Zu den ältesten und geschichtlich bedeutendsten Städten des Balkans gehört das nordalbanische Shkodër. Es liegt am gleichnamigen Shkodërsee, an der Grenze Albaniens mit Montenegro. Hoch über der Stadt thront die seit der Antike immer wieder umgebaute Festung Rozafa, ein beliebtes Ausflugsziel für Einheimische wie für internationale Touristen.

Betrachtet man die antike Namensform Scodra, so wird ersichtlich, dass es mit der modernen albanischen Namensform Shkodër eine sprachliche Verbindung geben muss. Diese wird in Albanien, wo historische Beständigkeit einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert hat, auch besonders betont. Sprachliche Dauerhaftigkeit bei Ortsnamen ist schließlich ein wichtiges Argument in der Diskussion um albanische Siedlungskontinuität. Wie aber sieht die antike Geschichte Albaniens aus? Welchen Beitrag können die Ortsnamen Albaniens in der so wichtigen Frage der Siedlungskontinuität leisten?

Römische Einflüsse

Der Blick in die Geschichte zeigt, dass das Gründungsdatum von Scodra unbekannt ist. Die Stadt wird aber erstmalig im 4. Jahrhundert vor Christus erwähnt und ist als Hauptort des illyrischen Stammes der Labeaten bekannt. Unter der Sammelbezeichnung Illyrer werden üblicherweise jene Stämme zusammengefasst, die in der Antike in einem Gebiet siedelten, das heute in etwa dem Staatsgebiet Albaniens entspricht. Die Expansion der Römer brachte diese immer wieder in kriegerische Konflikte mit den Illyrern, die 167 vor Christus endgültig von den Römern besiegt wurden. Damit geriet das Gebiet Albaniens und auch Städte wie Scodra unter römischen Einfluss. Dieser blieb bis zum Erscheinen der Slawen auf dem Balkan im 6. Jahrhundert nach Christus bestimmend.

Ortsnamen geben Rückschlüsse auf die Entwicklung der Sprache.
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Die albanische Sprache
 
Heute wird in diesem südwestbalkanischen Gebiet die albanische Sprache gesprochen, die in schriftlichen Zeugnissen jedoch erst seit der Mitte des 16. Jahrhunderts nach Christus dokumentiert ist. Wie kann diese zeitlich lange Lücke zwischen der Antike und der neuzeitlichen schriftlichen Dokumentation des Albanischen überbrückt werden? Das fällt in den Kompetenzbereich der historischen Sprachwissenschaft. Unter Anwendung sprachlicher Rekonstruktion und mit Hilfe des Sprachvergleichs können nämlich auch schriftlose Perioden erforscht werden.

Im Fall des Albanischen ist das möglich, da die albanische Sprache zwar eine eigenständige Sprache darstellt, aber als sogenannte indogermanische Sprache mit vielen anderen Sprachen Europas wie dem Deutschen oder dem Lateinischen sprachgeschichtlich verwandt ist. Das kann man unter anderem an den Zahlwörtern sehen, zum Beispiel deutsch drei, Lateinisch tres, Albanisch tre.
 
Mit der Antike ist Schluss 

Und hier kommen eben auch die Ortsnamen Albaniens ins Spiel. In Ermangelung schriftlicher Zeugnisse vor dem 16. nachchristlichen Jahrhundert sind sie das einzige Material, das in die Antike reicht. Dazu kommt, dass Ortsnamen nicht nur ein Spiegel sprachlicher, sondern auch historischer Ereignisse sind. Sie reflektieren die Siedlungsgeschichte eines gegebenen Ortes. Ihre sprachhistorische Analyse kann im Idealfall erhellen, aus welcher Sprache ein Ortsname stammt und wie er im Verlauf der Zeit und in welcher Sprache er lautlich verändert wurde, bis er seine aktuelle Form beziehungsweise Formen erhalten hat.

Im Falle Albaniens spielen gerade die schon in der Antike überlieferten Ortsnamen wie Scodra eine besondere Rolle. Die Albaner sehen sich als bodenständige Nachkommen der antiken Illyrer. Das Albanische soll eine moderne Entwicklung des antiken Illyrischen sein. Unterstützt wird diese Auffassung auch damit, dass ein Name wie Shkodër ganz regulär nach albanischen Lautveränderungen aus der antiken Namensform Scodra entwickelt sein soll. Dies trifft zwar im Grunde zu, doch ist in den letzten Jahren auf Grund verbesserter Methodik die sprachliche Rekonstruktion des Albanischen verfeinert worden. Es hat sich deutlich gezeigt, dass die Sprachgeschichte des Albanischen in zwei zeitlich unterschiedliche Entwicklungsphasen zu gliedern ist.

Dabei hat jede Entwicklungsphase ihre ganz eigenen Lautveränderungen. So betrifft die erste Phase von Lautveränderungen jene Wörter, die im Albanischen aus dem sogenannten Indogermanischen, der rekonstruierten Grundsprache fast aller heutigen Sprachen in Europa, ererbt wurden. Diese Phase war abgeschlossen, als die zweite Phase von neuen Lautveränderungen einsetzte. Sie begann mit dem Sprachkontakt des Albanischen mit dem Lateinischen, das heißt nach der Eingliederung des Balkanraums unter Roms Herrschaft. Als Folge davon wurden viele lateinische Lehnwörter ins Albanische übernommen, die ganz spezifische Lautveränderungen aufweisen. Was auffällt ist, dass auch der seit der Antike bezeugte Ortsname Scodra gerade nur nach den Lautveränderungen der zweiten, zeitlich jüngeren Phase der albanischen Sprachgeschichte verändert wurde. Ist dies nur ein Einzelfall? Welcher Phase ist die Lautgeschichte der übrigen Ortsnamen in Albanien zuzuordnen? Was folgt bei einer sprachgeschichtlich jungen Lautveränderung der Ortsnamen für die albanische Siedlungskontinuität?

Historische Siedlungsgeschichte

In einem Forschungsprojekt an der Balkanforschung am Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der ÖAW sollen demnächst alle Ortsnamen Albaniens erstmalig im Bezug auf diese neuen Erkenntnisse der historischen Lautgeschichte des Albanischen sprachwissenschaftlich untersucht werden. Dabei wird nicht nur die historische Sprachgeschichte der Ortsnamen analysiert werden, sondern es wird auch ganz gezielt ihre jeweilige Dokumentationslage im Verlauf der Geschichte sowie ihre spezifische sprachliche Herkunft ermittelt. Denn neben den schon antik bezeugten Ortsnamen gibt es in Albanien auch eine hohe Zahl von Ortsnamen slawischer Herkunft und natürlich auch Ortsnamen, die mit Wörtern aus dem Albanischen selbst gebildet sind. Diese Untersuchung soll zeigen, wie sich die Gesamtheit der Ortsnamen Albaniens darstellt und wie der zeitliche Rahmen der historischen Siedlungsgeschichte des albanischen Raums zu verstehen ist. Ziel ist es, Grundlagen zu schaffen, um die Sprach- und Siedlungsgeschichte Albaniens auch vor Ort kritisch und nach methodisch modernen Maßstäben zu diskutieren, wie es auch anderswo schon der Fall ist. (Joachim Matzinger, 10.7.2018)

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