"Wir leben nicht in Erdoganistan, wo der Rechtsstaat gedreht und gewendet werden kann, wie man es gerade braucht", sagt FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus im Gespräch mit dem STANDARD.

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Wien – Von einem Moment auf den nächsten fühlte sie sich wie eine Ausländerin in ihrer eigenen Heimat, erzählt die Austrotürkin. Vor etwas mehr als einem Jahr bekam die 40-Jährige einen Anruf von einem Journalisten: Sie stehe auf dieser Liste, hat der ihr gesagt. Auf der Liste der illegalen Doppelstaatsbürger. Zuerst habe sie das nicht ganz ernst genommen. Ihre Eltern stammen aus der Türkei, sie selbst wurde in Mittelanatolien während eines Türkeibesuchs geboren, doch seit sie denken kann, lebt sie in Österreich. Sie hatte nie einen türkischen Pass, sagt sie, hat in der Türkei heute nicht einmal mehr Familie. "Wenn ich auf Urlaub hinfahre, zahle ich für ein Visum."

Auf das Unverständnis folgte eine gewisse Beklemmung, erzählt die Österreicherin, die namentlich nicht genannt werden möchte. Was, wenn sie wirklich noch türkische Staatsbürgerin ist? Sie hat Kinder, die hier zur Schule gehen, Eigentum in Österreich. Was würde das alles bedeuten?

Lösung für Liste unbekannten Ursprungs

Ihre Erklärung, warum sie in der mutmaßlichen türkischen Wählerevidenz verzeichnet ist, die jemand der FPÖ und Peter Pilz zugespielt hatte und die von den Freiheitlichen an die Behörden weitergegeben wurde: Vielleicht wurden hier alte Daten herangezogen. Ihre Eltern bekamen in den Neunzigerjahren die österreichische Staatsbürgerschaft. Bis dahin war sie im türkischen Pass ihrer Mutter verzeichnet. "Es kann doch nicht sein, dass eine inaktuelle Liste unbekannten Ursprungs solche Konsequenzen hat."

Seit die Verwaltungsgerichte in Wien und Vorarlberg nun in ersten Urteilen bestätigt haben, dass Personen, deren Namen auf der Wählerevidenzliste stehen, die österreichische Staatsbürgerschaft abzuerkennen ist, wartet sie auf einen Brief der Behörden. In der türkischen Botschaft habe sie bereits versucht, sich zu informieren. Um dort einen Termin zu vereinbaren, hätte sie aber eine türkische Reisepassnummer angeben müssen – die habe sie aber nicht. "Die Politik muss eine humane Lösung finden."

Was Ausgebürgerten droht

Im Innenministerium wird davon ausgegangen, dass es nach der Aberkennung der Staatsbürgerschaft in diesen Fällen jedenfalls nicht zu Ausweisungen kommen wird. Bei unbescholtenen Personen, die über einen längeren Zeitraum im Inland gelebt haben, sei das nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar. AMS-Chef Johannes Kopf ist außerdem überzeugt, dass die betroffenen Austrotürken ihren Arbeitsplatz behalten könnten, wie er im STANDARD erklärt hatte. Die Grundlage dafür sei ein Assoziierungsabkommen mit der Türkei. Jedenfalls droht den Ausgebürgerten eine Rückabwicklung etwaiger Kaufverträge – etwa solcher von Immobilien.

Die FPÖ will nun dafür sorgen, dass illegale Doppelstaatsbürger nach ihrer Aberkennung auch keine Arbeitserlaubnis mehr haben. FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch hält Kopf vor, "illegal Aufhältige quasi" zu amnestieren. Sie stellt infrage, ob das Assoziierungsabkommen "in Bausch und Bogen all unsere aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen einfach so aushebeln kann".

Gudenus: "Volle Härte des Gesetzes"

Der geschäftsführende freiheitliche Klubchef Johann Gudenus präzisiert im Gespräch mit dem STANDARD: "Falls dieses Assoziierungsabkommen tatsächlich Menschen schützt, die sich einen österreichischen Pass erschlichen haben, muss man darüber nachdenken, wie man damit weiter verfährt und es gegebenenfalls optimieren." Gudenus fordert, dass "Scheinstaatsbürger" die "volle Härte des Gesetzes" zu spüren bekommen. "Wir leben nicht in Erdoganistan, wo der Rechtsstaat gedreht und gewendet werden kann, wie man es gerade braucht."

Es gibt in Österreich übrigens kaum Zahlen zu Doppelstaatsbürgern. Aus den zuständigen Abteilungen mehrerer Länder wird dem STANDARD ausgerichtet, dass selbst zu legalen Doppelpassbesitzern keine Daten vorliegen. Der Grund: Es gebe keine Verpflichtung, der Behörde eine bestehende legale Doppelstaatsbürgerschaft zu melden, erklärt Werner Sedlak, Leiter der Wiener Einbürgerungsabteilung. Wer einen österreichischen Pass bekommt, muss – insofern keine Ausnahmeregel greift – aber die bisherige Staatsbürgerschaft zurücklegen. Die Gerichte gehen davon aus, dass die betroffenen Austrotürken das nie getan – oder nachträglich wieder einen türkischen Pass beantragt haben. (Katharina Mittelstaedt, 10.8.2018)