Emmanuel Macron hat alle Hände voll zu tun in diesem Sommer, der für die proeuropäischen Kräfte wohl keine Pause kennen wird. Denn, so lautet der einhellige Befund aller Parteien in diesem Lager: Das Projekt eines liberalen, demokratischen Europas ist in Gefahr. Austrittswillige Briten, Renationalisierungstendenzen in den Mitgliedstaaten, der erbitterte Streit in der Migrationspolitik. Vor wenigen Tagen nun auch noch die Ankündigung von Donald Trumps früherem, erzkonservativem Chefberater Steve Bannon, Europa kräftig aufmischen zu wollen.

Macrons Bemühungen, eine politische Alternative zu Nationalisten und Populisten auf europäischer Ebene zu bieten, bringen die etablierten proeuropäischen Parteien in Zugzwang.
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Seither herrscht Alarmstimmung innerhalb der proeuropäischen und liberalen Parteienfamilien. Der Kampf ist eröffnet. Einer, der auf proeuropäischer Seite gehörig mitmischen will, ist eben der liberale Erneuerer und französische Präsident. Ähnlich wie im Präsidentenwahlkampf gegen Front-National-Chefin Marine Le Pen macht Macron nun auch auf EU-Ebene den Kampf gegen die Nationalisten, die Europa zerstören wollten, zu seiner Hauptaufgabe. Was er in Frankreich geschafft hat, möchte er auf der EU-Ebene wiederholen.

Avancen an die Alde-Fraktion

Dafür sucht Macron nach politischen Verbündeten. Denn seine in Frankreich auf dem Trümmerhaufen der etablierten Parteien völlig neu positionierte Bewegung der Mitte findet sich ideologisch in keiner der Fraktionen im EU-Parlament wieder. Macron selbst bezeichnet sich als "sozialliberal". Kolportiert wurden Absprachen mit Italiens ehemaliger Regierungspartei PD unter Matteo Renzi, die angeblich sogar über einen Wechsel aus der sozialdemokratischen Fraktion nachdachte. Aber auch aus der sich nach dem Wegfall der Briten auflösenden europaskeptischen Fraktion "Europa der Freiheit und der direkten Demokratie" sollen Abgeordnete der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung über ein Andocken nachgedacht haben. Die rumänische Antikorruptionspartei USR hat sich ebenfalls angedient. Parteichef Dan Barna selbst bezeichnete sich unlängst sogar als Pendant zu Macrons Partei. Auch der deutsche FDP-Chef Christian Lindner berichtete von Gesprächen – besonders heikel angesichts der führenden Rolle, die das Tandem Macron/Merkel in der Diskussion um die Erneuerung Europas spielen will.

Seit Monaten gibt es zudem intensive Kontakte der Macronisten zur liberalen Alde-Fraktion, die ihm ideologisch am nächsten ist. Der linkere, proeuropäische Flügel, zu dem auch die Neos zählen, zeigte sich von Anfang an interessiert. Mit Alde-Chef Guy Verhostadt trifft sich Macron in seinen Konzepten zu einer gemeinsamen Sicherheitsunion. Auch andere Übereinstimmungen sprechen für ein solches Bündnis: So setzt Macron in Frankreich eine im Wesentlichen liberale Wirtschaftspolitik um. Unter den europaskeptischeren Abgeordneten der Alde soll es zu Beginn aber starke Bedenken gegeben haben, eine Bewegung mit derartigem Restrukturierungswillen in die eigenen Reihen zu holen.

Mitreden beim Spitzenkandidaten

Die Neos jedenfalls befürworten eine Plattform gegen Nationalismus und die Rechtspopulisten, sagt Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger dem STANDARD: Macron habe schon vor längerer Zeit erkannt, dass eine ganz neu aufgezogene Bewegung schwierig würde. Eine Kooperation mit Alde war dann "eine logische Geschichte für beide Seiten", konkretisiert Neos-Generalsekretär Nikola Donig. Laut Donig sieht das mittlerweile die gesamte Fraktion so. Macron könnte auch Gelegenheit haben, bei Grundsatzprogramm und Spitzenkandidatur mitzureden. Das wahrscheinlichste Szenario derzeit sei ein Wahlbündnis. Das Ganze sei jetzt "sehr dynamisch", sagt Donig.

Die Chancen eines solchen Wahlbündnisses werden von Experten als durchaus positiv eingeschätzt. Macrons Partei allein könnte laut Umfragen im EU-Parlament mit bis zu 20 Sitzen rechnen. Damit wäre sie eine der größten nationalen Parteien dort.

Als nicht zu unterschätzende Unwägbarkeit für die liberale Kampfansage an Rechts gelten allerdings die aktuellen innenpolitischen Probleme von Emmanuel Macron, der zu Hause in Frankreich mit einer Af färe rund um seinen gewalttätigen Bodyguard Alexandre Benalla kämpft. Die Vorfälle, die der Öffentlichkeit erst im Juli durch Medienberichte bekannt wurden, haben wohl die größte Krise der bisherigen Amtszeit von Macron ausgelöst. Die Europawahlen könnten für ihn so auch zu einer Art spielentscheidender Halbzeitwahl werden.

Macrons Bemühungen, eine politische Alternative zu Nationalisten und Populisten auf europäischer Ebene zu bieten, bringen aber auch die etablierten proeuropäischen Parteien in Zugzwang. "Die Zeit der alleinigen Dominanz der EVP und der Sozialdemokraten ist vorbei, das steht fest", erkennt auch der ehemalige österreichische Bundeskanzler Christian Kern. Mit dem französischen Präsidenten Macron steht der SPÖ-Chef nach eigenen Angaben laufend in Kontakt. Die europäische Sozialdemokratie führe aber nicht nur Gespräche mit Macron, sondern etwa auch dem griechischen Ministerpräsidenten und Syriza-Vorsitzenden Alexis Tsipras und den "progressiven Teilen Polens".

Bei regelmäßigen Treffen mit den anderen europäischen Sozialdemokraten stehe man in regem Austausch zur Frage, was man den "Rechtsdemagogen" entgegen setzen könne. "Der Kampf dieser Kräfte wird sich nicht auf die kommende EU-Wahl beschränken, es ist die Auseinandersetzung der nächsten Dekade", erwartet Kern.

Mobilisierung angesagt

Die Angst vor einem rechten Erfolg auf EU-Ebene sitzt jedenfalls tief. Schließlich haben in letzter Zeit auch auf nationaler Ebene die rechten Parteien zahlreiche Erfolge feiern können. Vor allem das Migrations thema hat seit 2015 alle anderen Themen des politischen Diskurses überlagert. Der Themenwettbewerb seither sei deutlich zugunsten der rechten und Mitte-rechts -Parteien ausgegangen, diagnostiziert der österreichische Politologe Peter Filzmaier. Wenigstens auf EU-Ebene hätten die Pro europäer jedoch noch einen deutlichen Mobilisierungsvorteil. "Schließlich geht, wer antieuropäisch eingestellt ist, weniger gern zu EU-Wahlen", sagt Filzmaier.

Die Pro-Europäer nutzen auch schon die Aufmerksamkeit, die das Einschreiten der polarisierenden rechten Figur Steve Bannons mit sich bringt. "Bannons extrem rechte Vision und sein Versuch, Trumps Hasspolitik auf unseren Kontinent zu bringen, wird von anständigen Europäern zurückgewiesen werden. Müssen ihn stoppen!", twitterte etwa Guy Verhofstadt. Die deutschen Grünen verlangten gar ein Einreiseverbot für den US-Demagogen.

Der EU-Wahlkampf ist jedenfalls vor zeitig eingeleitet. Und für die proeuropä ischen Parteien ist spätestens jetzt klar: "Es gibt einen Hauptgegner: die EU-feindlichen Rechtspopulisten", wie EVP-Fraktionschef Manfred Weber formuliert. (Sebastian Fellner, Manuela Honsig-Erlenburg, Thomas Mayer, Katharina Mittelstaedt, 28.7.2018)