Wenn die Europäische Weltraumorganisation ESA in knapp fünf Jahren eine Raumsonde auf ihre Reise ins äußere Sonnensystem schickt, wird auch Grazer Hardware an Bord sein, die zuvor in einem Tunnelsystem in Niederösterreich auf Herz und Nieren getestet wird. 2022 startet JUICE (JUpiter ICy moons Explorer) zum Gasriesen Jupiter und seinen Eismonden Europa, Ganymed und Kallisto, die unter ihren Oberflächen Ozeane beherbergen. Diese potenziellen Lebensräume sollen genauer untersucht werden.

In Monde hineinschauen

Elf wissenschaftliche Messinstrumente werden für diese Mission weltweit entwickelt. Das Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und das Institut für Experimentalphysik der Technischen Universität Graz zeichnen gemeinsam für das neuartige Quanteninterferenz-Magnetometer verantwortlich. Das Grazer Instrument ist Teil eines magnetischen Sensorsystems, das vom Imperial College in London geleitet wird. Die TU Graz entwickelt die optische Sensorik des Magnetometers, das IWF steuert die weltraumtaugliche Elektronik bei.

Mit der Magnetfeldmessung wird man sprichwörtlich in die Monde hineinschauen. Je genauer das Magnetfeld gemessen wird, umso besser lassen sich die tiefliegenden Ozeane erforschen. Damit dieses Vorhaben gelingen kann, muss die Messgenauigkeit des Grazer Sensors auf 0,2 nT (Nanotesla ist die Einheit der magnetischen Feldstärke) überprüft werden. Dies entspricht in etwa einem Viermillionstel der Größe des Erdmagnetfeldes (50.000 nT).

Glück auf!
Foto: IWF/ÖAW
Raumsonde JUICE erforscht das Jupitersystem.
ESA/NASA/J.Nichols/U. Leicester/JPL/U. Arizona/DLR

Zu diesem Zweck wurde im Juni 2018 im Tunnelsystem des Conrad-Observatoriums der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) ein dreidimensionales Spulensystem mit einer imposanten Seitenlänge von drei Metern errichtet. Die Designvorgaben des IWF und der ZAMG wurden von der spanischen Firma Serviciencia S.L.U. umgesetzt.

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Das Conrad-Observatorium

Das Conrad-Observatorium (COBS) der ZAMG befindet sich circa 50 Kilometer südwestlich von Wien in einem Naturschutzgebiet auf dem Trafelberg (Niederösterreich) in rund 1000 Metern Seehöhe. Durch seine abgeschiedene Lage garantiert das größtenteils unterirdische Observatorium eine störungsfreie Magnetfeldmessungen.

Im seismisch-gravimetrischen Teil der Forschungsstation, der seit 2002 in Betrieb ist, werden Erdbeben und Erdanziehungskraft beobachtet. 2014 kam ein ausgedehntes Tunnelsystem zur Erforschung des Erdmagnetfelds hinzu. Mit zahlreichen Messstationen lassen sich das Magnetfeld der Erde und seine Veränderungen – zum Beispiel durch das Weltraumwetter – im Detail untersuchen. Die Station umfasst ein System aus rund zwei Kilometern an Stollen und Schächten.

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Vom Zehntausendstel zum Millionstel

Jeder stromdurchflossene Leiter erzeugt ein Magnetfeld. Wird nun zum Beispiel ein Kupferkabel in der Form einer Zylinderspule aufgebaut, kann entlang der Spulenachse ein sehr genaues und auch homogenes Magnetfeld erzeugt werden. Da sich Zylinderspulen nicht besonders für den Aufbau von mehrdimensionalen Spulensystemen mit einem gemeinsamen Mittelpunkt eignen, geht man oft auf Spulenpaare über. Die einfachste Konstellation bildet die sogenannte Helmholtz-Spule, die aus nur einem Spulenpaar pro Achsenrichtung besteht. Der Abstand der beiden Einzelspulen entspricht exakt ihrem Radius. Damit kann im Inneren der Spulen eine Homogenität des erzeugten Magnetfeldes in der Größenordnung von einem Zehntausendstel erreicht werden. Bestimmt wird die Homogenität durch die relative Veränderung des Magnetfeldes in einem definierten Bereich im Inneren der Spule.

Helmholtz-Spule.
Grafik: Ansgar Hellwig (CC BY-SA 3.0)

Für die Vermessung des JUICE-Sensors wird aber eine um den Faktor Hundert bessere Homogenität benötigt. Das gelingt durch das Hinzufügen eines weiteren Spulenpaares. Wenn die Spulenpaare dieselbe Größe aufweisen, handelt es sich um ein Merritt-Spulensystem. Mit einer exakten Abstimmung der Abstände der beiden Spulenpaare sowie einer präzisen Gewichtung des Stromverhältnisses durch das äußere und das innere Spulenpaar, kann die Homogenität auf theoretisch weit unter einem Millionstel verbessert werden.

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Dieses aus den mathematischen Formeln abgeleitete Homogenitätsmaximum erfordert eine Ausrichtungsgenauigkeit aller Spulenwindungen von besser als 0,01 Millimetern bei einer Spulenseitenkante von drei Metern. Da dies in Wirklichkeit kaum zu erreichen ist, wurden durch Serviciencia S.L.U. zahlreiche Justiermöglichkeiten eingebaut. So können die Abstände aller Spulen exakt aufeinander abgestimmt werden, elektrische Präzisionswiderstände ermöglichen die Korrektur der Stromverhältnisse in den Spulenpaaren und Zusatzwindungen generieren in allen Einzelspulen auf den Hauptstrom bezogene Korrekturfelder.

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Kleine Verschiebung – große Auswirkung

Um die Auswirkungen von Verkippungen und Verschiebungen der Spulen auf die Homogenität zu veranschaulichen, wurde das Magnetfeld im Inneren der Spule mit Hilfe des Biot-Savart-Gesetzes simuliert. Dieses bestimmt das erzeugte Magnetfeld von stromdurchflossenen Leitern.

Auf Einzelwindungen basierendes Modell des Merritt-Spulensystems.
Grafik: IWF/ÖAW

Wie komplex das Thema des optimalen Aufbaus ist, erklärt sich anhand der vielen veränderbaren Parameter des Spulensystems. Jede Richtung des dreidimensionalen Gesamtsystems besteht aus vier Spulen, die jeweils in drei Richtungen verschoben und über drei Achsen gedreht werden können. Ein zusätzlicher Justierparameter ist das Stromverhältnis zwischen dem inneren und dem äußeren Spulenpaar. Dies ergibt pro Spule sieben und insgesamt 84 Parameter, an denen gedreht werden kann, um die bestmögliche Homogenität zu erhalten.

Das Ergebnis zeigt, wie sich die Verschiebung nur einer der vier Y-Spulen in Y-Richtung auf die Homogenität in allen drei Achsen (X, Y und Z) auswirkt. Die Homogenität verschlechtert sich bei einer Verschiebung um nur einen Millimeter in einem Bereich von 20 x 20 x 20 Zentimeter um mehr als den Faktor Tausend (0 mm: 6x10^-9, +/-1 mm: 9x10^-6).

Veränderung der Homogenität bei der Verschiebung einer Y-Spule in Y-Richtung
Grafik: IWF/ÖAW
Das Spulensystem am Ende des Tunnels.
Foto: IWF/ÖAW

Nackte Fakten zur Spule

  • Größe: 3 x 3 x 3 Meter
  • Gesamtgewicht: circa 820 Kilo
  • Kabelgesamtlänge: circa 8 Kilometer
  • Spulenkonstante: ~15.000 Nanotesla pro Ampere

Forschen und Testen für die Zukunft

Die weltweit einzigartige Konstellation aus einem hochpräzisen Spulensystem in einer magnetisch störungsfreien, homogenen und temperaturstabilen Testumgebung wird ab August 2018 die exakte Vermessung des Magnetfeldsensors für die Jupiter-Raumsonde JUICE der ESA ermöglichen und die Kalibrierung weiterer Magnetometer auf zukünftigen Weltraummissionen garantieren. (Werner Magnes, 11.7.2018)

Werner Magnes studierte Elektronik, Nachrichten- und Tontechnik an der Technischen Universität Graz. Seit 1992 beschäftigt er sich mit dem Design und Bau weltraumtauglicher Magnetometer am Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Seit 2002 leitet er die Magnetometer-Gruppe am IWF, seit 2015 ist er auch Stellvertretender Direktor des Instituts.

Am Aufbau des Spulensystems waren beteiligt:

  • Gerhard Berghofer, Aris Valavanoglou und Josef Wilfinger, IWF/ÖAW
  • Roman Leonhardt und Niko Kompein, COBS
  • Alberto Marino und Víctor M. Martín, Serviciencia S.L.U.

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