wii U zu kämpfen. Konzipiert als Nachfolger der höchst erfolgreichen Wii, fehlte ihr das Überzeugungspotenzial. Das Gerät, dessen Controller eine Kombination aus Tablet und Steuerelementen war, hatte kaum für Begeisterung sorgen können – auch Titel der "Mario"- und "Zelda"-Reihe änderten daran nichts.

Vom Sorgenkind zum Hit

Und auch für die Switch, die im Februar 2017 auf den Markt kam, waren die Erwartungen niedrig. Wenn schon die Wii U für die Kunden zu unverständlich war, wie würde sich dann erst eine mobile Konsole mit abnehmbaren Bewegungscontrollern schlagen?

Die Antwort: ziemlich gut. Im ersten Jahr verkaufte Nintendo 15 Millionen Stück und 63 Millionen Spiele. Alleine "Zelda: Breath of the Wild" machte davon acht Millionen Kopien aus. Der Umsatz verdoppelte sich, die Nintendo-Aktie legte um 80 Prozent zu. Mittlerweile ist ein "Mario"-Kinofilm in Arbeit, und 2020, rechtzeitig zu den Olympischen Spielen in Japan, wird in Osaka ein Nintendo-Vergnügungspark eröffnen. Bloomberg ist der Frage nachgegangen, wie Nintendo einmal mehr ein Comeback gelungen ist.

Die Situation in den Jahren nach dem Start der Wii U war für die Firma nicht neu. Auch so manche frühere Konsole war unter den Erwartungen geblieben – etwa der Gamecube, der sich deutlich schlechter verkaufte als sein Vorgänger, der N64. Doch mit der Bewegungssteuerung der Wii, die in puncto Hardware der Konkurrenz von Sony und Microsoft eigentlich deutlich unterlegen war, ließen sich die Massen wieder begeistern.

Karriere mit "Lehre"

Die Buntheit der Geräte und Spiele von "Donkey Kong" bis "Pokémon" spiegelt sich in Nintendos Hauptquartier nicht wider. Das Unternehmen residiert in einem weißen Kasten in der Metropole Kyoto. Wer Statuen von Mario, Link, Pikachu und Co in der Lobby erwartet, wird enttäuscht. Ein paar Kunstwerke hängen an den hellen Wänden, die dem Interieur das Flair eines Klosters verleihen.

Besonders wichtig sei das zweite Jahr und die Zeit danach, betont Tatsumi Kimishima. Über den bisherigen Verlauf sei man aber "natürlich erfreut". Er ist der mittlerweile fünfte Präsident des Konzerns und plant, am 28. Juni sein Amt zu übergeben. Seinen Nachfolger Shuntaro Furukawa hat er persönlich "angelernt". Diese Praxis wird auch abseits des Managements gepflegt. Neue, junge Mitarbeiter arbeiten gemeinsam mit erfahrenen Entwicklern und Künstlern und lernen von ihnen. Man möchte, dass sie den Rest ihres Berufslebens in der Firma bleiben. Eine Tradition der Berufslehre, für die schon das Künstlerhandwerk in Kyoto bekannt ist.

Der Urtrieb des Spielens

Einer, der in dieser Firmenkultur zu einer der unbestrittenen Größen des Spielebusiness geworden ist, ist Shigeru Miyamoto. Der 65-Jährige hat 1977 mit "Donkey Kong" nicht nur Nintendos bekannten Affen erfunden, sondern mit "Mario" (damals noch "Jumpman") das große Aushängeschild des Konzerns. Seine Kreativität schöpft er aus einer Mischung aus Neugier und kindlichem Staunen und erzählt dazu immer wieder die Geschichte, wie er einst eine Höhle in einem Wald entdeckt und erforscht hatte. Noch mehr als "Mario" gibt wohl "Zelda" aus 1986 diesen Zugang wieder.

Auch mit anderen Titeln will man spielerische "Urinstinkte" wecken. Der Farb-Shooter "Splatoon" verzichtet auf Gewaltdarstellung und weckt trotzdem das Gefühl, das Kinder haben, wenn sie im Schlamm herumtollen.

Langsame Öffnung

Man ist sich auch bewusst, dass man mit den eigenen Produkten nicht nur den japanischen Markt bedienen kann und es mehr als einen Shigeru Miyamoto braucht, um sich spielerisch weiter zu entwickeln und am Puls der Zeit zu bleiben. Daher hat man sich vor allem in den vergangenen Jahren zunehmend geöffnet. Man holte zunehmend Frauen an Bord und engagierte auch mehr Mitarbeiter aus dem Ausland. Gleichzeitig arbeiten professionelle Übersetzer und Japan-Fans Hand in Hand bei der Übersetzung von Spielen für andere Märkte.

Eine Öffnung vollzog man auch in anderer Hinsicht. Lange war man darauf fokussiert, Games ausschließlich für eigene Plattformen anzubieten. Ein Prinzip, das man im Kern immer noch beibehält. Doch die langsame Ablösung der DS-Handheldkonsolen durch Smartphones verlangte nach neuen Lösungen. Und so ermöglichte man zuerst die Umsetzung von "Pokémon Go" für Android und iOS und brachte schließlich auch "Super Mario Run" an den Start. Weitere Spiele dürften folgen.

Auch seine eigene Geschichte weiß man zu vermarkten. Das Comeback des NES und SNES als "Classic Mini"-Version verkaufte sich wie warme Semmeln.

Auf zu neuen Ufern

Der nächste Präsident, Furukawa, hat sich zum Ziel gesetzt, Nintendo den Rollercoaster zwischen Enthusiasmus und Verzweiflung künftig zu ersparen und in ruhigere Gewässer zu führen. Ein Teil davon ist der Start des Online-Abo-Dienstes für die Switch im September, der mit Multiplayertiteln wie "Mario Tennis Ace" und Retrogames gute, laufende Einnahmen bringen soll. Mit "Labo" probiert man sich an der physischen Erweiterung des Gamings auf der Switch.

Dazu ist man auch eine Partnerschaft mit dem Mobile-Games-Spezialisten Cygames eingegangen, was darauf hindeutet, dass in den kommenden Monaten wohl weitere Smartphone-Games angekündigt werden.

Zwischen Temperament und Verunsicherung

Bis Nintendo wirklich von der Achterbahn steigt, wird es aber wohl noch dauern. Der Testlauf für das kommende "Mario Tennis" wurde zu einem technischen Fiasko. Und das auf der E3 vorgestellte Games-Lineup für die nächsten Monate konnte die Investoren nicht begeistern. Der Nintendo-Kurs sackte auf einen neunmonatigen Tiefststand ab.

So wie Nintendo von seinem "künstlerischen Temperament" profitiert, so leidet man auch unter der "rastlosen Unsicherheit" eines Künstlers, so Bloomberg. Am Ende liegt es wieder an den Schöpfern unter dem weißen Dach der Firma, etwas zu schaffen, das den Spieltrieb der Welt von Neuem weckt. (red, 22.6.2018)