Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, wurde im Sinn der Anklage schuldig gesprochen.

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Großer Andrang vor dem Oberlandesgericht München.

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Vor dem Gericht wird auch Unmut über den Prozess geäußert.

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Zum Schluss war es noch einmal richtig voll im Gericht. Schon am frühen Mittwochmorgen waren Zuseher vor dem Oberlandesgericht München Schlange gestanden, um in jenen Saal A101 zu gelangen, in dem Beate Zschäpe und vier weiteren Angeklagten in den vergangenen fünf Jahren der Prozess gemacht worden war. Das Urteil fiel um kurz vor zehn Uhr, Zschäpe vernahm es äußerlich regungslos.

Der Richterspruch lautet: lebenslange Freiheitsstrafe wegen der Mittäterschaft an zehn Morden, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (Nationalsozialistischer Untergrund, NSU), schwerer Brandstiftung und versuchten Mordes. Außerdem stellte das Gericht eine besondere Schwere der Schuld fest. Das geschah "wegen der Vielzahl der verübten Taten".

Keine Sicherheitsverwahrung

Hält das Urteil, dann wird Zschäpe die kommenden Jahre in Haft verbringen. Sie kommt in den normalen Vollzug, denn Sicherheitsverwahrung, wie die Bundesanwaltschaft als Anklägerin ebenfalls gefordert hatte, verhängte das Gericht nicht. Lebenslange Haft kann nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. Wenn allerdings eine besondere Schwere der Schuld vorliegt, dann kann der oder die Verurteilte nur in Ausnahmefällen nach 15 Jahren freikommen.

Wie nicht anders zu erwarten, wollen Zschäpes Anwälte das Urteil nicht hinnehmen. "Die Verurteilung Frau Zschäpes wegen Mittäterschaft an den von Böhnhardt und Mundlos begangenen Morden und Raubstraftaten ist nicht tragfähig begründbar. Wir werden gegen das Urteil Revision einlegen", sagte ihr Anwalt Wolfgang Heer. Er ist einer der drei Pflichtverteidiger, mit denen Zschäpe seit Jahren nicht mehr spricht.

Auch ihr Vertrauensanwalt Mathias Grasel kündigte Revision an: "Das Urteil ist falsch. Die Verurteilung wegen Mittäterschaft ist juristisch nicht haltbar." Der Bundesgerichtshof wird das Urteil aber nicht komplett neu aufrollen, er wird prüfen, ob es im Münchner Verfahren Rechtsfehler gab. Das könnte Jahre dauern.

Kein Nachweis der Anwesenheit an Tatorten

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl sieht zwar keinen Grund für eine Sicherheitsverwahrung, folgte aber ansonsten bei der Verurteilung und beim Strafmaß der Bundesanwaltschaft. Er griff ebenso deren Sichtweise auf, wonach Zschäpe als Mittäterin an den zehn Morden des NSU, an zwei Bombenanschlägen und 15 Raubüberfällen zu verurteilen sei, obwohl es keinen Nachweis gibt, dass sie an einem der Tatorte persönlich anwesend gewesen ist.

Götzl erklärte in seiner Urteilsbegründung jedoch, die Morde geschahen "in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit der Angeklagten Zschäpe". Ihr Beitrag sei von "essenzieller Bedeutung" gewesen. Das Vorgehen von Zschäpes Freunden, Mundlos und Böhnhardt, zeichnete er so nach: "Die Taten trafen die Opfer völlig überraschend in Alltagssituationen, in denen diese nicht mit einem Angriff rechneten. Darauf kam es den Tätern auch an. Sie traten unmaskiert auf, schossen den Opfern in der Regel aus kurzer Entfernung in den Kopf und ergriffen die Flucht."

Götzl beschrieb auch, wie sich das Trio aus Zschäpe und den beiden Männern radikalisierte. Mundlos und Böhnhardt hätten offen rechtsextreme Positionen vertreten, beide Männer trugen etwa SA-Uniformen nachempfundene Anzüge. "Die Angeklagte Zschäpe übernahm die rechtsradikalen Ansichten ihres Umfelds", sagte Götzl. Ihre Tatpläne hätten die drei gemeinsam gefasst: "Sie töteten im bewussten und gewollten Zusammenwirken."

Zwar hätten die Taten dann Mundlos und Böhnhardt begangen, da sie "sportlich durchtrainierte Männer" waren. Zschäpe sei aber dennoch als Mittäterin zu verurteilen, denn Mittäterschaft erfordere keine Anwesenheit am Tatort. Ausreichend sei "ein fördernder Beitrag für die Tat". Den hatte Zschäpe geschaffen, indem sie "für eine harmlose und unverdächtig erscheinende Legende" gesorgt habe.

Geringere Haftstrafen für die Unterstützer

Zufrieden mit dem vorläufigen Ende des Prozesses ist Bundesanwalt Herbert Diemer: "Dass wir dieses Urteil haben, ist ein Erfolg des Rechtsstaats." Auch die Mitangeklagten Zschäpes erhielten Haftstrafen: Der frühere NPD-Vizechef von Thüringen, Ralf Wohlleben, muss wegen Beihilfe zum Mord zehn Jahre in Haft, er soll Munition und eine Pistole vom Typ Ceská 83 beschafft haben – die Tatwaffe bei neun Morden.

Der aus Sachsen stammende André E. erhielt wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zweieinhalb Jahre Haft. Er hatte während des gesamten Prozesses geschwiegen, die Bundesanwaltschaft hatte zwölf Jahre Haft beantragt. Er wurde noch am Freitag aus der U-Haft entlassen, was von anwesenden Rechtsextremen mit Beifall quittiert wurde.

Ausgesagt hatte Carsten S., der wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen zu drei Jahren Jugendstrafe verurteilt wurde. Er war zur Tatzeit 19 Jahre alt, sagte sich später von der Szene los und traf auch Angehörige der NSU-Opfer. Drei Jahre wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bekam auch Holger G.

"Das ist ein Signal ins Land hinein gegenüber all solchen Gruppen, die so was vielleicht vorhaben, und ist aber auch ein Signal in die Weltgemeinschaft hinaus, dass bei uns alle, die sich so benehmen, hart bestraft werden", sagte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) über das Urteil. "Ich kann nur sagen, dass das Urteil dem entspricht, was die Familien erwartet und erhofft haben", betonte Barbara John, die Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Opfer.

Es gab aber auch kritische Stimmen. Gamze Kubaşık, die Tochter des ermordeten Mehmet Kubaşık, forderte, dass die Aufarbeitung der Morde fortgesetzt werde: "Ich hoffe nun, dass auch alle weiteren Helfer des NSU gefunden und verurteilt werden." Wenn das Gericht ehrlich sei, werde es einräumen, dass Lücken geblieben seien. "Solange diese Lücken bleiben, können meine Familie und ich nicht abschließen."

Kritik kam auch vom türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu. "Obwohl die Angeklagten zugegeben haben, Unterstützung speziell vom Geheimdienst und vom Staat im Staate erhalten zu haben, wurde nicht aufgeklärt, wer diese Personen oder Institutionen sind." (Birgit Baumann, 12.7.2018)