Got evidence? Haben Sie Beweise? Ein Teilnehmer des weltweit organisierten March for Science demonstriert im April 2018 für die Anerkennung von seriöser Wissenschaft.

Foto: imago/ZUMA Press

Fünf lange Jahre hatte Jeffrey Beall, Bibliothekar und Dozent an der University of Colorado, in seinen Blog gesteckt. Er sammelte dort die Namen von Raubverlegern, die für Geld, aber mit kaum vorhandener Qualitätskontrolle durch Kollegen – dem gängigen Peer-Review-Verfahren – Artikel publizierten. Die später als "Beall's Liste" benannte, nicht unumstrittene Sammlung wurde zu einem Archiv wissenschaftlichen Fehlverhaltens.

Das Modell der Raubverleger ist nicht neu, das Ausmaß, wie eine neue Recherche zeigt, dennoch erschreckend: Ein Journalistenteam des Magazins der Süddeutschen Zeitung, von NDR und WDR deckten gemeinsam mit internationalen Partnern ein regelrechtes Netzwerk an zweifelhaften Publikationen auf. Etwa 5000 deutsche Forscher sollen in diesen Journals publiziert haben, weltweit ist die Rede von 400.000 publizierten Artikeln seit 2013, hunderte sollen es auch in Österreich sein, wie beteiligte Journalisten der Zeit im Bild 2 und des Falter berichten.

Waghalsige Thesen

Während der neunmonatigen Recherche wurden 175.000 Publikationen gelesen, 13 selbstkreierte Papers bei fraglichen Journals eingereicht, zehn davon auch ohne große Änderungen angenommen. Sie enthielten waghalsige Thesen, wie zum Beispiel die Wirksamkeit eines Krebsmittels aus Bienenharz, das herkömmliche die Chemotherapie in den Schatten stellen soll.

Anfang letzten Jahres wurde es auf Bealls Blog plötzlich still. Es war eine persönliche Entscheidung, sagte er später in Interviews, aber dazu kam, dass er und seine Uni von auf der Liste vertretenen Personen bedroht und unter Druck gesetzt wurden. Die Raubverleger hatten an Einfluss und Größe gewonnen. Waren es anfänglich rund 1000 Raubverleger, soll es Schätzungen der Analysefirma Cabell zufolge heute schon rund 8700 geben. Unter den (oft ahnungslosen) Betroffenen finden sich Namen von Nobelpreisträgern, Pharmakonzernen und Instituten, die für Spitzenforschung stehen. Das Phänomen betrifft zwar nur einen Bruchteil der gesamten Publikationen, aber es hat seine Nische verlassen.

Gefährlicher Mischmasch

Einer der bekanntesten Raubverleger ist Omics. Das indische Unternehmen erzielte 2016 einen Umsatz von knapp zehneinhalb Millionen Euro. Gegen die Betreiber laufen bereits Ermittlungen der US-amerikanischen Federal Trade Commission wegen Betrugs. Ein weiterer, der Waset-Verlag, wirbt mit (pseudo)wissenschaftlichen Konferenzen. Während Forschung üblicherweise in einem passenden Fachkreis diskutiert wird, kommen bei Waset-Konferenzen unüberprüfte Ergebnisse unzähliger Disziplinen zusammen. Ein gefährlicher Mischmasch in einer für die Forscher wertlosen Aneinanderreihung.

Die Recherche diente jedoch nicht nur dazu, das Fehlverhalten einzelner Forscher aufzuzeigen. Sie legt vielmehr dar, wie unüberschaubar die Welt wissenschaftlichen Publizierens geworden ist und wie sehr sie von lukrativen Geschäften kontrolliert wird. Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Steigender Druck

Seit langem wird die wissenschaftliche Landschaft von zwei Publikationsriesen, Nature und Science, dominiert. Um diese und ähnliche Journals zu abonnieren, zahlen Universitäten und Forschungsinstitute jährlich bis zu 200.000 Euro. Bald entwickelte sich ein Pendant in der Onlinewelt: das Open-Access-Modell. Statt über Abos wird es durch Beiträge finanziert, die die Autoren selbst zahlen, um ihre Forschung zu veröffentlichen und kontrollieren zu lassen. Eine weitgehend positiv wahrgenommene Entwicklung, denn sie ermöglichte einen kostenlosen Zugriff auf wichtige Inhalte.

Doch das System wurde von den Raubverlegern infiltriert und so in Mitleidenschaft gezogen. Die Taktik funktioniert, weil sie einen wunden Punkt trifft: Die große Anzahl an Open-Access-Journalen sei mittlerweile sehr unübersichtlich geworden, klagen Experten. Maßnahmen, dem entgegenzuwirken, liefert beispielsweise das Directory of Open Access Journals (DOAJ) – eine Art qualitative Vorauswahl. So finanziert und empfiehlt der österreichische Wissenschaftsfonds FWF nur Zeitschriften, die dort gelistet sind, wie der Open-Access-Experte Falk Reckling vom FWF erklärt. In Österreich sei nur eine äußerst geringe Zahl von Wissenschaftern von dubiosen Praktiken betroffen, wird beteuert.

Nicht nur Opfer

Doch das ist nicht der einzige wunde Punkt. "Publish or perish" ("veröffentlichen oder zugrunde gehen") – so lautet eine in der Wissenschaftswelt gängige Redensart. Je länger die Publikationsliste, desto höher das symbolische Kapital, also die Reputation eines Forschers. Ulrike Felt, Wissenschaftsforscherin an der Uni Wien, vermutet, dass besonders junge Forscher vom Modell Raubverleger betroffen sein könnten. Viele würden die Hürde, in klassischen Journals zu veröffentlichen, für zu hoch halten und sich somit an weniger bekannte Namen wenden.

Die Raubverlage tarnen sich oft mit ähnlichen Namen wie bekannte Journals und senden schmeichelnde E-Mails mit Einladungen zu Konferenzen oder Aufforderungen, in fragwürdigen Fachblättern zu publizieren. Derartige Verlage zu erkennen ist deswegen keineswegs einfach. Aber unter den Autoren finden sich nicht nur Opfer eines bereits brüchigen Systems. Andere Wissenschafter, die oft im Auftrag von Unternehmen agieren, scheinen dieses Modell gezielt für ihre Zwecke zu nützen. Sie machen Gebrauch davon, dass die Publikation mangels Überprüfung rasch und unkompliziert geschieht. Das Paper dient dann als Legitimierung verschiedener Praktiken, etwa um mutmaßlich besser wirkende Medikamente zu promoten.

Verschwimmende Grenzen

Zwar findet sich auch in klassischen Journals zuweilen Fehlverhalten, die Welt der Raubverleger ist aber weitaus unübersichtlicher. Hier verschwimmen die Grenzen: Ernstgemeinte Thesen können neben Werbung stehen. Systemopfer neben Geschäftemachern publizieren. Diese Praktiken führten zum inoffiziellen Titel der Recherche: Fake-Science. Die Nähe zum Begriff Fake-News ist kein Zufall, die Unterscheidung dennoch wichtig. Denn das Wissenschaftssystem hat einen grundlegenden Vorteil, da es auf einem inhärenten Korrekturmechanismus basiert: Trial and Error, Versuch und Irrtum – ein Prinzip, das immer auch als Antrieb für weitere Forschung dient. Selbst wenn man Bealls Liste nicht mehr online findet, ist sie noch nicht zu Ende geschrieben. (Katharina Kropshofer, 27.7.2018)