"Emissionsineffiziente" Länder spezialisieren sich auf die Ansiedelung schmutziger Industrien und den Export klimaschädlicher Güter. Im Bild: rauchende Fabrikschlote in Indien.

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Dem heißen Sommer entsprechend macht die Erderwärmung aktuell Schlagzeile um Schlagzeile. Während die Administrationen Trump und Kurz Maßnahmen zur Beschleunigung der Erderwärmung ergreifen (Ausstieg aus dem Klimaabkommen, Tempo 140, UVP light, Durchdrücken von Ceta oder BIP-Wachstum in der Verfassung), gibt es auch Kräfte, die verantwortungsvoller in die Zukunft schauen. Zunächst ist der Welterschöpfungstag auf den 1. August vorgerückt, das ist ein neuer Negativrekord. An diesem Tag hat die Menschheit die seitens der Erde für ein Jahr zur Verfügung gestellten Ressourcen verbraucht. (Für Österreich liegt der Global Overshoot Day schon im April.)

Kurz darauf stellte das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in einer Studie eine "Heißzeit" in Aussicht, infolge von positiven Rückkoppelungen und ökologischen Kippeffekten wie dem Auftauen der Permafrostböden, sich erwärmenden Methanhydraten auf dem Meeresboden oder dem Kollaps des grönländischen Eisschildes. Der Klimaexperte Hans Joachim Schellnhuber sprach von "einer Welt, die anders ist, als alles, was wir kennen". Wenige Tage später wurde ein Research-Paper des Wifo über Klimazölle publik.

STANDARD-Redakteur Eric Frey schrieb nach einem Besuch der Sommerakademie Alternative Economic and Monetary Systems, an der Studierende aus 31 Nationen teilnahmen, am 4. August, Klimazölle der EU seien die richtige Antwort auf den Ausstieg der USA aus dem Klimaschutzabkommen. Positive Anreize seien zu setzen, Trittbrettfahrer zu bestrafen. "Es muss etwas geschehen, bevor die Erde verbrennt."

Der Vorschlag des Wifo-Teams rund um Margit Schratzenstaller, die EU über Klimazölle zu finanzieren, kommt vor dem Hintergrund des wachsenden Beitrags des Welthandels zu den CO2-Emissionen. Der Anteil gehandelter Güter an den globalen Emissionen hat sich seit 2000 von 25 auf 33 Prozent deutlich erhöht. Kein Wunder: Im Welthandelssystem sind keine klimastabilisierenden Mechanismen enthalten, mehr Handel gilt prinzipiell als besser, und erst dank "freien" Handels machen sich Standortverlagerungen in Länder mit geringeren Umweltstandards bezahlt. Die Wifo-Autoren schreiben vom "besorgniserregenden Trend", dass sich "emissionsineffiziente" Länder auf Ansiedelung schmutziger Industrien und den Export klimaschädlicher Güter spezialisieren.

Um solch kontraproduktive Wirkungen des Handelssystems zu neutralisieren, schlagen die Autoren die Einhebung von Klimazöllen an der EU-Außengrenze vor, von 100 Euro je Tonne CO2 ansteigend auf 400 Euro je Tonne bis 2050. Auf diese Weise könnten bis 2027 je nach Ausgestaltung jährlich 55 bis 179 Milliarden Euro und bis 2050 sogar 211 bis 938 Milliarden Euro in den EU-Haushalt fließen. 2017 betrug der EU-Haushalt 155 Milliarden Euro. Die Autoren, die den Klimazöllen neben Umweltschutz auch einen positiven Nettoarbeitsplatzeffekt zuschreiben, sehen darin "ein ideales Instrument, um das EU-Budget in der Zukunft zu finanzieren".

Neben der Herausforderung der genauen Messung des CO2-Gehalts der Importe ist die größte Sorge die WTO-Kompatibilität. Diese Schwierigkeit wirft ein bezeichnendes Licht auf die Welthandelsorganisation WTO, weil sie "Freihandel" ohne verbindliche Einhaltung von Menschenrechten, Klimaschutz, Verteilungsfragen oder ausgewogenen Handelsbilanzen durchsetzt. Diese Ziele sollten jedoch die Eckpunkte des Welthandelssystems bilden, Handel ist nur ein Mittel, das höheren Zielen dienen sollte. Eine "ethische Handelsordnung" würde messbare und einklagbare "Entwicklungsleitern" für ärmere Länder und Anreize für ausgeglichene Handelsbilanzen ebenso selbstverständlich beinhalten wie einklagbare Menschen- und Arbeitsrechte oder Positivanreize für Umwelt- und Klimaschützer. Klagen müssten nicht jene befürchten, die verantwortungsbewusst höhere Standards einführen, sondern jene, die das Klima aufheizen, die Menschen- und Arbeitsrechte nicht gerichtlich schützen und extreme Ungleichheit und Machtkonzentration zulassen: die "Trittbrettfahrer" des globalen Wirtschaftssystems.

In diesem Sinn ist der Vorstoß des Wifo weiterzuspinnen und zum Grundprinzip des Welthandels zu machen. Wer sich nicht zu einer ausgeglichenen Handelsbilanz verpflichtet, einem globalen Gerichtshof für die Menschenrechte unterwirft oder aus dem Klimaschutzabkommen aussteigt, muss generell mit Ethikzöllen seitens der kooperationswilligen Staaten rechnen. Und Unternehmen, die Zugang zum Weltmarkt suchen, egal ob aus China, der EU oder den USA, müssen eine Gemeinwohlbilanz vorlegen, deren Ergebnis über den Zugang zum Weltmarkt entscheidet: Die sozial und ökologisch verantwortlichsten Firmen dürfen am freisten handeln, je schwächer die Gemeinwohlperformance, desto höher die progressiven Ethikzölle.

Werden diese Maßnahmen von Beginn an auf multilateraler Ebene eingeführt, von einer Gruppe williger UN-Mitglieder, kann der Verdacht bilateraler Vergeltungsmaßnahmen oder des unfairen Ökoprotektionismus gar nicht aufkommen. Innerhalb der Uno gab es bereits zwei Anläufe für eine faire Handelsordnung: 1944 und 1964. Beide Male wurden sie mit den vereinten Kräften der USA und der heutigen EU-Staaten zugunsten des "Freihandels" außerhalb der Uno abgewehrt. Vielleicht eröffnet der Ausstieg der Trump-USA aus dem Klimaabkommen der EU die Chance, aus der umwelt-, klima-, sozial- und demokratiefeindlichen WTO auszusteigen und in der Uno eine faire Handelszone auf Basis von Ethikzöllen, einer Vorzugsbehandlung der ärmeren Handelspartner und einer verpflichtenden Gemeinwohlbilanz für Unternehmen zu begründen. (Christian Felber, 19.8.2018)