Was ist fünfzig Jahre nach dessen Niederschlagung vom Prager Frühling geblieben?

Dem tschechischen Schriftsteller Pavel Kohout, einst auch ein Protagonist der Demokratiebewegung, wurde vor kurzem diese Frage gestellt. Seine nüchterne Antwort: gar nichts.

Die ganze Welt blickt heuer zurück auf jenes ereignisreiche Jahr 1968. Die Franzosen denken an den Pariser Mai, die Deutschen – aber auch die Polen, die Chinesen, die Amerikaner, die Österreicher – an die Protestbewegungen, die an den Universitäten ihren Anfang nahmen und bald die ganze Gesellschaft erfassten. Sie wurden, am blutigsten auf dem Tiananmen-Platz in Peking, niedergeschlagen oder lösten sich allmählich auf. All diesen Ereignissen war gemeinsam, dass sie von jungen Leuten, vornehmlich Studenten, getragen wurden und von der Hoffnung beseelt waren, dass eine bessere Gesellschaft möglich wäre und soziale Gerechtigkeit und Demokratie vereinbar. Der Wind wehte von links.

Heute weht er von rechts. Aber ist wirklich gar nichts übrig geblieben von all den Hoffnungen von damals?

Die sowjetischen Panzer, die am 21. August 1968 die tschechische Demokratiebewegung niederwalzten, sind inzwischen zum Symbol dafür geworden, dass brutale Gewalt stärker ist als friedlicher Protest. Dieser Tag machte nicht nur in der Tschechoslowakei der Idee vom "Sozialismus mit menschlichem Gesicht" ein Ende, sondern er bedeutete auch das faktische Ende der kommunistischen Weltbewegung, die zwei Generationen von Europäern inspiriert hatte. Der österreichische kommunistische Schriftsteller Ernst Fischer nannte damals seine Autobiografie folgerichtig "Das Ende einer Illusion".

Erinnerung der Menschen

Aber Ideen haben es an sich, dass sie nicht für ewig verschwinden. Sie finden ihren Niederschlag in den Geschichtsbüchern und in der kollektiven Erinnerung der Menschen. Die Parole der Französischen Revolution – "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" – ist heute noch jedem Franzosen geläufig.

Die Schriften der Aufklärer stehen nicht nur in den Bibliotheken, sie gehören zur europäischen klassischen Literatur. Die bürgerliche Revolution von 1848 hat noch viele Generationen beeinflusst. Und das Wort des tschechischen Märtyrers Jan Hus "Die Wahrheit siegt" wurde Jahrhunderte später zum Motto der Präsidenten Tomás Masaryk und Václav Havel.

Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie wirkt weiter. Man kann, was geschehen ist, nicht ungeschehen machen. Die Studenten von heute haben im Geschichtsunterricht gelernt, wie Hoffnungen erstickt wurden. Wie die Proklamation der Menschenrechte in Frankreich im Terror endete, der Traum von der klassenlosen Gesellschaft in der stalinistischen Diktatur, die Bewegung für die Einheit Deutschlands im nationalen Größenwahn und der Freiheitskampf in Kuba, Venezuela, Nicaragua in neuen Gewaltherrschaften. Aber sie haben auch gelernt, dass für Freiheit und Demokratie immer gekämpft werden musste und dass dieser Kampf nie aufhört. Insofern hat Pavel Kohout unrecht: Diese Erkenntnis ist fünfzig Jahre später im Gedenken an 1968 geblieben. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 15.8.2018)