Die Seefestspiele Mörbisch präsentieren heuer "Gräfin Mariza".
Foto: Jerzy Bin

"Operette ist nur etwas für Monarchisten!"

Seien wir ehrlich: Der alte Kaiser kehrt nie wieder zurück. Also muss die Welt des Monarchen in der Operette immer und immer wieder eine Art Auferstehung feiern? Der Intendant der Operettenbühne Baden, Michael Lackner, sieht das nicht unähnlich: "Auf alle Fälle gibt es noch Menschen, die die Vergangenheit als Jetzt adorieren und schwer davon zu überzeugen sind, dass der Fluss der Zeit weiterfließt."

Das Subversive der Operette würde "teilweise leider negiert, da die Beschaulichkeit in der Interpretation während der 1950- und 1960er-Jahre dem ganzen Genre ein falsches, süßlich-klebriges Mäntelchen umgehängt hat".

Der Chef der Schlossfestspiele Langenlois, Andreas Stoehr, wiederum sieht das Genre eher als Opfer. Das Monarchistische sei "ein Klischee, das gern bedient wird, um die Operette in ein schmuddeliges Nostalgieeck zu stecken", meint der Mann, der heuer mit Carl Zellers Vogelhändler (ab 19. 7.) das Publikum lockt.

Thomas Enzinger, Intendant des Lehár-Festivals in Bad Ischl, ist in dem Punkt kurz angebunden der Meinung, man dürfe bitte "das Publikum nicht unterschätzen". Er präsentiert diesem Paul Abrahams Blume von Hawaii (ab 14. 7.), während Peter Edelmann, neuer Leiter in Mörbisch, mit der Gräfin Mariza lockt und Differenzierung fordert: "Das typische Operettenpublikum gibt es nicht. Es kommen sowohl ,Monarchisten' wie auch Opernliebhaber und Freunde der leichteren Muse. Immer mehr Operettenfreunde kommen aus Russland, Japan und China. Zu unserer ,Kinder-Mariza' kamen über 2000 Kinder zwischen acht und zwölf." Bis die Operette zum zentralen Ort der Auseinandersetzung mit den Fragen der Gegenwart wird, dürfte dennoch eine Weile vergehen. Hoffentlich nicht so lange, bis der alte Kaiser zurück ist.

"Der Vogelhändler" bei den Schlossfestspielen Langenlois.
Foto: KM Westermann

"Operette ist doch eher seicht!"

"Seicht" ist natürlich ein vieldeutiges Wort, und es wird genauso oft mit Gewässern in Verbindung gebracht wie mit dem Operettengenre. Im Umfeld des Wortes finden sich unfreundliche Bezeichnungen wie "alltäglich", "anspruchslos", "gehaltlos", "niveaulos" , "oberflächlich" und "trivial, um nur einige zu nennen. Unsere Intendanten erschüttert dies allerdings nicht: Herr Edelmann ist entschieden anderer Meinung, was das Genre und im Speziellen die Premiere, die er zurzeit auf der Seebühne bietet, betrifft: "Die Gräfin Mariza ist sehr weit davon entfernt, musikalisch seicht zu sein! Jede Nummer ist gut, jede Nummer ist anders und geht ins Ohr. Es ist doch Musik, die uns von der Erdenschwere emporhebt – diese Musik ist groß, schön, und sie ist erhaben!"

Enzinger wiederum startet einen Entlastungsangriff auf die Oper: "Operette ist so seicht, wie auch Oper seicht sein kann, und so hochwertig, wie dies Oper sein kann. Das grundsätzlich Schöne an der Musik: Sie ist nicht messbar und bewertbar", und Lackner ergänzt: "Manch ein Opernkomponist wäre glücklich gewesen, solch geniale melodische Einfälle gehabt zu haben wie Strauß, Suppé, Lehár, Kálmán oder Leo Fall, um nur einige zu nennen."

Stimmt. Brahms war ein Strauß-Fan. Und Stoer ist es wohl auch. Er bemüht in seiner Apologie Hugo von Hofmannsthal, der sagte: "Die Tiefe muss man unter der Oberfläche verstecken." Bei guten Operetten sei "dies der Fall." Alles sehr überzeugend. Aber manchmal wartet halt unter der Oberfläche nichts.

"Es werden ja auch keine Operetten mehr geschrieben!"

Dieser Vorwurf wird hier in differenzierter Art und Weise bestritten – Stoer etwa wagt den historischen Blick: "Operette war immer Auftragskunst! Viele Autoren waren jüdisch. Als die Operette von Wien nach Berlin und die USA ,auswanderte', ist es gerade in Österreich für dieses Genre sehr kalt geworden ..." Heute fiele die Antwort "für jene Häuser und Bühnen peinlich aus, die solche Aufträge vergeben sollten. Ich habe seit drei Jahren eine musikalische Biografie über das Leben und die Musik von Hermann Leopoldi in der Schublade. Vom Kern her eine Operette, humorvoll, aber auch ein Spiegel der österreichischen Geschichte von 1918 bis nach dem Zweiten Weltkrieg." Bisher gab es nur Ablehnungen.

"Es werden nach wie vor Operetten geschrieben", findet hingegen Edelmann. "Unter anderem von Guido Mancusi, unserem Dirigenten. Ich habe ein paar Angebote bekommen. Aber natürlich hat das Musical den Platz der Operette zum Teil eingenommen!"

Das meint auch Lackner: Musical könne als "moderne Operette klassifiziert werden. Aber es gibt auch immer wieder Versuche, ,richtige' Operette zu schreiben, etwa die Südseetulpen in Chemnitz." Interessant Enzingers Ansatz: "Kunst entwickelt sich immer weiter. Vielleicht sollte man sich einfach von den Begriffen lösen." Das würde heißen: Es gibt neue Operetten, nur unterhalten sie heute in anderer Gestalt.

"Die Blume von Hawaii" beim Lehár-Festival in Bad Ischl.
Foto: www.fotohofer.at

"Operette ist doch reiner Kitsch!"

Rund um diesen Vorwurf lassen sich weitere gruppieren: Operette bediene, da so kitschig, Stereotype, sie sei verlogen. Brutal weitergedacht, ließe sich behaupten, Operette beleidige die Intelligenz, aber soweit muss man nicht gehen. Auch Thomas Enzinger tut es nicht. Operette sei "eben genauso kitschig, wie das Leben sein kann". Außerdem, so Stoer, könne "Kitsch als Stilmittel, das demaskiert, auch witzig sein". Es ist dies eine These ganz im Sinne Lackners, der meint, es kommte "eben darauf an, wie man Operette inszeniert". Edelmann hingegen findet einfach an Kitsch nichts Übles: "Guten Kitsch finde ich geschmackvoll, wenn er zum Stück passt. Es braucht Mut zum geschmackvollen Kitsch!"

Andreas Stoer sieht im Kitschvorwurf ein "Klischee, das gerne bedient wird, um die Operette in ein schmuddeliges Nostalgieeck zu stellen. Das Subversive etwa würde schon verstanden werden, würde man sich trauen, dieses auch zu zeigen. Da die Liebhaber der Operette ,made in Austria' es sich hinter süffigen Melodien und schönem Schein behaglich machen, wird die Ironie des Genres als Angriff auf das Publikum gewertet und in den meisten Inszenierungen ausgeblendet. Die Fledermaus ist aber etwa der Versuch, aus einer halsstarrigen Bürgerlichkeit auszubrechen!"

Okay. Aber klar ist: Es darf Operette nicht nur dann genießbar sein, wenn man seinen Verstand an der Garderobe abgibt.

Die "Fledermaus" aus der Salzburger Mortier-Ära: ein provokanter Versuch, Operette zu beleben.
Foto: Techt Hans Klaus / APA / picturedesk.com

"Operette ist reaktionär, ja stockkonservativ!"

Der Blick in das Synonymlexikon unter "stockkonservativ" erbringt als Ergebnis "altbacken", "althergebracht" wie auch "fortschrittsfeindlich" und "eine rechte Schlagseite haben". Dies sind gewaltige Vorwürfe, die Enzinger mit einer Einladung zu widerlegen sucht: "Ein annektierter Staat, der um Freiheit kämpft, eine Weltmacht, die mit Drohungen Politik betreibt, Emigration, Rassendiskriminierung, Sinnsuche – willkommen bei der Blume von Hawaii in Bad Ischl!"

Edelmann freut sich natürlich auch, Menschen in Mörbisch begrüßen zu dürfen, wo er "Liebe, Eifersucht, Verwechslung, pointierten Humor, Spaß und Lebensfreude" im Angebot führt. Diese Attribute seien nicht konservativ. Und überhaupt: "Viele Operetten von Johann Strauß – von Offenbach ganz zu schweigen – sind viel offener, als die heutige Zeit es jemals erlauben würde!" Es hätten eben, so wiederum Lackner, "die Nachkriegsjahre durch eine Fehlentwicklung das Genre in ungerechter Weise in Verruf gebracht. Operette ist in ihrer ureigensten Form revolutionär."

Letztlich könne man der Vorwurf des Reaktionären "auch über andere Theaterformen der Vergangenheit" gegossen werden, so Stoehr ergänzend. "Nein, Operette ist eine spezielle Form des Musiktheaters, dessen Wesen und Stellenwert darin liegt, soziale Gegensätze aufzuheben."

Na also! Nur Mut zum Übertragen ins Heute! Dann wird am Ende alles gut – wie es in der Operette halt so Sitte ist! (Ljubiša Tošić, 13.7.2018)