Auf Steam tummeln sich Neonazis, die ihre Gesinnung offen zeigen können.

Foto: Screenshot/GameStandard

WASD Nr. 13.

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Ich benutze den Online-Distributionsdienst Steam eigentlich nur, um Geld für zu viele Computerspiele rauszuhauen. Ab und zu schaue ich in die Profile von Freunden oder vergleiche die Effizienz meiner Mikroelektronik in "SHENZHEN I/O" mit ihnen. Noch seltener suche ich im Forum eines Games nach Patch Notes oder schlage nach, wie ich "Deadly Premonition" vielleicht doch noch in diesem Leben zum Laufen bekomme. Und das war’s eigentlich. Langweiliger Kram. Die Steam-Community interessiert mich nicht. Oder aktueller: Sie interessierte mich nicht.

Nennt mich naiv, aber mir war nicht klar, was hinter dem nüchternen Shop-Interface abgeht. Ich kenne die Trolle, die den Machern von "That Dragon, Cancer" schreiben, was für schlechte Eltern sie sind. Ich kenne die Kulturkämpfer, die bei jedem Spiel mit gleichgeschlechtlichem Sex laut rumheulen. Doch als ich irgendwo zwischen Umvolkungstheorien in der eigenen Familie, identitärem Hype und Reconquista Germanica erstmals die Suchfunktion der Steam-Community aktiviere, ist es vorbei mit der wohligen Ignoranz. Nicht anhalten, das ist Hakenkreuzland!

Hi hi, Hitler!

Darf ich vorstellen, User "ϟϟJustjaj". Kaiserliche Reichskriegsflagge im Profilbild. Sig-Runen im Namen. Und ein typisches Beispiel für den Umgang mit nationalsozialistischer Symbolik und Geschichte auf Steam. Zusammen mit User "ϟϟMorgan Freemanϟϟ" ist er verantwortlich für einen satirischen Guide, der "Mein Kampf" in die Welt der Meme-Schleuder "Doki Doki Literature Club" einführt. Statt Präsidentin im Poesiekreis wird Monika so angeblich zum Führer des 4. Reichs. Die kindliche Natsuki landet, untermalt mit historischem Bildmaterial, in einem Konzentrationslager.

Abstoßend, aber eigentlich noch harmlos. Fragwürdiger als die 8chan-Attitüde adoleszenter Provokateure ist die Normalität von NS-Referenzen innerhalb der gesamten Community. Viele Spielende haben sich etwa das mittelmäßige Strategiespiel "Making History II: The War of the World" nur gekauft, weil es dort Adolf als edgy Emoji zu holen gibt. Für stolze 12 Euro entdecke ich den Führer auch separat im Communitymarkt. Andere begnügen sich mit viralen ASCII-Dolchen und -Hakenkreuzen in den Kommentaren der Freunde, "to protect them against niggers and jews". Hass als Pop. LOL.

Hinzu kommen diverse Fake-Gruppen. Für die rechtsoffene AfD zähle ich 400. Dem Holocaust sind schon 600 gewidmet. Hitler führt deutlich mit über 5000 Exemplaren. Mitglieder haben sie meist kaum. Ein großer Teil ist bloßes Einweg-Getrolle. Aber zwischen den lulz und der Satire tummeln sich auch immer wieder semi-offizielle Gruppen. Die Identitäre Bewegung hat auf Steam mehr als 400 vernetzte Mitglieder. Eine authentisch anmutende AfD-Gruppe immerhin rund 150. Und im sumpfigen Feuchtbiotop zwischen Witz und Ernst entdecke ich sie dann: astreine Neonazis auf Steam.

Die Screenshot-Funktion wird für Bilder aus dem zweiten Weltkrieg verwendet.
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#SoSehenNazisAus

Computerspiele sind in der Mitte des Deutschen Reiches angekommen. "Blass", "dick" und "Kellerkind" sind harmlose Begriffe, die wir uns vielleicht bald zurückwünschen. Denn weder #SoSehenGamerAus noch die internationale Imagekampagne #GamersAreGood können verdecken, dass mit der errungenen gesellschaftlichen Normalität eben auch der ganz normale, braune Wahnsinn in die Spielkultur hereinbricht. Zum Beispiel User "FloR3da" aus Hessen: Fan von Frei.Wild, den Böhsen Onkelz und der rechtsextremen Hooligan-Kapelle Kategorie C. Zu viel Liebe zum Detail (und zur Heimat) für ein Spaßprofil.

Es soll nicht der Eindruck entstehen, ich hätte investigativ recherchiert. Nein, die Nazis präsentieren sich auf Steam ganz ungeniert. Hat man einen gefunden, kann man sich in der Freundesliste und den Kommentaren stundenlang durch die SS-Fanparade klicken. User "FRANZEL l’Alsacien" aus dem Elsass ist nur "French on papers". Er teilt Nazi-Marsch-Mods für "Day of Infamy", Bilder von Hitlerjungen und den Endsieg beim letzten eSport-Turnier. User "╬ Patr!ot ╬" aus Freiburg leistet auf seinem Profil treu den Führereid. User "† Lord Alex †" aus Graz mag besonders die Zahlen 14 und 88.

Auch wenn §86a StGB, der Strafbestand der Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen, geradezu von Ehrendolchen massakriert wird, Angst vor ernsten Konsequenzen hat hier offenbar niemand. Warum auch? All das Beschriebene findet vor einem lauten Hintergrundrauschen aus Swastika-Memen statt. Die Edgelords der freien Meinungsäußerung machen, was schon bei #GamerGate prima geklappt hat: sich als anonyme Masse andienen und damit veritable Arschlöcher decken. #NotYourShield ist hier kein Thema mehr. Nazis bekommen politisches Asyl in der Botschaft von Kekistan. Und dort sitzen sie leider nicht nur rum, sondern verteilen "Schulhof-CDs" an die Pepe-Fanboys.

Herzen aus Eisen

Mal abgesehen von der Raucherecke sind Schulhöfe langweilige, kontrollierte Räume. Das gilt auch für Computerspiele. Subversive Angebote werden da von selbsternannten Freidenkern gerne angenommen. Wenn User "O.P.D. Totenkopfsoldat" also neue "Männer" in seinen Clan einlädt, wird mit Interesse und "vom Herzen zur Sonne" geantwortet. Geboten wird "Gruppen- und Zugehörigkeitsgefühl" sowie Gespräche über Lieblingsmusik. Die kommt rein zufällig von der rechtsextremen Band Übermensch. Ok, beim Motto des Clans – "Meine Ehre heißt Treue!" – hätte ich es ahnen können.

Kein Einzelfall. In der Gruppe "Deutscher Orden" mit 1600 Mitgliedern winken Gewinnspiele und Rekrutierung durch Reconquista Germanica. Klingt richtig nett, schließlich geht es um "Vernetzung mit Gleichgesinnten" und "Gespräche über alle Themen des Lebens". In der Gruppe "Deutscherfreundeskreis" mit über 6000 Mitgliedern wirbt User "Der Geselle" derweil für eine politische Diskussionsrunde, ohne "Lügen oder Propaganda". Von der Großen Koalition liest man dort wenig, aber viel über die AfD. Und so ein Zufall, die schon erwähnte AfD-Gruppen wird administriert von… exakt, "Der Geselle".

Ebenso ist er Mitglied bei den Identitären. Obwohl es sich angeblich nicht um Nazis handelt, finde ich hier die meisten Nazis. Auf die Frage im Forum, welche Games den deutschen Geist am besten verkörpern, antwortet User "☩Rassentrenner☩" mit "Hearts of Iron IV". Auch beliebt: "Europa Universalis IV" und "Crusader Kings II". User "Mein Land ist Deutschland!" ergänzt das Motiv: "DIE GANZE WELT EROBERN". Ein guter Grund, die Geschichtsbilder von Games ernster zu nehmen. Gespielter Revisionismus dient hier völkischer Identitätsstiftung und ist unverfängliche Schnittstelle zum Rest der Spielkultur.

Andere User präsentieren etwa stolz ihre Urgroßväter.

Niemandsland

Auch Fußball ist nicht zufällig ein Sammelbecken für Rechtsextreme. Wie der Kulturanthropologe Johan Huizinga feststellt, erschaffen Spiele "Gemeinschaftsverbände" und sind gleichzeitig "nicht so gemeint". Ideale Bedingungen, um die Volksgemeinschaft zu beschwören, ohne sich dabei grob verdächtig zu machen. Aber wo Sportvereine mittlerweile ein Bewusstsein für diese Gefahr haben, sehe ich in der Spielkultur größtenteils noch Desinteresse und Relativierungen: Die wollen doch nur triggern! Im Niemandsland der Meme-Materialschlachten muss die Frontlinie zwischen Spaß und Ernst dringend neu gezogen werden.

Steam scheint das zu verstehen. In den Guidelines wird auch witzig gemeinter Hass untersagt. Forciert wird das nicht. Selbst nach dutzenden meiner Meldungen diskutieren Gruppen noch ungestört zum Spaß die Endlösung. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat keine Gültigkeit auf dem Distributionsdienst, obwohl er ebenso als soziales Netzwerk fungiert. Im März 2018 passt Steam zudem seinen Suchalgorithmus an. Statt Hassgruppen zu löschen, sind sie nun für Außenstehende schwerer zu finden. Eine Strategie, die im Juni 2018 auch für die Spiele der Plattform angekündigt wird. In Zukunft sollen die User mit neuen Tools ihre Filterblasen selbst verwalten. Steam spart sich die Kuration ihrer Inhalte. Nicht nur bei Facebook und Twitter ist der Plattformkapitalismus auf dem rechten Auge blind. Ein zahlender Nazi ist nur ein weiterer Kunde. Die Kacke, sie dampft. (Christian Huberts, WASD Nr. 13, 25.06.2018)