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"You are welcome!" – Donald Trump hilft den Europäern ungebeten und ungewollt.

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Man muss Donald Trump dankbar sein. Auch wenn die Begründung noch so fadenscheinig ist und der nationale Egoismus noch so unverfroren: Seine handgreiflichen Hinweise darauf, dass das exportorientierte Wirtschaftsmodell überdacht werden müsse, sind nützlich und waren überfällig.

Es ist hinlänglich oft dargelegt worden, dass Abschottungsmaßnahmen nach hinten losgehen, dass Schutzzölle durch verteuerte Importe von Vorprodukten der US-Industrie mehr schaden als nützen, mehr Arbeitsplätze gefährden als schaffen. Die Schutzzölle werden die Attraktivität der Produkte der US-Autoindustrie nicht steigern. Aber den politischen Verwaltern und akademischen Aposteln des deutschen Wirtschaftsmodells werden die Risiken einer Wirtschaft vor Augen geführt, die sich stark auf den Export verlässt, ohne für entsprechende Importe zu sorgen. Via Export die Kaufkraft anderer Länder abschöpfen, Arbeitslosigkeit und anlagesuchendes Kapital exportieren und dies anderen Ländern dann als Schuldenmacherei ankreiden – das kann auf die Dauer nicht gutgehen. Vor allem nicht im europäischen Währungsraum.

Es gibt Hoffnung

Immerhin, es gibt Zeichen der Hoffnung. Nur wenige bestreiten noch, dass die deutschen Exportüberschüsse auch dem unterbewerteten Euro zu verdanken sind, dass Deutschland seine preisliche Wettbewerbsfähigkeit also auch den Problemen der Eurokrisenländer verdankt. Manche Medien berichten von deutschen Exportrekorden nicht mehr im Stil von Sportreportern im Goldmedaillenrausch. Das politische Denken ist auf dem Rückzug, das die Saldenmechanik der Weltökonomie mit der Haushaltsführung einer schwäbischen Hausfrau verwechselt. Jene Stimmen werden eher gehört, die als Gegengewicht zur Exportlastigkeit die Steigerung des Imports und der Binnennachfrage verlangen – Kaufkraftstärkung durch nachholende Lohnabschlüsse. Es kann also sein, dass Politik und Ökonomie langsam auf dem Wege der Besserung sind. Aber es ist mehr als fraglich, ob ausreichend Zeit bleibt für behäbige Lernprozesse.

Problemkern Euro

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Problemkern des Euro bleiben die unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit und Ungleichgewichte der Handels- und Zahlungsbilanzen. All die Ratschläge – gut gemeint, zynisch oder schlicht chauvinistisch – zur Straffung der Verwaltung, Effizienzsteigerung der Ökonomie und zum abbauenden Umbau des Sozialstaats können das Nord-Süd-Gefälle mildern, aber nicht aufheben. Und es stellt sich noch dazu sehr die Frage, ob das wünschenswert wäre. Mitteleuropäische Arbeits- und Industriedisziplin auf der Peloponnes? Nicht wirklich.

Die aktuelle Entwicklung in Italien bedroht den Zusammenhalt der Eurozone und ruft den Spruch der deutschen Kanzlerin "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa" in Erinnerung. Freilich ist es keineswegs so, dass die Eurokrise nichts als eine Bedrohung der EU darstellt.

Um das einzusehen, muss man nicht die etwas abgegriffene Weisheit in Anspruch nehmen, dass in jeder Krise auch eine Chance steckt. Es genügt, schärfer ins Auge zu fassen, dass das Management der Eurokrise über die Jahre zwar Interessengegensätze zwischen Süd und Nord offensichtlich gemacht und zu tiefen Konflikten geführt hat; dass aber gleichzeitig auch gemeinsame Interessen deutlicher wurden, die wechselseitige Aufmerksamkeit und auch die Anteilnahme für einander zunahmen.

In der Bevölkerung Deutschlands gibt es durchaus eine begrenzte Bereitschaft, Kosten des Krisenmanagements zu übernehmen. Diese Ansätze von Solidarität werden von der Politik unterfordert und durch die öffentliche Rhetorik der verschlossenen Geldbörse bei gleichzeitig verschämt versteckten Konzessionen eher noch zerstört. Integrative Wirkungen entfalten die Konflikte in der Eurokrise freilich nur unter der Voraussetzung, dass der allgemeinste Rahmen, in dem sie sich abspielen, von ihnen nicht angegriffen wird. Mit anderen Worten: Die Exitoption darf nicht auf den Tisch kommen.

Natürlich fällt einem jetzt sofort der Brexit ein. Aber der Austritt Großbritanniens trägt eher zur Integration als zu Desintegration der EU bei, weil es sich in vielerlei Hinsicht um einen Einzelfall handelt: eine Mitgliedschaft, deren Sinn immer schon wesentlich darin bestand, die Integration möglichst zu bremsen. Ein Austrittsvotum, das auf kapitalen Lügen, Missverständnissen, Desinformation und Desinteresse beruht. Noch dazu: Großbritannien war und ist an Euro- und Schengenkrise weitestgehend unbeteiligt.

Im Fall Italien ist alles anders. Italien ist Gründungsmitglied der Eruopäischen Union. Die Allianz der Populismen von Lega Nord und Cinque Stelle findet im Land reale Probleme, Interessenlagen und Stimmungen vor, an die ihre Anti-Europa-Rhetorik anknüpfen kann, wie verdreht ihre Argumente gegen Brüssel und Berlin auch sein mögen. Die Ökonomie stagniert. Italien steht im Zentrum von Euro- und Schengenkrise. In Sachen Ökonomie und Währung regnet es Vorschriften, mit den Flüchtlingsproblemen wird man allein gelassen. Diese Stimmung hat die EU erzeugt und damit den Erfolg der Links- und Rechtspopulisten subventioniert. Brüssel und Berlin verkennen oder ignorieren die intensive wechselseitige Abhängigkeit zwischen Süd und Nord.

Das Flüchtlingsproblem, seine Reduzierung und Lastenteilung lassen sich nur in Kooperation zwischen Süden und Norden bewältigen. Die deutsche Politik hatte schon im Jahr 2011, als sich das Flüchtlingsproblem erst abgezeichnet hat, rasch das billige Argument zur Hand, man könne sich in ein souveränes Land nicht einmischen.

Der Groll, alleingelassen zu werden, hat in Italien seitdem beständig zugenommen. Genauso bei der gemeinsamen Währung: Der Süden braucht den Norden, um die Herausforderungen der gemeinsamen Währung zu meistern. Aber der Norden braucht den Süden, um die gemeinsame Währung zu erhalten.

Ursachenforschung

Genau hier liegt die Schwelle, jenseits welcher der Währungskonflikt desintegrativ wird: Auseinandersetzungen um die Ursachen, das Ausmaß und die Modalitäten der Behebung von Ungleichgewichten innerhalb der Eurozone können die Integration durchaus fördern. Aber die Ursachen hätten bei allen Beteiligten gesucht werden müssen. Sie sind systemisch und nicht als einseitiges Verschulden zu verstehen. Das Ausmaß der Probleme – ökonomische Ungleichgewichte, das Gefühl verweigerter Solidarität und Bevormundung samt wahlwirksamem Groll – ist über zu lange Zeit grob fahrlässig unterschätzt worden. Jetzt wird man eine problematische Regierung unterstützen müssen, weil man frühere Regierungen mit ihren Problemen alleingelassen hat. Diese Versäumnisse haben bis an die Schwelle geführt, jenseits der Konflikte die Europäische Integration infrage stellen.

Der Schaden der US-Zollpolitik für die europäische Wirtschaft wird sich in Grenzen halten. Als Denkanstoß aber könnte er reichen. Was würde der Austritt Italiens aus der gemeinsamen Währung oder gar aus der EU für die exportorientierten EU-Mitglieder bedeuten? Erstens wäre zu befürchten, dass Spekulation dafür sorgen würde, dass der Austritt Italiens weitere Länder aus dem Euro raus und in eigene Währungen drängt.

Zweitens würden die Währungen dieser Länder sofort stark abwerten, was deren Importe aus der restlichen Eurozone stark verteuert. Drittens wäre eine drastische Aufwertung der verbliebenen Länder die Folge, was deren Exporte nicht nur innerhalb Europas, sondern in die ganze Welt verteuert. Alles zusammen wäre für Wirtschaft und Arbeitsmarkt der Resteurogruppe ein Desaster.

Ungebeten und ungewollt

Donald Trump hat schon bisher als Unterstützer der europäischen Integration gewirkt. Ungebeten und ungewollt. Das "America first"-Programm hat den meisten EU-Mitgliedern ihre gemeinsamen und nur gemeinschaftlich durchsetzbaren Interessen bewusstgemacht. Die Zustimmungsraten zur EU sind hoch. Jetzt tut Trump mit seiner neomerkantilistischen Außenhandelspolitik der Europäischen Union einen weiteren Gefallen: Sie bietet den Exportüberschussländern in der Eurozone einen hervorragenden Anlass, sich über die integrationspolitischen Folgen des eigenen Wirtschaftsmodells selbst aufzuklären und daraus zu lernen. (Georg Vobruba, 24.6.2018)