Kasan/Jekaterinburg – Toni Kroos war es zu verdanken, dass die deutschen Fangedanken am Mittwochnachmittag einzig in Kasan waren und nicht beim Parallelspiel in Jekaterinburg. Dank seines auf den letzten Drücker erzielten 2:1-Treffers gegen Schweden war Deutschland nicht auf Schützenhilfe angewiesen, ein Sieg gegen Südkorea mit mindestens zwei Toren Abstand hätte zum Achtelfinaleinzug genügt. Die Aufstiegsszenarien über das hinaus waren höhere Mathematik mit Fair-Play-Einfluss, auch Südkorea hatte mit einem Sieg noch Chancen.

Deutsche Stimmen vor dem Spiel.
DER STANDARD

Mutige Koreaner

Deutschlands Favoritenrolle war unbestreitbar. Die Koreaner pfiffen allerdings auf die Papierform, riskierten phasenweise hohes Pressing, hatten in der Anfangsphase die besseren Chancen. Deutschlands Feldüberlegenheit wurde von teils haarsträubenden Fehlpässen sabotiert. Woo-young Jung holte sich für eine übermotivierte Grätsche an der Outlinie Gelb ab (9.).

Für den ersten Aufschrei sorgte Manuel Neuer, der deutsche Goalie schüttete sich bei einem zentral aufs Tor getretenen Freistoß an, putzte den abgeprallten Ball aber geistesgegenwärtig vor dem herangrätschenden Heung-min Son aus (19.). Die seltenen Angriffe der "Taeguk Warriors" waren gefährlich, Tottenham-Star Son jagte einen Volley aus kurzer Distanz über das Tor (25.). Marco Reus vollendete die erste blutdrucksteigernde Annäherung Deutschlands, sein Schuss wurde geblockt.

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Young-gwon Kim brachte die Koreaner in Führung, kurzfristiger Abseitsverdacht löste sich auf.
Foto: reuters/martinez

Chancen auf beiden Seiten

Südkorea verteidigte geduldig und gut, Deutschland erarbeitete sich nur bessere Halbchancen. Ein Corner landete über Umwege bei Mats Hummels, der zwar auf der Fläche einer Telefonzelle an einem Verteidiger vorbeikam, den Ball dann aber an Tormann Hyeon-woo Jo verlor (40.). Ein weiterer Son-Fehlschuss beendete eine wenig verheißungsvolle erste Halbzeit. Nach Wiederanpfiff zwang Leon Goretzka Jo per Kopfball zu einer Parade. Parallel ging Schweden in Führung, Deutschland musste liefern. Nächste Chance Timo Werner – vorbei (51.).

Die deutsche Chancenqualität war dann wieder überschaubar, primär sind von Freund oder Feind abgefälschte Schüsse zu vermelden. Für Südkorea öffneten sich Räume. Andere Seite: Mario Gomez wuchtete einen Kopfball mitten aufs Tor (68.). Der Weltmeister brauchte dank Schwedens 3:0-Führung nur ein Tor, blieb zwar statisch, wurde aber bedrohlicher. Gleiches galt für Südkorea, Son vergab seine x-te Chance vom Sechzehner. Salzburg-Profi Hee-chan Hwang wurde keine halbe Stunde nach seiner Einwechslung ausgewechselt und musste ansehen, wie seine Teamkollegen einen Konter vergeigten (80.).

Die Entscheidung

Minute 87, wieder stand ein Deutscher vor dem Tor völlig frei. Hummels traf den Ball aber mit der Schulter. Daneben entsetzte Blicke. Nun stieg der Druck, Jo fing einen Schuss von Kroos. In der zweiten Minute der Nachspielzeit traf Südkoreas Young-gwon Kim. Schiedsrichter Mark Geiger sah ein Abseits, revidierte dank Videobeweises die Entscheidung – der Pass war von Kroos gekommen. Son traf noch ins leere Tor, nachdem Neuer in der gegnerischen Hälfte den Ball verloren hatte (96.). Deutschland war gescheitert, schied als dritter Titelverteidiger in Serie in der Gruppenphase einer WM aus.

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Beim 2:0 in der Nachspielzeit fand Heung-min Son ein leeres deutsches Gehäuse vor.
Foto: ap/grits

Schwedens wunderbare Auferstehung

Mexikos Aufgabe im Gruppenfinale gegen Schweden war psychisch fordernd, zwei Siege gefeiert und dennoch vom Ausscheiden bedroht. Und auch physisch, denn die Skandinavier hatten die bittere Niederlage gegen Deutschland offenbar gut verdaut und taten in Jekaterinburg, wie es die Situation erforderte – sie bemühten sich, die Mexikaner einerseits unter Druck zu setzen und andererseits nicht ins Laufen kommen zu lassen.

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Foto: AP Photo/Gregorio Borgia

Schon nach zwei Minuten fand Andreas Granqvist die erste Chance vor, weitere Gelegenheiten folgten in schöner Regelmäßigkeit. Ohne die Klasse von Goalie Guillermo Ochoa hätte es düster ausgesehen für El Tri. "San Ochoa" zauberte vor allem bei einem Schuss von Emil Forsberg (8.), einen von Marcus Berg aus kürzester Distanz entsandten Ball drehte er über die Latte (31.). Nach Ansicht der Schweden hätte es da schon geklingelt haben müssen, aber Referee Nestor Pitana aus Argentinien verweigerte nach Videostudium einen Elfmeter, nachdem Chicharito den Ball im Strafraum mit dem Oberarm mitgenommen hatte (28.). Schwedens Coach Janne Andersson wütete.

Mexiko wie gelähmt

Aufregung war auch nur fünf Minuten nach der Pause angesagt, allerdings für Andersson positive, denn nach Flanke von Granqvist wurde der Ball zu Ludwig Augustinsson abgefälscht, der Ochoa aus kürzester Distanz bezwang (50.). Davon sollte sich Mexiko nicht mehr erholen. Nach einer leichten Attacke von Hector Moreno an Berg entschied Pitana auf Elfmeter, Kapitän Granqvist ließ sich die Chance nicht entgehen (62.). Nach einem Kopfball des eingewechselten Isaac Thelin unterlief Edson Alvarez gar noch ein Eigentor (74.). Erst die Kunde aus Kasan ließ ganz Mexiko jubeln. (Martin Schauhuber, lü, 27.6.2018)

WM in Russland, Gruppe F, 3. Runde, Mittwoch

Südkorea – Deutschland 2:0
Kasan-Arena, 41.830 Zuschauer, SR Geiger (USA)

Torfolge:
1:0 Kim Y. (93.)
2:0 Son (96.)

Südkorea: Jo – Lee Y., Yun, Kim Y., Hong – Lee J., Jung, Jang, Moon (69. Ju) – Koo (56. Hwang, 79. Ko), Son

Deutschland: Neuer – Kimmich, Hummels, Süle, Hector (78. Brandt) – Khedira (58. Gomez), Kroos – Goretzka (63. Gomez), Özil, Reus – Werner

Gelbe Karten: Jung, Lee, Moon, Son bzw. keine

Mexiko – Schweden 0:3 (0:0)
Jekaterinburg-Arena, 33.061 Zuschauer, SR Pitana (ARG)

Torfolge:
0:1 (50.) Augustinsson
0:2 (62.) Granqvist (Foulelfmeter)
0:3 (74.) Alvarez (Eigentor)

Mexiko: Ochoa – Alvarez, Salcedo, Moreno, Gallardo (65. Fabian) – Herrera, Guardado (75. Corona) – Layun (89. Peralta), Vela, Lozano – Hernandez

Schweden: Olsen – Lustig, Lindelöf, Granqvist, Augustinsson – Claesson, Larsson (57. Svensson), Ekdal (80. Hiljemark), Forsberg – Toivonen, Berg (68. Thelin)

Gelbe Karten: Gallardo, Moreno (im Achtelfinale gesperrt), Layun bzw. Larsson (im Achtelfinale gesperrt), Lustig

Stimmen:

Deutschland vs. Südkorea 0:2

Joachim Löw (Teamchef Deutschland): "Es herrscht natürlich eine Riesenenttäuschung. Wir müssen schauen, dass wir das jetzt annehmen. Wir haben es nicht geschafft, ein Tor zu erzielen. Der Mannschaft hat die Leichtigkeit gefehlt, die Sicherheit war einfach nicht vorhanden. Man muss sagen, dass wir zurecht in dieser Gruppe ausgeschieden sind."

Mats Hummels (Verteidiger Deutschland): "Wir haben heute bis zum Schluss daran geglaubt. Wir haben den Ball einfach nicht ins Tor gebracht, es gab genug Gelegenheiten. Das hat uns heute das Genick gebrochen. Jeder Favorit hat große Probleme, die vermeintlich kleineren Teams sind defensiv sehr kompakt. Wie das Tor gefallen ist, ist für unsere derzeitige Situation symptomatisch. Einige Konter haben wir noch echt gut wegverteidigt und dann haben wir die Struktur verloren. Das ist ein ganz, ganz bitterer Abend für uns und alle deutschen Fußballfans."

Oliver Bierhoff (Teammanager Deutschland): "Wir wollten dumme Fehlpässe vermeiden und mit der Zeit Korea müde spielen. Es hat nicht sein sollen. Wir sind nicht in Führung gegangen, um unser Spiel in Ruhe aufzuziehen."

Shin Tae-yong (Teamchef Südkorea): "Ich fühle mich großartig, aber gleichzeitig auch ein bisschen leer, also ambivalent. Gestern habe ich noch gesagt, wir haben nur eine Ein-Prozent-Chance und dass die Spieler bis zum Ende hart kämpfen müssen. Ich habe darüber nachgedacht, welche Fehler Deutschland machen könnte, weil sie wahrscheinlich gedacht haben, uns besiegen zu können. Das konnten wir als umgekehrte Strategie ausspielen."

Jo Hyeon-woo (Tormann Südkorea): "Ich hatte in meiner ganzen Karriere noch kein so perfektes Spiel wie dieses. Alle koreanischen Spieler und auch der Trainer haben für das koreanische Volk gespielt. Wir haben das Ergebnis erst nach dem Schlusspfiff realisiert."

Stimmen:

Mexiko vs. Schweden 0:3

Juan Carlos Osorio (Trainer Mexiko): "Zu allererst sind wir weiter, weil wir Deutschland und Südkorea geschlagen haben. Nichtsdestotrotz tut es mir sehr weh. Wir konnten am Ende mit unserem Druck im letzten Drittel (des Spielfelds, Anm.) nichts ausrichten. Deshalb haben wir nicht getroffen. Zweitens haben wir drei Tore zugelassen, das sind zu viele. Ich war nicht zufrieden, wie wir verteidigt haben und daraus muss ich lernen."

Guillermo Ochoa (Torhüter Mexiko): "Wir müssen nach vorne schauen. Das ist die Weltmeisterschaft. Es ist nicht einfach und ich denke, das war eine gute Lehrstunde für das, was kommen wird."

Janne Andersson (Trainer Schweden): "Wir haben wirklich als Mannschaft gearbeitet, das gesamte Team. Ich bin so unglaublich stolz und bewegt, von der Art und Weise, was wir auf dem gesamten Spielfeld geleistet haben. Sie waren so diszipliniert, so loyal in allem, was sie getan haben."

Ludwig Augustinsson (Torschütze Schweden): "Das ist etwas, wovon wir geträumt haben. Wir wissen, was wir bereits geschafft haben und dass im Fußball nichts unmöglich ist, wenn man hart dafür arbeitet. Jetzt kann auch Brasilien kommen."